Was passiert, wenn Kontakte beschränkt werden müssen, einfach rauszugehen nicht ohne weiteres möglich ist und die schützende, queere Community nicht mehr fester Bestandteil des Lebens junger Menschen ist. Die Corona-Pandemie, alle damit einhergehenden Maßnahmen und Einschränkungen treffen queere Jugendliche sowie junge Erwachsene besonders stark und offenbaren gesellschaftliche Probleme, die leider oft übersehen werden.
Ein Gastbeitrag von Philipp Agostini, Mitglied des Queer-Referats der Studierendenvertretung der Ludwig-Maximilians-Universität München.
Die Corona-Pandemie ist ein Gleichmacher – so tönte es noch im Frühling 2020, mitten im ersten Lockdown, aus allen medialen Kanälen, um Gemeinschaft und Solidarität in einer schwierigen Situation zu symbolisieren. Alle Menschen könnten sich mit dem Virus infizieren, auch schwere Verläufe würden in allen gesellschaftlichen Gruppen vorkommen, in manchen vielleicht stärker als in anderen. Vermeintlich würden auch die mit dieser Pandemie einhergehenden Maßnahmen und Einschränkungen alle Menschen gleichermaßen betreffen. Dies trifft jedoch nur bedingt zu: Manche gesellschaftlichen Gruppen, eben auch die queere Community – wobei diese in sich ebenfalls heterogen und in unterschiedlicher Weise beeinflusst wird – waren und sind besonders stark oder vielleicht sogar exklusiv von den jeweils geltenden oder von bestimmten Maßnahmen betroffen.
So erging es auch Marie, einer bisexuellen Studentin in München, deren richtigen Namen wir hier nicht veröffentlichen möchten: „Ein Recht, das man trotz aller Kontaktbeschränkungen immer hatte, war, seine*n Lebenspartner*in zu sehen. […] Während des ersten Lockdowns lebte ich gezwungenermaßen mit meiner Familie zusammen.” Ihre Eltern stammen aus Russland und die Akzeptanz gegenüber queeren Identitäten sei nicht vorhanden (gewesen). So sei es Marie nicht möglich gewesen, ihre Lebenspartnerin zum Spazieren zu treffen, sie zu besuchen, mit ihr zu telefonieren, geschweige denn sie bei sich zuhause zu empfangen, ohne ihre Beziehung zu enthüllen. Ihr Outing vor einigen Jahren habe die queerfeindlichen Einstellungen ihrer Eltern nur bestätigt, weshalb sie ihre „gleichgeschlechtliche Beziehung ihnen gegenüber auf keinen Fall ansprechen konnte.”
Queere Menschen sind verletzlicher
Viele queere Menschen erleben die Pandemie aus einer verletzlichen Position heraus. Queere Jugendliche und junge Erwachsene leiden häufiger an einer psychischen Erkrankung und weisen höhere Suizidraten auf. Dass soziale Isolation etwa zu Deprivation, zu depressiven Verstimmungen sowie Phasen und zu Angstzuständen führen kann, ist weitläufig bekannt und wissenschaftlich gut belegt. Dies kann verstärkt werden, wenn geringfügig ausgeprägte soziale Strukturen vorhanden sind, sozusagen kein soziales Netz queere Menschen auffängt. Dies scheint bei queeren Jugendlichen und jungen Erwachsenen häufiger als in der cisgeschlechtlich/heterosexuellen Mehrheitsgesellschaft der Fall zu sein und manifestierte sich besonders in der Corona-Pandemie. Dazu kommen noch Unverständnis, Ausgrenzung, Diskriminierung, Anfeindungen und manchmal auch Gewalt.
Einer Erhebung des Deutschen Jugendinstituts (2015) zufolge erleben etwa 80 Prozent der queeren Jugendlichen und jungen Erwachsenen mindestens einmal in ihrem Leben Diskriminierung aufgrund ihrer geschlechtlichen oder sexuellen Identität. Wir sehen zwar, belegt durch zahlreiche Erhebungen der letzten Jahre, dass die deutsche Bevölkerung immer offener und akzeptierender gegenüber queeren Menschen wird. Davon profitieren vor allem homo- und bisexuelle, jedoch weniger trans* und nicht-binäre Menschen. Was noch besonders auffällt: Je näher queere Identitäten an die Familie heranrücken, also enge Familienmitglieder betreffen, desto stärker werden diese abgelehnt. Auch deshalb kommt es leider auch häufig im familiären Umfeld zu Diskriminierung, Anfeindungen und Gewalt.
Schutzräume sind geschlossen, der Kontakt zu anderen queeren Menschen schwer
Diese ungünstigen Bedingungen kommen in einer solchen krisenhaften Ausnahmesituation, etwa der ergriffenen Ausgangs-, Kontakt- und Reisebeschränkungen, besonders zum Tragen, wenn queere Menschen etwa noch bei ihrer Familie wohnen und/oder finanziell von ihren Familien abhängig sind, so wie im Fall von Marie. In der aktuellen Situation müssen betroffene Jugendliche und junge Erwachsene dann in diesem sozialen Umfeld bleiben und können sich nicht oder zumindest nur bedingt an Partner*innen, Freund*innen oder Einrichtungen aus der queeren Community wenden. „Gerade für queere Jugendliche geht die Isolation durch die Corona-Pandemie oft mit einem erheblichen Leidensdruck einher”, meint Sarah Schuster, Sozialpädagogin bei diversity München, einem Verein für queere Jugendliche und junge Erwachsene: „Ungeoutet oder geoutet mit verständnislosen Eltern zuhause zu sein und die eigene Identität nicht so ausleben zu können, wie es einer*m guttun würde, ist immer hart und kann zermürbend sein.”
Dabei kann es leider auch in der Familie zu häuslicher Gewalt gegenüber queeren Kindern und Geschwistern kommen, abgesehen von der psychischen Belastung, sich ständig in einem intoleranten oder nicht akzeptierenden, geschweige denn wohlwollenden Umfeld aufhalten zu müssen. „Auch meine Eltern selbst waren aufgrund der Pandemie im Homeoffice. […] Nun war selbst ein Videocall oder Telefonieren mit meiner Freundin kaum noch möglich – nur wenn meine Familie dann doch mal aus dem Haus war, konnten wir sprechen”, so Marie. Die ständige Angst, von ihren Eltern erwischt zu werden, sei allgegenwärtig gewesen.
Solidarität gegenüber jungen queeren Menschen
Durch diese soziale Isolation brechen für queere Jugendliche und junge Erwachsene wichtige Anlaufstellen und Schutzräume in der queeren Community, offene Treffen in Jugendeinrichtungen und Gruppenveranstaltungen weg. Queere Jugendliche und junge Erwachsene sind teilweise sehr stark in der Community und den dort existierenden Strukturen verankert, haben dort ihre Freund*innen und teils eine neue Familie gefunden. Darüber hinaus können queere Menschen auch nicht einfach zu Freund*innen, unabhängig der Community, da aktuell ja nur sehr eingeschränkter Kontakt zu anderen Personen möglich ist.
Marie wohnt mittlerweile nicht mehr bei ihren Eltern und kann, auch aufgrund der lockereren Maßnahmen, ihre Freundin wieder regelmäßig sehen. Sarah Schuster gibt zu bedenken, dass es gerade jetzt umso wichtiger sei, queeren Jugendlichen und jungen Erwachsenen Unterstützung anzubieten und ein offenes Ohr zu haben. Die queere Community hat auf die neue Situation durch Hygienekonzepte bei Präsenzveranstaltungen und Online-Angebote – auch Online- und Telefon-Beratung – reagiert. Auch wir im Queer-Referat haben versucht, Online-Angebote zu gestalten; diese wurden während der verschiedenen Phasen der Pandemie stark nachgefragt und in Anspruch genommen. Die Situation bleibt aber für viele junge queere Menschen nach wie vor belastend.
Unter #QueerOnCampus schreiben Studierende des Queer-Referat der Studierendenvertretung der LMU über LGBTQ+ und andere Themen, die queere Personen im Zusammenhang mit München und dem Studium betreffen. Für die Inhalte sind allein die jeweiligen Autor*innen verantwortlich. Alle Beiträge der Serie hier nachlesen.