Online Philterchen

Süßstoff, Skype und Sozialkontakte

Warum Gesten wie das virtuelle „Prost“ die Rituale realer Begegnungen nicht ersetzen können. Und warum Online-Dates wie falscher Zucker sind.

Symbolbild

Von Laura Laabs

Mir ist neulich etwas Seltsames aufgefallen. Die Tage, an denen ich derzeit besonders viele virtuelle Sozialkontakte pflege, sind gleichzeitig mit die besten und die härtesten. Heute zum Beispiel: eine Stunde telefonieren mit meiner besten Freundin, eineinhalb Stunden Kaffeepause über Skype mit einer Freundin in Oldenburg, zwei Stunden Skype-Date abends mit noch mal drei Freundinnen. Ich bin unglaublich dankbar dafür, dass uns die Möglichkeiten zur Verfügung stehen, unsere Lieben nicht nur zu sprechen, sondern sogar zu sehen. Ich würde das für nichts eintauschen. Und trotzdem: Jedes Mal, wenn ich ein vertrautes Gesicht auf meinem Display sehe, denke ich: Dich hätte ich gerade gerne in einer Bar mir gegenüber. Am liebsten würde ich dich umarmen. Und dann legen wir auf und ich bin froh, und gleichzeitig ist es noch schwerer als vorher.

Videoanrufe geben uns mehr als das Telefon, mehr als Text-Chats. Mit der Freundin, die in Oldenburg wohnt, habe ich einige Wochen im digitalen Raum das Homeoffice geteilt: Wir sitzen uns acht Stunden gegenüber, arbeiten an unserem Kram, zwischendurch mal ein Schwätzchen, ihre Katze wuselt gelegentlich durchs Bild. Meistens Schweigen, nur ein Bild im oberen Bildschirmeck. Aber jemand teilt den gleichen Raum, nimmt buchstäblich einen Platz auf der Arbeitsfläche ein. Uns beiden hat das wahnsinnig gut getan.

Aber es gibt eben auch die Momente, in denen besonders deutlich wird, dass Skype & Co. eben ein unvollkommener Ersatz sind: besonders vielleicht die Abende, an denen virtuell Geburtstage gefeiert werden. Die Videochats, in denen wir uns zuprosten, indem wir den Bierflaschenhals in Richtung Kameraauge führen und „Biiiing“ rufen und so tun, als würde sich das Glas physisch berühren. Das Auflegen ist erschreckend banal: kein „Okay, eine Zigarette noch“; keine letzte Umarmung; kein betüdeltes „Oh Gott, warum wohnst du im vierten Stock ohne Aufzug?“; kein „Ach Mist, meine letzte U- Bahn ist schon weg, kann ich doch bei dir schlafen?“; kein „Komm, wir trinken doch noch nen Schnitt“. Auflegen. So wie am Telefon halt. „Okay, tschüss!“

Irgendjemand hat irgendwo irgendwann – ich wünschte, ich hätte mir ein Lesezeichen auf dem Handy gesetzt – irgendjemand hat letztens darüber geschrieben, dass Videochats gerade jetzt extrem wertvoll sind, aber dass sie auch unser Gehirn austricksen: Wir denken, wir hätten unsere engsten Vertrauten um uns herum, aber der physische Kontakt ist unmöglich. Der nächste Satz ist sehr kitschig und erinnert an die schlimmste Sorte Science-Fiction-Film, wahlweise auch an Historienfilme, in denen der Soldat im Krieg mit dem Daumen über das Foto seiner Geliebten streicht: Dein Gesicht ist mir direkt gegenüber, aber wenn ich es anfasse, ist da nur die Materie des Bildschirms.

Vielleicht liegt es daran, dass ich alleine wohne und wirklich niemanden um mich habe, nicht mal ein Haustier; oder daran, dass ich gerade keinen Job habe, dass ich bald umziehe und mich manchmal um den Abschied von München betrogen fühle. Vielleicht, sicher sogar, hängt es davon ab, wie viel physischen Kontakt man individuell braucht. Aber ein bisschen sind diese Skype-Dates wie Süßstoff, oder zumindest wie das, was ich über Süßstoff gelesen habe: Das Gehirn denkt, es bekommt Zucker. Das stimmt aber nicht. Und so wird das Verlangen nach echtem Zucker nur umso stärker.

Videochats sind eine der besten Lösungen, die wir gerade haben. Aber sie sind eine Notlösung. Ich freue mich auf die Umarmungen, wenn das alles rum ist (und dass es irgendwann rum ist, daran müssen wir glauben). Auf die zuckrigen Umarmungen. Umarmungen wie Salzkaramell – süß, aber mit ein paar salzigen Tränen. Sorry für den Kitsch.

 

Dieser Artikel ist Teil unseres Online-Schwerpunkts „Gemeinsam“. Aufgrund der Corona-Krise haben wir uns dazu entschieden, dieses Semester auf eine gedruckte Ausgabe zu verzichten, stattdessen veröffentlichen wir Artikel unter diesem Thema. Die Ausbreitung des Virus hat das Studierendenleben von heute auf morgen verändert: Wie wirkt sich das auf den Uni-Alltag aus? Wie auf Lehre und Leben? Und vor allem: Welche Lösungen im Umgang mit dem Virus werden an Hochschulen gefunden? Mit diesen Fragen beschäftigen wir uns.

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