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Probieren geht über Studieren

Was tun nach dem Abschluss? Das fragen sich viele Schüler*innen und setzen sich erwartungsfroh in Schnuppervorlesungen und Workshops. Die Hochschulorientierungstage der Münchner Unis sollen letztlich aber vor allem eines bieten: einen Denkanstoß.

Von Florian Meier

Über ‚die Moderne‘ können Soziolog*innen endlos streiten, in einem Punkt jedoch sind sich alle einig: Moderne ist, wenn die Wahlfreiheit des*der Einzelnen wächst und wächst und wächst. Kaum irgendwo wird das so sichtbar wie im Bildungswesen. Was viele belebt und erquickt, sorgt an anderer Stelle für Frustration. Tatsächlich klagen immer mehr Schulabgänger*innen, den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr zu sehen. Zwischen Pflichtpraktika, Gedichtanalysen und dem bedrohlich näherkommenden Mathe-Abi verschieben viele die Reflexion über das Morgen lieber auf übermorgen und fallen so der Planlosigkeit anheim.

Glücklicherweise machen es sich drei der größten Hochschulen Bayerns seit 2015 zur alljährlichen Aufgabe, die gegenwärtig Verlorenen zurück auf Zukunftskurs zu bringen. So luden LMU, TUM und HM während der Herbstferien wieder zu den Hochschulorientierungstagen und damit zum Schnupperprogramm der Superlative. Auf dem üppigen Terminplan standen neben Info-Vorträgen interaktive Workshops und Beratungsangebote. Wem das zu sehr nach Theorie roch, konnte sich auch kopfüber in das alltägliche Uni-Geschehen stürzen und an regulären Lehrveranstaltungen teilnehmen, wie sie von Woche zu Woche und Hochschule zu Hochschule tausendfach abgehalten werden.

Das Ziel: den Mythos ‚Universität‘ durch ein realistisches Bild ersetzen

Neben womöglich wegweisenden Eindrücken bieten die Hochschulorientierungstage vor allem einen spannenden Blick darauf, was dabei herauskommt, wenn nicht eine, nicht zwei, sondern gleich drei der prestigereichsten Bildungsinstitutionen Bayerns zusammenfinden und weder vor finanziellen noch zeitlichen Mühen zurückschrecken.

Ein organisatorischer Kraftakt, sagt eine, die es wissen muss: Andrea Lutz arbeitet in der Zentralen Studienberatung der LMU (ZSB) und ist mitunter für die Anliegen von Schüler*innen und ihrer Lehrkräfte zuständig. Der Veranstaltungskalender ihres Schulkontakte-Teams setze sich zwar aus einer Reihe mannigfaltiger Angebote zusammen, allerdings bündele kein Format dermaßen viele Ressourcen wie die Hochschulorientierungstage. Schließlich wollen Teilnehmendenlisten er- und bestellt, die Kolleg*innen von TUM und HM kontaktiert und die Werbetrommel kräftig gerührt werden. „Also, von Eventmanagement über Kommunikation bis hin zu PR ist eigentlich alles dabei“, erklärt Lutz.

Wieso die ZSB diesen gigantischen Aufwand überhaupt auf sich nehme? Lutz überlegt kurz und sagt dann schmunzelnd: „Uns treibt an, eine Offenheit und die Möglichkeit für eigene Erfahrungen zu schaffen.“ Konkret solle der sagenumwobene Nimbus, der der Uni oft anhängt, demystifiziert und durch ein realitätsgetreues Bild ersetzt werden. Damit die Schüler*innen sich überhaupt trauen, „den Schritt an die Uni“ und eigene Erfahrungen zu machen. Die seien schließlich unabdingbar für jede gute Studienentscheidung, so Lutz weiter. Auf die Frage, ob die ZSB diesem Anspruch denn gerecht werde, stellt die Studienberaterin nüchtern fest: „Es gibt die Rückmeldung, dass viele Studieninteressierte es sinnvoll finden, mitzumachen – es gibt aber auch immer wieder die Rückmeldung, dass dadurch jetzt noch nicht der große Wurf passiert ist, was die finale Entscheidung angeht.“

Das Feedback: ideales Studium zu großer Campus – erst mal ein Gap Year

Diese Einschätzung deckt sich mit dem, was drei Workshop-Teilnehmerinnen geschlossen bestätigen; jede der Schülerinnen empfand die Veranstaltung als eher allgemein gehaltenen Denkanstoß und damit als ersten Schritt in Richtung Zukunft. Ob, wo oder was sie allerdings mal studieren werden, das wissen die drei zumindest nach dem Workshop noch nicht. Während Hannah das Medizin-Studium an der LMU als „Idealfall“ bezeichnet, würde Viviane lieber nach Passau oder Augsburg gehen, der Münchner Campus sei schlichtweg zu überdimensioniert.

Das sei ihr klar geworden, als sich die Suche nach dem Veranstaltungsraum als wahre Odyssee herausgestellte, eine für sie wertvolle, wenngleich unerwartete Erkenntnis der Hochschulorientierungstage. Emily dagegen plant, ein Gap Year einzulegen, „auch wenn es vielleicht nicht die Weltreise wird“. Stattdessen würde ihr ein Freiwilliges Soziales Jahr zusagen oder aber etwas Kreatives.

Egal ob jung oder alt, erfahren oder unbedarft, mit einem oder beiden Beinen im Leben stehend: Die Planlosigkeit macht vor keinem Halt. Insbesondere wenn Menschen an Scheidewegen stehen, ist guter Rat oft teuer. Irgendwelche Tipps, Frau Lutz? „Da gibt es viele Anhaltspunkte“, sagt die Studienberaterin und präsentiert so etwas wie einen dreistufigen Aktionsplan für Dilemmata und Gretchenfragen aller Art: Schritt 1: den Perfektionsdruck herausnehmen und lieber kurz- als langfristig denken; sich umzuorientieren, ist keine Schande. Schritt 2: auf sich selbst hören; die eigenen Interessen, Fähigkeiten und Talente ergründen. Schritt 3: Erfahrungen, Erfahrungen und noch mehr Erfahrungen sammeln.

 

Weitere Informationen zu den Hochschulorientierungstagen gibt es auf den entsprechenden Seiten von LMU, TUM und HM.

 

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