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„Das Ende des Regens“: Erzähltheater vom Feinsten

Mit Andrew Bovells „Das Ende des Regens“ erzählt das Metropoltheater in einer furiosen und vielschichtigen Inszenierung die Geschichte zweier Familien, die sich über vier Generationen hinweg aus einem Kreislauf der Entfremdung zwischen Eltern und Kindern zu befreien versuchen.

© Fotos: Jean-Marc Turmes

Von Christina Kockerd

„Da bist du ja, […] bist du nass geworden?“, fragen sich die Figuren, die zu Beginn alle im Regen auf der Bühne stehen, wiederholt. Im Jahre 2039 in Alice Springs, Australien, erhält ein Mann den Anruf seines Sohnes, den er seit vielen Jahren nicht gesehen hat. Ein Fisch fällt vom Himmel vor seine Füße in dieser Welt der Zukunft, die in ihrer dystopischen Konzeption kurz vor dem Untergang zu stehen droht, ein teures Nahrungsmittel, das der Mann sich eigentlich nicht leisten kann. So erzählt „Das Ende des Regens“ nicht nur eine Familiengeschichte, sondern hinterfragt auch aktuelle Lebensweisen, ihren Einfluss auf die Zukunft, Aspekte des Klimawandels und sich dadurch verschiebende Privilegien globalen Zusammenlebens.

Die Machtlosigkeit des Menschen gegenüber den Naturgewalten, aber auch gegenüber dem eigenen Naturell steht dabei als These im Raum, um immer wieder hinterfragt zu werden. Während Henry Law, in dessen pädophiler Neigung die Familientragödie wurzelt, konstatiert, er habe sich nicht ausgesucht, wie er sei, setzt seine Frau Elisabeth ihm an anderer Stelle entgegen: „Wir sind, was wir glauben zu sein, und nicht, was die Natur uns vorherbestimmt hat.“

„Es geht doch nur um das Leben“

Dazu dient der ständige Niederschlag als Metapher für das Schicksal, das für Gabriel Law, Gabrielle York, ihren Sohn und dessen Sohn unweigerlich vorherbestimmt zu sein scheint. Um deren Begegnung ordnen sich die Szenen des Stückes zwischen den Zeiten und den Orten springend an. Die jeweils doppelt besetzten weiblichen Figuren werden besonders bemerkenswert von den Schauspielerinnen Lilly Forgách, Eli Wasserscheid, Dascha von Waberer und Vanessa Eckart verkörpert. Spricht die ältere Gabrielle mit der jüngeren, um ihr die Zukunft ins Ohr zu flüstern, läuft es einem kalt den Rücken hinunter. Dazu trägt auch die suggestiv wabernde Musik bei, deren repetitiver Sound die Stimmung eines Abends kreiert, der das Publikum bis zum letzten Augenblick nicht mehr loslässt.

Der Tisch, um den sich die Familienmitglieder in verschiedenen Konstellationen immer wieder versammeln, steht als Konstante und als Zentrum inmitten des Bühnenbilds von Thomas Flach. Dieses wird von einem an Lametta erinnernden schwarzen Fadenvorhang gerahmt. Wenn sich die Schnüre des Vorhangs bewegen, reflektieren sie das Licht ein fortwährender Regen. Wie der Regen kehrt auch die Fischsuppe zurück, die sich die Figuren gegenseitig servieren. Dies lässt die Erzählweise der Inszenierung beachtlich rund erscheinen und passt inhaltlich zu der Tatsache, dass die Entfremdung zwischen Eltern und Kind sich über die betrachteten Generationen im immer gleichen Narrativ wiederholt: Sich nichts zu sagen zu haben, könne auch bedeuten, sich so viel zu sagen zu haben, das man gar nicht erst wage, damit anzufangen.

So erzählt „Das Ende des Regens“ ebenso in leisen Tönen vom Schweigen, das zwischenmenschliche Beziehungen zerstören oder sogar unmöglich machen kann. Hierzu wird auf der Bühne im Gespräch nicht auf Stühlen gesessen, sondern auf Koffern. Ihre Inhalte stellen Erinnerungen und Wegsteine des Plots dar. Insgesamt zeichnet sich die Inszenierung vor allem durch ihre beeindruckende dramaturgische und motivische Stringenz aus, innerhalb derer jeder Gegenstand der Requisite seine Funktion erfüllt und narrativ wieder aufgegriffen wird.

Ebenso fasziniert die tiefe Menschlichkeit der Figuren, die in ihren Kämpfen nahbar und einer Aufteilung in Gut und Böse enthoben wirken. „Es geht doch nur um das Leben“, sagt die gealterte, vergesslich werdende Gabrielle zu ihrem Mann und besser könnte sich die Funktionsweise der Produktion, die die Zeichensprache des Theaters par excellence bedient, nicht zusammenfassen lassen. Nicht zuletzt deswegen schlägt dieser Freimanner Theaterabend in den Bann und entlässt mit dem zufriedenen Gefühl, gerade Erzähltheater vom Feinsten erlebt zu haben.

Kommende Vorstellungen: 1. August, 5. August, 7. August, 9. August; jeweils 20 Uhr
Tickets: zwischen 13 und 23 €, Dienstag = Theatertag: 4 € reduziert
Infos: www.metropoltheater.com

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