Kulturphilter

Zu Gast bei Sokrates

Premierenkritik: Theaterregisseur Thom Luz schöpft für sein jüngstes Auftragswerk im Cuvilliéstheater aus drei ganz unterschiedlichen Komödien des griechischen Dichters Aristophanes. Herauskommt eine philosophisch-komische Debatte mit offensichtlicher Liebe zur Philologie.

Gedanken als Wolken, abgefüllt in Plastiksäcken. Wenn sie platzen, lösen sie sich in Luft auf. Foto: Sandra Then

Von Samuel Kopp

Was geschieht, wenn Menschen durch Bildung und die Kunst der Rhetorik dazu befähigt werden, die Debatte zu manipulieren, auch offensichtliches Unrecht zum Sieg zu argumentieren? Diese Frage könnte dem Politikteil der heutigen Tageszeitung entstammen; Aristophanes, der erste Komödiendichter von Weltrang, hat die Problematik bereits vor knapp zweieinhalb Jahrtausenden in seinem Stück „Die Wolken“ behandelt, was eindrucksvoll zeigt, weshalb sich seine Werke nach wie vor großer Aktualität erfreuen, obwohl wir heute viele der Anspielungen auf die Tagespolitik des antiken Athen oder Spitzen gegen die damalige Prominenz gar nicht mehr verstehen.

So hat nun auch Thom Luz, Hausregisseur des Residenztheaters, eine moderne Bearbeitung des aristophanischen Komödienstoffs vorgelegt. Die Inszenierung mit dem sperrigen Titel „Die Wolken, die Vögel, der Reichtum“ soll Motive aus drei Werken des Aristophanes verbinden – ein ziemlich gewagtes Unterfangen, da es sich bei diesen nicht etwa um eine Inhaltstrilogie handelt, sondern um drei voneinander völlig unabhängige Komödien mit jeweils in sich abgeschlossener Handlung.

Philosophie im „Phrontisterion“

Die naheliegende Befürchtung, dieses Experiment könne zu einem unverdaulichen Konglomerat verschiedener Komödienversatzstücke geraten, bewahrheitet sich glücklicherweise nicht. Stattdessen werden Motive des Aristophanes frei und ungezwungen mit Erwägungen antiker Philosophen verknüpft. So kommt man schließlich in den Genuss einer ausgedehnten, bisweilen philosophischen, bisweilen komischen Debatte im sogenannten Phrontisterion, einer fiktiven Denkfabrik des Sokrates. 

Dort verhandeln die Schüler des großen Meisters emotional und kontrovers wichtige Themen des menschlichen Lebens: die Flüchtigkeit der Gedanken, das Wesen der Wahrheit, aber auch die Zirkulation des Geldes. Wer sich daraus bedeutende Erkenntnisse erhofft, wird jedoch enttäuscht, wie auch der antike Sokrates diejenigen, die sich auf eine Diskussion mit ihm einließen, am Ende oft ratlos zurückgelassen haben soll. Und wie beim antiken Sokrates fällt es mitunter schwer, den komplexen Gedankengängen, von denen einer den nächsten jagt, zu folgen.

Insider-Gags für Altphilologen

Auch sonst sollte man für dieses Stück studiert haben: Wenn etwa ein Schüler des Sokrates erzählt, er sei bei Delphi einem alten blinden Mann hinterhergelaufen, so muss man dazu wissen, dass Aristophanes den Reichtum als einen verwahrlosten Greis personifiziert hat, der aufgrund seiner Blindheit nicht sehen kann, wie ungleich er seine Gaben verteilt. Oder wenn das Reich der Vögel wie eine kommunistische Utopie geschildert wird, ergibt sich die eigentliche Komik daraus, dass die Vögel bei Aristophanes die Welt gewaltsam unter ihre Herrschaft zwingen, indem sie eine Stadt im Himmel errichten und von dort den Austausch zwischen Menschen und Göttern unterbinden. Auf diese Weise sind in die Inszenierung noch viele weitere geistreiche Gags und Anspielungen eingebaut, die sich allerdings nur dann erschließen, wenn man mit Aristophanes‘ Komödien im Speziellen und der griechischen Literaturgeschichte im Allgemeinen einigermaßen vertraut ist.

Denkfabrik: Sokrates‘ Schule, das „Phrontisterion“, hat den betongrauen Charme einer Fabrikhalle. Foto: Sandra Then.


Wer diesbezüglich keine Vorkenntnisse hat, wird zumindest das stets überzeugende Spiel des Ensembles und das originelle Bühnenbild (Gedanken als in Plastiksäcke verpackter Nebel – eine ebenso simple wie geniale Idee) zu würdigen wissen, wie auch die Musik- und Gesangspartien, die schon zu Aristophanes‘ Zeiten in keiner Komödie fehlen durften: Für diese sorgt eine Art antiker Chorführer, der vor der Bühne steht und mit seinen Instrumenten den Takt vorgibt. Doch selbst der lässt es sich nicht nehmen, in seine Tätigkeit den einen oder anderen Fachvortrag über die Überlieferungsgeschichte der aristophanischen Komödien einzubauen.

Als die Schüler des Sokrates schließlich die neu erworbene philosophische Bildung gegen ihren Lehrer selbst wenden, die Instrumente vor der Bühne in ihre Gewalt bringen und die Aufführung mit unharmonischer Krawallmusik endet, äußert eine Dame in den Rängen gut hörbar ihre Erleichterung: „Gott sei Dank, aus!“. Vielleicht bezog sich das ja nur auf eben jene finale Kakophonie – bezogen auf das ganze Stück wäre ein solch harsches Urteil zwar nachvollziehbar, aber doch nicht ganz gerecht: Immer wieder bietet Luz‘ Inszenierung unterhaltsame und anregende Elemente, und wer an der antiken griechischen Literatur seine Freude hat, kann auch an dieser unkonventionellen Bearbeitung des aristophanischen Komödienstoffs Gefallen finden.

„Die Wolken, die Vögel, der Reichtum“ soll noch an verschiedenen Terminen im Dezember und Januar im Cuvilliéstheater aufgeführt werden. Eine Übersicht über die aktuellen Hygieneauflagen und Karten für die Vorstellungen gibt es auf der Website des Residenztheaters

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