Kulturphilter

Wohin man blickt, Gesichter

Verstörende Kunst ist nachdenklich und anregend zugleich. Verzerrung und Vertuschung verführen zur Fokussierung auf den Ursprung. Exemplarisch hierfür steht die aktuelle Ausstellung der afroamerikanischen Künstlerin Ellen Gallagher im Münchener Haus der Kunst. Sie offenbart einen tiefen Einblick in ihre philosophische Seele und hinterlässt schnell einen bleibenden Eindruck auf die Besucher.

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Düstere Unterwassewelten mit Medusa-Komponenten    (Foto: Kopczewski)

In drei Räumen wird vor allem Gallaghers persönliche Verarbeitung von Korruption inszeniert, welche sich größtenteils durch das Verzerren und Hervorheben afrikanischer Gesichtszüge äußert. Im ersten Raum setzt sie sich tiefgründig mit ihrem Unterbewusstsein auseinander und bearbeitet Erfahrungen die sie auf einem Forschungsschiff während der Studienzeit sammelte. Tiefe Unterwasserwelten, welche schon von sich aus einen mystischen und verschleierten Anschein haben, erlangen durch die feinen Feder- und Pinselstriche der Kunstschöpferin einen unerwarteten Twist, den man aber oftmals erst bei genauerer Betrachtung entdeckt. Wohin man auch blickt – Gesichter! Unheimliche, unzufriedene Gesichter mit karikiertem Ausdruck und verunstalteten Augen und Lippen. Die dargestellten Lebewesen und Umgebungen erhalten hierdurch eine neue Dimension, welche flüchtigen Betrachtern des Unterwassers bislang verschollen blieb.

Gallagher greift geschickt das Gefühl von Unheimlichkeit, das schon epochenlang in uns wummert wenn wir uns mit dem Mysterium des tiefen, weiten Ozeans befassen, auf. Man denke nur an Loch Ness, Medusa oder Atlantis. Deshalb ist es keine Überraschung, dass ausgerechnet Captain Ahab aus Moby Dick das berühmteste Werk („Bird in Hand“) auf einer überwältigend großen Leinwand ziert. Es ist die prägnante Kulmination der subtileren Deutungen – welche den anderen Kunstwerken des Raumes zu entnehmen sind – auf die ‚tatsächliche’ Wesensart des Unterwassers.

Gallaghers Visionen

Ähnlich korrupt stellt Gallagher die Print- und Druckwelt der US-amerikanischen Medien dar. Als Inspiration setzt sie die verunstaltenden Minstrel Shows ein, welche durch ihre negative Stereotypisierung der afrikanischen Rasse auf eine spielerische und leichtfüßige Art und Weise auffielen. Die Minstrel Shows wurden bis in die 60er Jahre aufgeführt und umfassten eine Vielfalt von Tanz, Musik und Sketchen, die vor einem weißen Publikum, vorwiegend Arbeiter, in der ganzen Republik aufgeführt wurden. Die Tatsache, dass Münder und Augen in diesen Vorstellungen gewollt losgelöst schienen, kritisiert die Künstlerin durch ihre Betonung genau dieser Gesichtsteile. Augen sind zum Beispiel mit schwarzer Tinte ausgemalt oder weiß zugeklebt. Collagen bestehen aus alten Zeitungen wie „Ebony“ und „Our World“ sowie beunruhigenden Bildlichkeiten wie „brains“ (dt. Gehirne) und „canned meats“ (dt. Dosenfleisch) und stehen repräsentativ für die Entmenschlichung der afrikanischen Rasse durch die Amerikaner. Diese klebten sich ihre Sklaven und Untergeordneten nach ihren Vorstellungen zusammen – genau wie Gallagher das mit verschiedenen Elementen auch in ihrer Kunst tut.

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Die Zeitungscollagen sind von der Farbe Gelb geprägt.    (Foto: Kopczewski)

Ein weiteres wiederkehrendes Motiv ist Idealisierung. Haut bleichen. Haare bleichen. Schönheitsversprechen, die amerikanisieren sollen. Frauen sollen noch schöner werden dank aufwendiger Frisuren. Man muss zurechtgebogen werden um auszureichen. Die Unendlichkeit dieser Forderungen spiegelt sich in der unglaublichen Vielfältigkeit und Größe dieser Collagen wider, was wiederum das hohe Kreativitätspotenzial der Künstlerin unterstreicht. Diese beschränkt sich dabei nicht nur auf ein Medium, sondern versucht sich auch im Film. Ihre Kindheitsbesessenheit mit Bildsuchern und Projektionen – welche sie in einem Interview offen kundgibt – wird durch eine einzige Filminstallation aufgegriffen, und beherbergt mysteriöse Aalfresser.

Ein Aufschrei der Kunst

Während man durch die Ausstellung schleicht, fällt einem die eigensinnige Technik, die hinter der Erschaffung der Kunstwerke steht, stark ins Auge. Gallaghers Arbeitsweise ist akribisch in ihrer höchsten Form und prahlt mit dem breitgefächerten Einsatz von Aquarell, Tusche, Graphit, Plastilin und Papierschnitt. Lagen über Lagen von Geklebtem und Ausgeschnittenem sind in verschiedensten Konstellationen zu sehen und zeigen die erstaunliche Aufwendigkeit der verschiedenen Arbeitsmethoden.

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Eine ganze Reihe von besonderen Geschöpfen.                  (Foto: Kopczewski)

Das Schicksal der Afrikaner im Zuge der Versklavung durch die USA und die daraus entstandenen sozialen Konsequenzen umfassen die Kunstsammlung und bestätigen die Dringlichkeit einer Auseinandersetzung mit dieser Thematik. Parallel zum Oscar von Steve McQueens „12 Years A Slave“ reißt auch Gallagher die Wunden, die den Afroamerikanern auf kurzfristige und langfristige Sicht hinzugefügt wurden, auf. Dabei manifestiert sie die psychischen und seelischen Verletzungen in ihrer vollkommenen Bandbreite durch ihre Kunst – diese ist eben auch ein lauter Aufschrei.

Ellen Gallaghers AxMeAusstellung läuft noch bis zum 13. Juli im Haus der Kunst.

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