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Das Geheimnis der Macht

Warum das Bemühen um Verschlüsselung im Zeitalter der Digitalisierung wichtiger ist als je zuvor

Die Aufdeckung des NSA-Abhörskandals ruft Bilder hervor, die an die düstere Zukunftsvision des gläsernen Menschen denken lassen – und doch bleibt die große Empörung über die Geheimdienste aus. Dabei ist das Internet schon zu sehr Teil der menschlichen Kultur, um dieses verfassungsschädigende Verhalten einfach so hinnehmen zu können.


Eines der ältesten bekannten Verschlüsselungsverfahren stammt aus Griechenland und funktioniert mittels einer Skytale, griechisch für „Stock, Stab“: Man wickelte einen Lederriemen oder ein Pergamentband um einen Stab und schrieb seine Botschaft längs auf den Riemen. Zog man diesen dann ab, hielt man nur mehr ein Band mit wirren Buchstabenansammlungen darauf in der Hand, denen kein Außenstehender mehr etwas entlocken konnte.

Das Bedürfnis, seine wahren Absichten und Pläne zu verschleiern oder Freunde gezielt mittels Geheimbotschaften zu informieren, ist wohl noch viel älter, so alt wie der Mensch selbst. Zu verlockend erschien seit jeher die Möglichkeit, sich durch gezieltes Informationsmanagement Vorteile zu verschaffen, sei es bei der Rohstoffsuche oder zur Organisation von Hinterhalten und Überraschungsangriffen. Geheimbotschaften, ob erdacht oder maschinell erstellt – etwa von Verschlüsselungsmaschinen wie der von der Deutschen Wehrmacht eingesetzten Enigma – faszinieren uns. Was wir nicht wissen, macht uns neugierig. Ganz unabhängig vom praktischen Nutzen wollen wir wissen: Was steht da, und fast noch interessanter, warum wurde es verschlüsselt?

Absolute Anonymität bleibt eine Utopie

Doch der Neugier sind Grenzen gesetzt. Es sind nun nicht mehr ausschließlich wirtschaftlich oder militärisch wertvolle Informationen, die abgefangen werden können, sondern die gesamte menschliche Kommunikation in all ihrer schrecklich normalen Banalität. Denn mit der Ausbreitung und dem Siegeszug des Computers verlagerte diese sich in den digitalen Bereich, der immer größere Teile unserer Alltagswelt besetzt und übernimmt. Kryptographie wandelte sich in der Folge von einer Geheimwissenschaft zur Forschungsdisziplin, von deren Errungenschaften wir heute bei der Verteidigung unserer Privatsphäre profitieren können. Für jeden Dienst, den man als Internet- oder Telefonbenutzer in Anspruch nimmt – SMS, Whatsapp, Skype, Dropbox, ja sogar Facebook etc. – gibt es Maßnahmen, die den Zugriff auf private Daten durch Kriminelle oder Witzbolde bedeutend erschweren. Aber wie sieht es denn eigentlich mit dem Surfen allgemein aus? Sollte es nicht möglich sein, im Netz anonym zu bleiben, gerade wenn man sich von den bösen Riesen Google, Facebook, Apple fernhält?

Doch absolute Sicherheit gibt es nicht. Um unsere Bedürfnisse zu befriedigen, müssen wir immer mit anderen in Kontakt treten. Dabei absolut keine Spuren zu hinterlassen, ist schlicht unmöglich. Online verhält es sich ähnlich. Ruft man eine bestimmte Website auf, sendet man eine Anfrage, die neben der zugehörigen Adresse auch die eigene IP-Adresse beinhaltet. Diese wird einem vom jeweiligen Provider, also z. B. Telekom oder O2, bei jeder Verbindung mit dem Internet neu zugewiesen. Allerdings speichern die Anbieter auch, an welchen Kunden sie wann welche IP verteilt haben – und müssen diese Informationen unter Umständen auch an Untersuchungsbehörden rausgeben. Selbst etwa mit der freien Software Tor („The Onion Router“), die anonymes Surfen ermöglichen soll und die in den letzten Tagen vor allem aufgrund der FBI/NSA-Ermittlungen auf sich aufmerksam machte, lässt sich nur eine relative Unsichtbarkeit erreichen. Irgendwo muss letztendlich immer eine noch so kleine Information unverschlüsselt übertragen werden – und kann somit auch rückverfolgt werden.

Das Internet ein krimineller Sumpf? Mitnichten.

Vollkommene Anonymität ist weder real noch virtuell zu haben. Bedeutet das nicht, das jegliche Anstrengung diesbezüglich ohnehin vergebens wäre? Ist es nicht sowieso unsere eigene Schuld, wenn uns Informationen, Daten, Geld oder Identitäten geklaut werden, nach dem Motto „Wer sich willentlich in die Fänge von Facebook begibt, dem ist nicht mehr zu helfen“? Die Antwort auf derartig zynische, aber leider immer noch oft gehörte Vorwürfe kann nur ein klares entschiedenes Nein sein. Nach der selben Logik wäre jedes Unfallopfer auf deutschen Straßen selbst schuld an seinem oder ihrem Schaden – man wusste ja beim Drehen des Zündschlüssels, auf welches Risiko man sich einlässt.

Denn das Internet ist genauso wenig wie der Straßenverkehr kein kleiner Sumpf, in dem sich pornosüchtige Kleinkriminelle und picklige weirdos herumtreiben und der vom größten Teil der Gesellschaft belächelt wird. Es ist heute ein allgegenwärtiger Teil ebendieser Gesellschaft, eine Plattform zur Selbstverwirklichung und/oder -inszenierung und ein Diskussions- und Informationsforum für jedermann. Für Millionen von Menschen ist es tagtäglich Lebenswirklichkeit, die geschützt werden muss – und wird dies auch bleiben. Das Internet wird nicht mehr abgeschafft oder, wie es SZ-Journalist Dirk von Gehlen ausdrückt: „Die Zahnpasta ist aus der Tube.“ Es wird immer wichtiger werden, auch auf diesem Gebiet für die Grundrechte zu kämpfen. Selbst, wenn man nichts zu verbergen hat, kann der Einsatz von Verschlüsselungssoftware ein klares Statement sein.

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