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Theater ohne Barrieren

In seiner Reihe „All Inclusive“ zeigt das Metropoltheater in München Vorstellungen für Blinde, Sehbehinderte und Gehörlose. Wie läuft so ein Theaterbesuch ab? Unsere Autorin hat Besucher*innen bei der jüngsten Inszenierung begleitet.

Vanessa Eckart, James Newton (hinten), Dascha von Waberer, Hubert Schedlbauer (vorne) © Foto: Jean-Marc Turmes

Von Christina Kockerd

„Ein Theater mit Audiodeskription ist für mich absolut barrierefrei. Im normalen Theater dagegen brauche ich eigentlich immer eine Begleitperson, die durch Beschreiben hilft“, schildert der Hörfilmautor Sascha Schulze sein Erleben von Theateraufführungen. Sascha Schulze ist blind und arbeitet für Hörfilm München. An einem Abend Ende Juli ist er aber als einer der Besucher*innen im Metropoltheater, die sich innerhalb der Reihe „All Inclusive“ eine Vorstellung der Inszenierung von Andrew Bovells „Das Ende des Regens“ ansehen, beziehungsweise anhören.

Vor Beginn brennt noch das Arbeitslicht auf der Bühne, als ein gespanntes Grüppchen von etwa zehn blinden Theatergänger*innen und anderen Interessierten auf die Bühne klettert, um sich Bühnenbild und Requisiten zu ertasten. Das Gummigranulat, das den kompletten Boden bedeckt, gibt unter den Schritten leicht quietschend nach. Besonders fasziniert der schwarze Fadenvorhang, der das Licht reflektierend den ganzen Bühnenraum rahmt und an Lametta erinnert oder an Tonbänder, die man aus einer Kassette ziehen kann, schlägt eine der sehenden Anwesenden vor. Sie lacht begeistert und lässt einen der Fäden durch ihre Finger gleiten.

Die anderen Teilnehmer*innen sind inzwischen schon zu dem großen Holztisch in der Mitte der Bühne vorgedrungen, ihre Gesichter eine Mischung aus Konzentration und gespannter Erwartung. Über das allgemeine Stimmengewirr hinweg muss Thomas Flach, Bühnenbildner bei „Das Ende des Regens“ und Organisator der All-Inclusive-Reihe, um Ruhe bitten. Ein Küchentisch bilde ja immer einen Mittelpunkt des Familienlebens, erklärt er. Gesessen wird hier allerdings nicht auf Stühlen, sondern auf Koffern, von denen zwei Besucher*innen den Inhalt mit den Händen erkunden, es klappert ein wenig. „Das Gepäck des Lebens“, stellt einer von ihnen bezeichnenderweise fest.

Das Nötige beschreiben, ohne zu viel zu verraten

Die Bühnenbegehung und die Möglichkeit, alles tastend zu entdecken, mache das Angebot des Metropoltheaters schon zu etwas Besonderem, sagt eine blinde Besucherin, als sich die Gruppe anschließend in der warmen Abendsonne verstreut hat.

In der Pause trinken Schulze und ein anderer Zuhörer Limonade und Cappuccino, die eine Nachbarin des Theaters aus dem Theatercafé gebracht hat. Sie gehöre hier praktisch schon zum Inventar, sagt sie lächelnd. Sie unterstütze gerne bei den All-Inclusive-Veranstaltungen und der angebotenen Abholung der blinden und sehbehinderten Besucher*innen von der U-Bahn. Im Außenbereich des Metropols haben sich schnell Gesprächsgruppen gebildet, die Atmosphäre ist entspannt und familiär man scheint sich oft schon von den vorherigen All-Inclusive-Vorstellungen oder anderen inklusiven Veranstaltungen zu kennen.

Ja, das Maß an live eingesprochenem Text über die ausgeteilten Kopfhörer sei normal, bestätigen die beiden Männer. Schließlich könne keine Beschreibung erfolgen, wenn gerade eine Figur spricht auch wenn der Kopfhörer am Ohr irgendwie die Erwartungshaltung weckt, ständig etwas erzählt zu bekommen. Schulze ist anzumerken, dass er gerne über das Verfahren und die Wichtigkeit der Audiodeskription spricht, wobei die Devise laute, immer so viel wie möglich zu beschreiben, aber so wenig wie möglich zu verraten.

Ob das Theater eine Rolle beim Voranbringen von Inklusion in der Gesellschaft spielen kann? Ja, natürlich, da sind sich die Männer einig, denn bei barrierefreier Gestaltung hätten ja alle etwas von einem Theaterabend.

„Ich gehe gern ins Theater für Hörende, mir gefällt der Stil“

Eine gehörlose Zuschauerin, mit der ein Gespräch durch eine Gebärdensprachdolmetscherin möglich wird, relativiert diese Zuversicht etwas. Inklusion sei zwar toll, aber für sie bedeute das nun mal konkret, dass immer ein Dolmetscher anwesend sei. Im Metropol sei das Angebot super, gebärdet sie strahlend: „Ich gehe gerne ins Theater für Hörende. Mir gefällt der Stil und dass so viel auf der Bühne passiert.“ Auch eine andere gehörlose Gesprächspartnerin findet: Diese Veranstaltung müsste vielmehr beworben werden. Besonders interessant und neu sei bei „Das Ende des Regens“ auch, dass die beiden Gebärdensprachdolmetscherinnen direkt neben den Schauspieler*innen auf der Bühne agieren.

Bei einem Glas Wein im sich langsam leerenden Foyer des Metropoltheaters bringt Flach seine eigene Faszination für Gebärdensprache auf der Bühne zum Ausdruck. Bedeute sie doch eine eigene ästhetische Ebene auch für hörende Zuschauer: „Durch die Gesten gehen ganz neue Welten auf; sie können unter Umständen deutlicher sein als gesprochene Sprache.“ Von der Frage nach der Bedeutung des Theaters beim Thema Inklusion ist er jedoch nicht ganz überzeugt, sondern plädiert für eine pragmatische Sichtweise. „Ein Theaterabend ist immer einzigartig und macht deswegen im kleinen Rahmen auch eine einzigartige Begegnung möglich“, umschreibt er und schaut nachdenklich durch das Foyer.

Ziel der Reihe sei es, jeweils ein Drittel an blinden und sehbehinderten, gehörlosen und Theatergänger*innen ohne Einschränkung im Publikum zu erreichen. Vor allem Zuschauer*innen ohne körperliche Einschränkungen würden durch diese Zusammenkunft vielleicht angeregt, über die Lebensrealität von ihren blinden, sehbehinderten und gehörlosen Mitmenschen nachzudenken. Flach stützt sich mit den Unterarmen auf dem Stehtisch ab. Er wirkt müde, aber glücklich. Die Frage nach der Rolle des Theaters für die Inklusion wiegt er nochmal ab, hätte sie gleich mit einem Zitat des Kabarettisten Dieter Hildebrandt beantworten sollen: „Ja, ein bisschen.“

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