Sophie Utikal über ihr Online-Projekt „Kleiderkreisel“
Das Gespräch führte Christoffer Leber
Mir gegenüber sitzt Sophie aus München, die Gründerin des Online-Flohmarkts Kleiderkreisel. Nach einem letzten Schluck aus unserer „Spritzigen Stunde“ (eine Ingwer-Tee-Mischung), steht sie mir Rede und Antwort zu ihrem ehrgeizigen Projekt.
Liebe Sophie, zu Beginn ein kleiner Eisbrecher: Was machst du außerhalb vom Kleiderkreisel? Studieren? Ausbildung? Arbeiten?
Nicht viel (lacht).Ich studiere amerikanische Kulturgeschichte, bin jetzt im vierten Semester und versuche, dieses Studium irgendwie zu meistern. Naja, ansonsten bin ich seit zwei Wochen im Schwimmverein und widme mich den Rest der Zeit dem Kleiderkreisel.
Nun zum Kleiderkreisel: Worum geht es dabei genau?
Kleiderkreisel ist eine Handelsplattform für Kleidung, Accessoires und Selbstgemachtes. Man hat alle drei Optionen: Man kann tauschen, verkaufen und verschenken und dazu gibt es noch ein Forum, in dem man über alles mögliche reden und diskutieren kann.
Ganz am Rande: Trägst du gerade Klamotten vom Kleiderkreisel?
Ich glaub fast alles, was ich heute anhabe, ist vom Kleiderkreisel: Die Stiefel, das Kleid, mein Pulli, die Ringe und sogar der Nagellack sind da her (lacht).
Und alles in allem, wie viel Prozent deiner Klamotten stammen vom Kleiderkreisel?
Mittlerweile bestimmt 90%. Seitdem es den Kleiderkreisel gibt, also seit gut 2 Jahren, war ich schon nicht mehr in der Stadt Klamotten einkaufen – abgesehen von Unterwäsche oder so…
Verwaltest du die Seite allein oder seid ihr zu Mehreren? Wenn ja, welche Aufgaben machst du?
Wir sind zu dritt, d.h. drei Festangestellte: Martin (Huber), Susanne (Richter) und ich. Mittlerweile haben wir auch noch etwa 20 Onlinemoderatoren, die das Forum verwalten, weil wir Drei natürlich nicht 24 Stunden online sein können. Dafür haben wir die Moderatoren, die dort freiwillig nach dem Rechten schauen. Ich selbst mache die Pressearbeit, oder wie es offiziell heißt: corporate communication. […] Ich bin sozusagen das verbindende Glied zwischen Firma und Außenwelt, indem ich zum Beispiel Pressemitteilungen schreibe und für eine zusammenhängende Identität von Kleiderkreisel sorge (Visitenkarten, Plakate und und und).
Corporate identity heißt das doch in Fachkreisen, oder?
Ja genau, das ist das Wort… ansonsten bin ich für unsere Facebookseite zuständig und ich schau, ob wir eine Kooperation mit einer anderen Firma eingehen können (die sollte am besten auch ökologische Ziele verfolgen). Nächste Woche ist zum Beispiel die Europäische Woche zur Abfallvermeidung, für die ich ein Projekt organisiere und dazu muss ich mir natürlich überlegen: Ok, welche Firma könnte uns sponsorn? Solche Sachen eben.
Studium und Kleiderkreisel – geht das so einfach?
Naja, es geht gerade noch so. Ich schaff‘ mittlerweile nur noch zwei Scheine im Semester. Zum Glück mache ich ein Magisterstudium, wodurch ich viele Freiheiten habe; mein Studium ist nicht so „verplant“ und ich kann viel selbst entscheiden. Generell ist es schon schwierig, weil mir mein Studium viel gibt, und Kleiderkreisel auf der anderen Seite auch. Es ist eben schwer, für zwei unterschiedliche Dinge gleichzeitig 100% geben zu können – vor allem wenn beide Dinge einem selbst enorm wichtig sind, sozusagen zwei Herzen in einer Brust schlagen.
Wie bist du eigentlich darauf gekommen, solch eine Seite aufzubauen? Gibt es eine Hintergrundgeschichte?
Die Geschichte dahinter war vor zwei Jahren, also im Sommer 2009. Da bin ich mit einer guten Schulfreundin, Susanne, in einem Bus durch Osteuropa gefahren (eigentlich wollten wir so etwas wie InterRail machen, sind dann aber auf eigene Faust rumgefahren): Wir waren in Kiev, Minsk und sind dann nach Vilnius gefahren, also nach Litauen. […] Über Couchsurfing haben wir in jeder Stadt irgendwo eine Unterkunft gefunden. In Vilnius sind wir schließlich auf Justus Janaukas gestoßen, der sozusagen das master mind – oder anders formuliert: der Vater des Gedankens – von Kleiderkreisel ist. Justus hat sich das ganze schon vor drei Jahren überlegt, programmiert und aufgezogen. Damals lief das Projekt gerade mal ein Jahr lang in Litauen und das ziemlich erfolgreich. Susanne und ich waren total begeistert von der Idee … abgesehen davon fanden wir Justus ziemlich süß (lacht).
Wie seid ihr die Sache angegangen? Was habt ihr am Anfang gemacht?
Nach unserer Reise waren wir ein halbes Jahr in Deutschland und Justus hat uns gefragt, ob wir Kleiderkreisel nicht auf Deutschland übertragen wollen. Wir haben gleich gesagt: Ja klar! Justus hat erstmal eine interne englische Version der Seite aufgezogen, die wir dann auf deutsch übersetzt haben. Unsere Seite finanziert sich über Werbebanner und Klicks, aber damals hatten wir weder Mitglieder noch Sponsoren, also mussten wir irgendwie versuchen, ohne Geld, ohne Sponsoren, ohne Mitglieder auf uns aufmerksam zu machen und eine PR-Aktion zu starten…
Konntest du Dinge aus deinem Studium für Kleiderkreisel nutzen?
Nein (lacht). Was mir am meisten gebracht hab, war meine Zeit beim Studentenradio M94.5: Wie ich Interviews geben soll, wie ich eine Pressemitteilung verfasse, und generell wie die Pressearbeit funktioniert. […] Ich hatte davor Statistik studiert und das hat mir im Grunde genommen nicht viel gebracht.
Was hast du bislang für dich persönlich aus dem Projekt gezogen? Bist du durch Kleiderkreisel in irgendeiner Form gewachsen?
Körperlich bin ich seitdem nicht so stark gewachsen (lacht). Ich glaub, ich habe gelernt kommunikativer zu sein, weil solche Möglichkeiten – wie dieses Interview jetzt – sich nur dann ergeben, wenn man mit den Menschen redet. Ich hab immer im Kopf gehabt: „Wie kann ich Kleiderkreisel bekannter machen?“. Deshalb habe ich versucht, mich mit Leuten zu vernetzen. Ich glaub schon, dass ich offener und kreativer geworden bin: Ich hab gelernt, wie man Projekte managet, wie man sich die eigene Zeit einteilt, Deadlines einhält, und ganz einfach, wie man ein Projekt richtig angeht. Ich weiß jetzt, was ich mir zumuten kann, wie belastbar ich bin, weil ich erst jetzt gesehen hab, wie viel das eigene Bewusstsein ausmacht, wie wichtig es ist, sich immer wieder selbst zu motivieren.
Auf eurer Seite heißt es: „Mach mit und kämpfe stilvoll gegen Verschwendung!“ Möchtet ihr mit Kleiderkreisel auch ein politisches Zeichen setzen?
Klar, wir sagen auch öfter, dass wir dem Konsum einen neuen Sinn geben wollen, dass es eben nicht mehr um diesen stumpfsinnigen Konsum geht: Man kauft sich Dinge, nicht weil man es unbedingt braucht, sondern nur weil es neu sein soll. Bei uns geht es darum, dass man für dieses Gefühl, sich etwas Neues gekauft zu haben, nicht extra etwas Neues produziert werden muss. Es ist ja alles schon da. Es kann nicht sein, dass man so viele Sachen besitzt, die einfach im Schrank verstauben. Diese Verschwendung ist total sinnlos und macht mich persönlich sehr wütend. Wir versuchen diesem Konsumwahn entgegenzuwirken, indem wir ein Forum bieten, auf dem du deine Jeans gegen einen Pulli tauschen oder sie verkaufen kannst. Es ist doch ein schöner Gedanke, wenn wir uns irgendwann nichts mehr Neues kaufen müssen und mit all dem auskommen können, was wir haben? Ich zum Beispiel hab es seit zwei Jahren geschafft, mir fast nichts mehr Neues zu kaufen, weil eben alles möglich ist. Es gibt so viele Kleidungsstücke, die nur darauf warten, von jemand anderem getragen zu werden und sozusagen ein „zweites Leben“ geschenkt zu bekommen.
Ich hab übrigens letztens einen wirklich schönen gebrauchten Parka gefunden …
… Echt? Cool! Stell dir jetzt mal vor, dieser Parker würde im Keller verrotten, und du müsstest dir einen neuen kaufen, der sehr viel teurer ist. Ich fänd’s auch super, wenn es zukünftig einen Kleiderkreisel für alles geben würde. Wir sind zwar nur für Kleidung da, aber wieso soll es das nicht irgendwann für Bohrmaschinen geben? Wie oft braucht man schon eine Bohrmaschine, vielleicht fünf oder zehn mal? Und dafür kauf‘ ich mir extra eine neue? Es wär doch viel besser, wenn man mit seinen Mitmenschen zusammenkommen könnte, um Ressourcen zu teilen.
Du würdest schon sagen, dass ganz schön viel von dir selbst in Kleiderkreisel steckt, oder?
Dieser ökologische Aspekt auf jeden Fall. Leider kann man damit allein nicht so viel Geld machen, weshalb wir uns auch viel um die Mode-Blogger-Szene kümmern, die Kleiderkreisel zwar ganz cool findet, der es dabei aber mehr um den Fashion-Aspekt als um Ökologie geht. Das interessiert mich persönlich etwas weniger, ist aber bei machen Entscheidungen ein sehr wichtiger Faktor. Für die Zukunft hoffe ich, dass wir’s schaffen, fast ausschließlich mit ökologischen Firmen zu werben. Leider gibt es im Modebereich nur wenige Firmen, die auf Nachhaltigkeit achten, aber das wird sich hoffentlich bald ändern.
Was erhoffst du dir vom Kleiderkreisel für die Zukunft? Gibt es weitere Pläne?
Ich hoffe, dass es irgendwann noch mehr Portale wie Kleiderkreisel gibt, z.B. solche, die sich auf Möbel oder Geschirr spezialisieren – eben alles, was man im Leben braucht. Unsere Zentrale in Litauen arbeitet außerdem daran, dieses Portal in anderen Ländern aufzubauen: Eine gute Freundin von mir hat es gerade in Tschechien aufgebaut, andere in Spanien und in den Niederlanden. Irgendwann sollen es mal rund 20 Länder sein, in denen es Kleiderkreisel gibt, die alle miteinander vernetzt werden sollen: So kann ich mich beispielsweise hier mit jemandem aus Spanien über ein bestimmtes Kleidungsstück austauschen.