Politikus Unileben

Die Geschichte hinter den Bildern

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In der syrischen Stadt Ras al-Ayn hält eine Frau ihre weinende Tochter in den Überresten des zerbombten Familienhauses fest. (Foto: Benjamin Hiller)

Was soll ein Journalist tun, wenn er mit vorgehaltener Waffe gezwungen wird eine Hinrichtung abzulichten? Medien berichten nicht nur aus Kriegsgebieten, sondern tragen auch eine große Verantwortung. Besuch auf einem Diskussionsabend der Kommunikationswissenschaften.

Obwohl an diesem der ersten warmen Abende des Jahres das Fußballspiel zwischen den Bayern und Real Madrid stattfindet, haben sich ein paar Studenten zu der ein- bis zweimal im Semester auf eigene Faust organisierten Veranstaltungsreihe „Kommunikationswissenschaften-Abseits“ zusammengefunden. Schon im Namen schwingt mit, dass sich der normale Unialltag anscheinend weniger mit derartigen Themen aus dem Bereich des Journalismus beschäftigt. Mit der Frage nach einer geforderten oder praktizierten Ethik innerhalb der Kriegsberichterstattung bewegt man sich also eher abseits des alltäglichen Stundenplans. Schade eigentlich, schließlich stehen kriegerische Auseinandersetzungen bis heute auf der weltpolitischen Tagesordnung und begleiten den die Zeitung lesenden oder auch nur die Nachrichten verfolgenden jungen Menschen auf Schritt und Tritt.

An der Uni geht es heute ein bisschen um Krieg und Frieden

Eingeleitet wird der Abend mit großen Fragen: „Können Bilder staatliche Entscheidungen hinsichtlich von Kriegseinsätzen beeinflussen? Welche Rolle spielen Fotografien in der Mobilisierung von Volk und Militär?“ Normalerweise denkt man sich die Beantwortung der Fragen in Anbetracht der einen bereits das ganze Leben begleitenden Kriege auf der Welt gewohnt nüchtern in folgender Reihenfolge: Erst werden Kriegseinsätze von den Mächtigen eben immer mal wieder beschlossen und angefangen, Landstriche samt Bevölkerung werden in bündnispolitischer Zusammenarbeit oder auch mal im Alleingang bombardiert und erst dann folgt die Berichterstattung: Fotografen und Reporter dokumentieren die unschöne Angelegenheit mit all den produzierten Leichen, Krüppeln und Elendsszenarien.

Was aber ist mit Bürgerkriegen, mit gewalttätigen politischen Auseinandersetzungen unter Nationalisten oder religiösen Fundamentalisten, die sich gegenseitig bekämpfen? Sicherlich sollen Bilder Propagandazwecken der jeweiligen Kriegsparteien dienen, sollen sie „das Böse“ oder auch „das zu befreiende Volk“ für die jeweils eigene Öffentlichkeit einfach und schnell anschaulich machen – sicherlich können Bilder, beispielsweise von in Mitleidenschaft gezogenen Kindern Mitleid bei Betrachtern unterschiedlichster politischer Motivation erwecken, aber: Können Fotografien nun wirklich eine direkte Einflussnahme auf den Entschluss gegen oder für einen Kriegseinsatz nehmen? Können Bilder und Medienberichterstattung dahin führen, dass ein militärischer Konflikt beendet wird oder einen solchen noch aggressiver aufladen, gar ausweiten und dessen Schrecken in die Länge ziehen?

Manch ein „Spiegelbild der Konfliktlinien“ droht unter den Tisch zu fallen

Romy Fröhlich ist Professorin am Münchner Institut der Kommunikationswissenschaften. Sie erklärt, dass diese und viele andere Fragen bis heute noch nicht vollständig beantwortet worden seien. Anschließend stellt sie den Anwesenden einen ihrer aktuellen Forschungsschwerpunkte vor: das Projekt „INFOCORE – The Role of Media in violent conflict“. Dabei soll über einen Zeitraum von mehreren Jahren hinweg untersucht werden, wie die komplexen Zusammenhänge zwischen strategisch-gestreuter Information (zum Beispiel von Regierungen und dem Militär selbst) und den Massenmedien aussehen. Strategien der Einflussnahme von politischen Akteuren auf die Journalisten während militärischer Einsätze werden analysiert. Auch soll genauer betrachtet werden, welche Rolle die „Expertenmeinungen“ bei der medialen Begleitung von Kriegen spielen. Es soll die politische Tragweite einer „kritischen Intelligenz“ untersucht werden, welche sich unter Umständen ein wenig außerhalb von der üblichen Massenberichterstattung bewegt.

Die Welt schaut zu während Infrastruktur und einstige Communities zu Grunde gehen

Etwa 15.000 syrische Zivilisten versuchen, in der einst prächtigen Stadt Deir ez-Zor zu überleben. (Foto: Hiller)
Etwa 15.000 syrische Zivilisten versuchen, in der einst prächtigen Stadt Deir ez-Zor zu überleben. (Foto: Hiller)

Der Berliner Ethnologe Benjamin Hiller, seit 2008 freischaffender Journalist und Fotograf, berichtet von seinen Reisen im Nahen und Mittleren Osten. Am heutigen Abend spricht er über seine Erfahrungen im östlichen Teil Syriens und den auch dort tobenden kurdischen Konflikt. Weil Hiller freischaffend arbeitet, muss er sich jede Reise selbst finanzieren und versuchen, seine Bilder und Berichte nach erledigter Arbeit für ein wenig Geld an Käufer loszuwerden. Diese Art der Recherche ist mit finanzieller Unsicherheit verbunden, dafür ist er nicht darauf angewiesen, dort zu wirken, wohin er von Medienhäusern oder Auftraggebern geschickt wird. Im Falle Syriens, wo man seit mittlerweile drei Jahren und geschätzen 150.000 getöteten Menschen vom Bürgerkrieg spricht, war er nicht in dem von der Journalistenszene als gut erreichbar und relativ sicher eingeschätzem Aleppo, sondern in dem seiner Meinung nach bis dato „unterberichteten“ und östlich an den Irak grenzenden Bezirk Deir ez-Zor. Der Fotograf stand nicht selten vor schwer bewaffneten Kämpfern.

Das Ablichten von Verwundeten erfordert neben der persönlichen Stärke ein hohes Maß an Sensibilität. Der Berichterstatter im Krieg darf wohl nie aufhören, Selbstkritik zu üben. Und deswegen erzählt Hiller auch, dass es Situationen gibt nach denen man Fotos ganz einfach sofort lösche, sobald man sich wieder in sicherer Umgebung wähne. Was soll ein Journalist tun, wenn er mit vorgehaltener Waffe gezwungen wird eine Hinrichtung oder Tathergänge abzulichten, welche ganz klar den Genfer Konventionen widersprechen?

Oft bleiben Landesteile „unterberichtet“ – andere stehen zu sehr im Fokus der Berichterstattung

Hiller war in von Bomben zerstörten Landstrichen und syrischen Städten, hat sich in Krankenhäusern und Flüchtlingscamps aufgehalten. Die von den Gewaltszenarien und der zerstörten Infrastruktur flüchtenden Menschenmassen finden sich meist sofort in abermals unzumutbaren Umständen wieder. Hilfsorganisationen sind schlicht überfordert. In Flüchtlingscamps können politisch wirkende Implikationen, also schlicht praktizierte Fremdenfeindlichkeit und ideologische Voreingenommenheit, mit krassen Konsequenzen auf die ohnehin mehr als notdürftige Versorgungslage nicht geleugnet werden.

Eine österreichische Zeitung, so Hiller, habe sogar einmal einen Syrer zitiert, der in Erwägung gezogen habe, mit seiner kleinen Tochter lieber „wieder zurück in den Krieg“ zu gehen, als länger in einem der Flüchtlingscamps ausharren zu müssen. Auf die Frage, wie man sich auf eine Reise in ein solches Krisengebiet vorbereiten würde, antwortet Hiller die Bundeswehr würde Wochenkurse anbieten, die den Journalisten gewisse Basics zur Gewährleistung ihrer eigenen Sicherheit vermitteln sollen. Er selbst hätte einen solchen noch nicht in Anspruch genommen. Weiter berichtet Hiller, dass es für einen Berichterstatter in Krisenregionen früher noch die Möglichkeit gab mit Kamera und Stift bewaffnet innerhalb nur eines Tages die Fronten zu wechseln, dass der Beobachter heutzutage allerdings zum Parteigänger verdammt wäre, also entweder ganz klar als Feind oder als Gegner behandelt werden würde.

Auf der Homepage www.infocore.eu kann man sich genauer über das Projekt INFOCORE informieren, dessen Machern sehr daran gelegen ist, nicht nur ein akademisches Publikum anzusprechen. Die Forscher aus verschiedenen Ländern Europas wünschen sich eine konstruktive Zusammenarbeit und Interessierten und Helfern.
Arbeiten von Benjamin Hiller gibt es auf dessen eigener Homepage www.benjamin-hiller.com zu betrachten.

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