Franz Xaver Kroetz über Pasing, das Schreiben und Sex im Theater
„Unser berühmtester noch lebender Dramatiker“, so stellte Sandra Maischberger Franz Xaver Kroetz bei einem seiner wenigen Talkshowauftritte im Jahr 2009 vor. Philtrat trifft ihn im Haus seiner Eltern in Pasing-Obermenzing – und erlebt den für seine Wutausbrüche berüchtigten Schriftsteller und Schauspieler in gemütlicher Plauderlaune. Das Interview in voller Länge.
Herr Kroetz, haben Sie eine bestimmte Vorstellung von München, ein München-Bild?
Franz Xaver Kroetz: Wenn ich ehrlich bin, hab‘ ich eigentlich nur ein Bild von Pasing. Dieses Haus hier ist mein Elternhaus, seit 1953 sind wir hier. Damals war Pasing innerhalb Münchens noch eigenständiger. Insofern bin ich eher Pasinger als Münchner. Und ich leide unter den Veränderungen hier sehr, weil so viel umgebaut wird. Diese „Pasing Arcaden“ zum Beispiel sind eine Schande. Dafür gehört man eigentlich eingesperrt, dass man so einen fantasielosen Kasten ohne Kino oder irgendeine Anbindung an einen Hauch von Kultur überhaupt bauen darf – und dass das dann auch noch Arcaden heißt! Aber eigentlich wohne ich ja hauptsächlich im Chiemgau draußen…
…oder sonst auf Teneriffa.
Ja, da wohn‘ ich auch schon seit 1996, vor allem im Winter. Erst einmal hatte das gesundheitliche Gründe. Mein jüngster Sohn und meine Tochter hatten als Kleinkinder sehr schweres Asthma. Auf ärztlichen Rat hin sind wir dann nach Teneriffa gezogen und gependelt. Es war schön da und nicht zu teuer. Die Kinder haben sich erholt und sie sind vollständig zweisprachig aufgewachsen. Mein 18-Jähriger Sohn ist eigentlich ein Kanarier, das merkt man schon von weitem.
Sprechen Ihre Kinder auch Bairisch?
Für einen echten Bayern eigentlich nicht so wahnsinnig gut. Auch wenn sie mich eines Besseren belehren wollen, so wie gestern auf d’Nacht beim Kartenspielen. „Siehst du, Papa, ich kann ja doch Bairisch“, hat meine Tochter neulich gesagt. Schön find ich ja, dass viele auf Bairisch SMS schreiben, weil es kürzer und prägnanter ist. „Wia geht’s dan?“ – viel praktischer als „Wie geht es dir denn?“
Dialekt spielt ja auch eine zentrale Rolle in Ihren Stücken.
Ja, das schon. Trotzdem habe ich nie wirklich in dieser bairischen Schriftsprache geschrieben, die es ja durchaus gibt. Eher ist die Wurzel Bairisch, von der Satzfügung her. Meine frühen Stücke hätte ich ohne das Bairische nicht schreiben können. Aber es wirklich in der kompletten Lauthaftigkeit hinzuschreiben, mit e-a und Oachkatzlschwoaaaf, das nutzt nichts. Es hilft Schauspielern nicht, die überhaupt kein Bairisch können. Und den all den bayerischen Schauspielern dagegen, die meine Stücke gespielt haben, so jemandem wie Ruth Drexel oder Gustl Bayrhammer, denen hat mein Bairisch haushoch genügt, um ihm ihre individuelle Färbung zu verleihen. Wer’s nicht kann, kann’s nicht, aus.
Wie wurde das in den Übersetzungen Ihrer Stücke gehandhabt?
Ehrlich gesagt habe ich mich darum schon lange nicht mehr gekümmert. Aber in den 80er Jahren, da waren es glaube ich 27 Sprachen, in die ich übersetzt worden bin. So weit es ging, wurde versucht, adäquate Dialekte zu finden. Auf Französisch ist es anscheinend sehr schwer, im Englischen und Amerikanischen hat es dagegen gut funktioniert. Es war das Ziel intelligenter Übersetzer, das irgendwie verheimatlich im richtigen Kontext anzubringen. Lieber nicht wörtlich und nicht so genau, aber für das Publikum stimmig.
Seit den 60er Jahren wurden mehrmals jährlich Stücke von Ihnen uraufgeführt. Schreiben Sie derzeit noch?
Nein, seit etwa 10 Jahren nicht mehr. Meine Tochter und ich haben noch zusammen Federico Garcia Lorca aus dem Spanischen übersetzt. Aber eigene Stücke nun schon lange nicht.
Warum nicht?
Es hat einfach nicht mehr funktioniert. Sie sitzen ja einem sehr erfolglosen Gegenwartsautor gegenüber. Als junger Klassiker geh ich vielleicht durch, meine ersten dreißig Stücke werden nach wie vor gespielt. Aber meine letzten Stücke waren krankhaft erfolglos.
Der Erfolg war also etwas, das Sie zum Weiterschreiben gebracht hat?
Natürlich, man will ja nicht nur uraufgeführt, sondern auch weiter gespielt werden. Ich bin ganz ehrlich: Ich habe immer auch geschrieben, um Geld zu verdienen. Auch meine Kollegen Molière und Shakespeare haben geschrieben, um Geld zu verdienen, nicht um die Welt zu verändern. Dass es vielleicht den ein oder anderen Nebeneffekt hat – nicht die Welt, aber den ein oder anderen Menschen zu bewegen – das ist natürlich schön. Ich habe über sechzig Stücke geschrieben und mich aufgezehrt daran, die ganze Familie damit tyrannisiert. Eine meiner Töchter hat mit sechs Jahren in ihr Tagebuch geschrieben: „Wir sind verzweifelt. Papa kann nicht schreiben“. Mit sechs Jahren! Um die Jahrtausendwende dann hat mich Schreiben immer mehr angestrengt. Dann dachte ich mir: Jetzt quäl‘ ich mich so, meine Leber geht kaputt, weil ich immer so viel saufen muss vor dem leeren Papier – jetzt langt’s dann auch mal.
Lyrik schreiben sie nach wie vor. In einem ihrer Gedichte, November, heißt es „tröste mich / denn ich hasse dich/ Literatur.“
Achje, das ist ja uralt.
Ist es nach wie vor gültig?
Oh nein, da hat sich vieles vollkommen geändert. Manchmal wache ich auf mit einem schweren Mühlstein um den Hals und denke mir: Um Gottes willen, Franz, du wolltest Schriftsteller werden, und dann bist du es geworden, aber jetzt ist das wohl wieder vorbei. Denn du tust dir ja für eine Zeile in einem Gedicht schon so schwer, du schreibst ja gar nichts mehr. Liegt der Dichter etwa schon draußen auf dem Friedhof? Das tut mir schon leid, da dieses exzessive Schreiben eine schöne Zeit war. Man hat gelitten und rausgespuckt und gelitten und rausgespuckt. Dieser Vulkan, der täglich rausgeschleudert hat, ist inzwischen leider still. Aber, wie gesagt, Erfolg und Zuspruch machen produktiv – und als ich merkte, dass ich die als Theaterautor nicht mehr hatte, hat sich bei mir schon eine verfestigte Verzweiflung gebildet.
Man möchte natürlich überall gespielt werden, von Flensburg bis Wien. Es gehen ja ohnehin nur drei Prozent der Bevölkerung ins Theater – und ich glaube mal, dass da sogar die Musicalbesucher dazugezählt werden – da frag ich mich dann schon: Wen erreiche ich damit noch? Da schreibt man ja pro 50 Zuschauer ein Stück.
Gehören Sie zu den drei Prozent? Gehen Sie selbst ins Theater?
Eher weniger. Das liegt an all den Veränderungen. Geht ihr denn noch ins Theater?
Ja, schon.
Ich habe keine Lust, ins Theater zu gehen und nicht das Stück zu sehen, sondern stattdessen – irgendwas. Mein Lebenssinn für Theater als Schauspieler und als Dramatiker war: Man sieht und erfährt, wie Menschen ticken. Ich habe einmal gelernt, dass Regie führen heißt, einen Text auf der Bühne möglich zu machen. Mit dem Aufkommen des Regietheaters – vorsichtig ausgedrückt – sehe ich nur noch die Regisseure ticken. Früher, bilde ich mir jedenfalls ein, hatte Theater mehr gesellschaftliche Kompetenz. Als Rolf Hochhuth noch geschrieben hat und Peter Weiss und solche Leute. Heute kenne ich fast niemanden mehr, der ins Theater geht. Es gibt keinen Aufruhr mehr, keine Relevanz, keinen Skandal. Es ist, wie wenn man zu Witzigmann geht: überflüssig.
Trotzdem: Natürlich soll man ins Theater gehen und Theater machen, ich würde mir nur wünschen, es käme aus der Selbstbeweihräucherung heraus und wieder bei der gesellschaftlichen Wirklichkeit an.
Liegt das auch an den heutigen Dramatikern?
Ein wenig natürlich schon. Da sind keine großen relevanten Stücke. Es gibt wenige gute Dramatiker heute, mir fällt da etwa Der Gott des Gemetzels von Yasmina Reza ein. Der Großteil der Gegenwartsstücke ist sehr privat, sehr klein. Aber das liegt daran, dass das Theater generell heute zu weit weg von den Texten ist. Als ich noch richtig in München wohnte, war ich öfter im Theater, jetzt ist es immer ein Aufwand von zwei Stunden Fahrt, dafür dass ich mir dann zwei Stunden lang irgendeinen Krampf anschau‘ ….und es keine Pause gibt…! Und selbst wenn eine wär‘, könnt‘ ich ja nicht gehen, die kennen mich ja und merken das dann alle (lacht). Da geh‘ ich lieber ins Kino. Das darf man fast nicht sagen, ist aber so.
In was denn?
Zuletzt dieser Film mit Michael Douglas und Matt Damon, Liberace. Und die Serie Breaking Bad finde ich toll. Heute wollte ich mir Venus im Pelz von Polanski anschauen.
Mittlerweile habe ich einfach so viel Theater gesehen, dass ich nach zehn Minuten weiß, was passiert. Selbst beim Regietheater – jetzt kommt er wahrscheinlich mit Wasser, dann Blut, dann ist diese Szene hier gestrichen, weil sie nicht reinpasst, stattdessen liest er dann was aus der Süddeutschen oder von Heiner Müller vor an der Stelle… Also muss ich mich auf das Regieteam einlassen und nicht auf das Stück. Auf diese Hanseln scheiß‘ ich aber.
Was halten Sie davon, Stücke stattdessen zu lesen?
Das ist wunderbar.
Fehlt nicht auch was ohne Inszenierung?
Was in München momentan passiert, mit meiner letzten Uraufführung beispielsweise, von Du hast gewackelt – das hat mit mir überhaupt nichts zu tun. Da wird aus meinem Text etwas ganz anderes gemacht. Etwa auch Bauernsterben an den Kammerspielen, inszeniert von Armin Petras. Ohne das jetzt groß beurteilen zu wollen, was entsteht – es ist trotz allem spannend – aber ich erkenne mein eigenes Stück kaum wieder. Insofern: Es wäre mir sehr recht, wenn man meine Stücke einfach liest. Nur so kommt man heute noch wirklich in die Köpfe der Leute rein.
In Ihren Stücken steckt auch viel Haut und Sex drin. Warum eigentlich? Warum wird da so viel gevögelt?
(Überlegt lange.) Da muss ich mir jetzt eine intelligente Antwort überlegen (lacht). Eigentlich habe ich das nie so wahrgenommen. Als junger Dramatiker mit Anfang zwanzig oder eigentlich auch heute noch, frage ich mich oft, wenn ich ein Paar sehe: Wie vögeln die eigentlich miteinander? Ganz wertfrei genommen sind Sexszenen wahnsinnig gute Szenen, um zu zeigen, wie Menschen ticken. Also: Stürzen die sich aufeinander, wie sind die im Bett miteinander, wie gehen die miteinander um… gegeben fürs Theater! Du brauchst keinen Wald, keine Rehe, kein großes Bühnenbild, nur eine Matratze, kannst dir das Kostüm sparen – und bist am Kern. Das ist eine der spannendsten Situationen. Bei Stallerhof zum Beispiel, da ist ein Knecht in bäuerlichen Verhältnissen, der einsam ist, und der sitzt auf dem Klo und wichst, mit einem Heftl. Er sagt nichts. Das war einfach ein Bild, das ich verwendet habe, um ohne Text seine Trostlosigkeit und Einsamkeit darzustellen. Diese Methode war auch im Kontext damals mit Fassbinder und Horvath und anderen zu sehen. Wir fanden diese Sexualisierung natürlich einfach spannend. Vielleicht sind wir heute gesellschaftlich auch spießiger geworden. Damals wurde das nicht so stark diskutiert.
Wie war Ihr Verhältnis zu Rainer Werner Fassbinder?
Eigentlich gar keines. Wir hatten wenig miteinander zu tun. Fassbinder suchte für Pioniere in Ingolstadt von Marieluise Fleißer noch einen Leutnant und hat mich dann genommen, meine Partnerin damals war Hannah Schygulla. Er fand mich bestimmt als Schauspieler nicht gut. Ich kam aus einer ganz anderen Richtung, vom Wiener Max-Reinhardt-Seminar. Ich habe noch mit Fleisch und Blut gespielt, während er einen distanzierteren Stil geprägt hat, das sieht man auch in den Filmen, wenn ihr an Katzelmacher denkt zum Beispiel.
Sehr spannend war, dass er eben dieses Fleißerstück irgendwoher hatte, ich weiß gar nicht woher, und mich hat das sehr beeindruckt. Ich hatte mit realistischem Theater davor gar nichts am Hut. Dass da in einem solch konkreten Deutsch geschrieben wurde, hat uns sehr fasziniert.
Filme drehen so wie Fassbinder wollten Sie damals nicht?
Nein. Ich kann nur Sprache denken. Ich habe ein paar Fernsehspiele gemacht, aber man merkt, dass die schlecht sind, weil ich nicht in Bildern denken kann. Am Theater konnte ich besser inszenieren, da man praktisch die ganze Zeit die Totale hat.
Das Theater ist heute also nicht mehr politisch relevant genug – ist es wahr, dass auch die Leute nicht mehr politisch sind? Wie sehen Sie das, dass es so viele junge CSU-Wähler gibt, dass viele junge Leute heute konservativer sind als ihre Eltern?
Ich denke, dass das folgerichtig so kommen musste, denn wir leben inzwischen in einer völligen kapitalistischen Diktatur. Das ist keine Diktatur mit Straflagern oder ähnlichem, sondern eine süße, weiche, sanfte Diktatur. Und das Tollste ist, dass die Leute es nicht merken. Mit dem Untergang des Sozialismus – so beschissen das alles war – gibt es nicht einmal mehr dieses andere Fenster. Diese armseligen Wichtelchen, die durch eben solche Einkaufszentren wie die Arcaden rennen – kein Wunder, dass sie sich vor so etwas wie der Schröder-SPD zurückgezogen haben! Und vor allem auch die Medien sind daran schuld, die Überreizung. Wann kommst du denn heute noch zu dir selber? Die Köpfe und die Menschen sind kaputt gegangen. Andererseits freue ich mich über Attac, Greenpeace und dergleichen und die öffnende Rolle, die Medien auch einnehmen können, besonders das Internet: seinen Zugang zu Informationen oder auch die Versammlungsmöglichkeiten, wenn man an den Arabischen Frühling denkt. Aber ich glaube, hier bei uns, auf dieser Speckseite des Kapitalismus, ist es das Gegenteil. Statt dass der Mensch in einer Not zu sich selbst kommt, weil er etwas nicht bekommt, wird er hier zugeschüttet mit einer Masse von Billigwaren.
In meinem Alter bin ich dazu gekommen, dass ich einen Heidenrespekt hab‘ vor dem Kapitalismus. Er ist ein wahnsinnig gut arbeitendes System, das keine Konkurrenz mehr hat.
Also wären Sie heute auch nicht mehr in der DKP aktiv wie in den 70ern?
Die gibt es ja nun nicht mehr – aber nein nein, nach wie vor wähle ich Die Linke, wenn ich wählen gehe, und zwar nicht weil ich Gysi oder derartige aufgeblasene Frösche so toll finde, sondern weil ich glaube, dass wir nach wie vor eine starke Opposition brauchen. Ich wünsche mir nicht, dass die Linke die Regierung übernimmt, aber so stelle ich mir eine Opposition vor.
Könnte nicht das Theater helfen?
An sich schon, aber momentan sehe ich das nicht. Ich glaube nicht an das Zurückkommen des Theaters in eine gesellschaftliche Funktion hinein, weil kein Bedürfnis da ist.
Muss das vielleicht aus anderen Ländern kommen? Ist Deutschland einfach zu übersättigt?
Ich unterstütze da eure Sehnsucht. Ich wünsche mir so sehr, dass Menschen sagen: „Ich scheiße auf so einen Porsche, ich will Gedichte lesen“. Nur: Ob die Not kreativ macht, das ist ja nicht sicher. Meistens ist es erstmal wichtig, dass in den Schüsseln was zu essen drin ist. Wir können da nicht raus. Bös‘ gesagt: Du liest halt erst die Gedichte, wenn du den Porsche hast. Das ist das Schreckliche an dem Ganzen.
Ist es mit dem Schauspielern anders als mit dem Schreiben? Sie drehen ja wenige Filme, aber doch immer wieder.
Als Schriftsteller ist man frei – als Schauspieler dagegen Angestellter. Das was ich in 20 Jahren gedreht habe, drehen andere in zwei Jahren. Schauspielerei hat mich nie sehr interessiert, das ist eigentlich nicht so mein Ding. Zwar kriege ich nicht die Wahnsinnsrollen angeboten, aber mehr könnte ich ja schon machen. Mir reicht es aber, eine Rolle im Jahr zu spielen, um drin zu bleiben und als Altersversorgung. Oder wenn dann eines der Kinder ein Auto will – dann dreh ich halt mal wieder ein paar Tage. Als Schauspieler verdient man nicht schlecht. Doch nach einer Rolle ist auch meine Phantasie für ein Jahr erschöpft. So wie andere sehr geschätzte Kollegen wie Ottfried Fischer, so viele Filme drehen, das könnte ich nicht. Es würde mich zu sehr entleeren, meine Seele schädigen. Ohnehin stehe ich dem Fernsehen gespalten gegenüber – und Schauspielerei ist ja eigentlich ein langweiliger Beruf.
Wie kam es denn trotzdem zu Kir Royal?
Ich bin ja gelernter Schauspieler, war mit 15 auf der Schauspielschule und mein ganzes Leben lang immer auch irgendwie nebenbei auf der Bühne. Mit Kir Royal hatten sie schon angefangen, drei Tage lang wurde schon gedreht, Nikolaus Paryla sollte den Baby Schimmerlos spielen. Aber da stellte der Dietl fest: Das geht nicht. Sie haben den Dreh gestoppt. Was nie passiert, da man sich das nicht leisten kann. Daraufhin wurde krampfhaft jemand gesucht. Seine Assistenten haben dem Dietl zwanzig oder dreißig Filme vor die Füße geschüttet, um einen neuen Hauptdarsteller zu finden. Darunter auch Trocadero – in dem Film hab ich eine meiner Röllchen gespielt. Sie wollten ihm Ludwig Hirsch empfehlen. Aber da sagte der Helmut: Nein, der andere wär’s, der Kroetz. Aber der macht’s ja doch nicht, das ist ja so ein Linker.
Und dann?
Dann wurde ich angefragt. Ich hatte gerade wieder irgend so eine Scheiß-Krise und da kam mir das gerade recht. Ich dachte: Das bin ich überhaupt nicht, dieser Schimmerlos. Das ist toll.
Das scheint ja auch ein wenig absurd: Diese Serie nimmt die Münchner Schickeria aufs Korn – und jetzt werden Kir Royal-Partys gefeiert und das Ganze bejaht. Im Grunde ist es bei Kir Royal so wie bei La Dolce Vita: Durch die Satire entsteht erst der Mythos. Das passt ja eigentlich wirklich nicht zu Ihnen und kann man durchaus auch kritisieren.
Ich verstehe das, aber ich als Schauspieler habe nie versucht, Einfluss zu nehmen oder mir irgend eine Wirkung erhofft. Meine Aufgabe ist es nur, zu schauen, ob ich die Rolle spielen kann. Aber man merkte gleich, dass es intelligent ist. Als ich Dietl kennenlernte, wusste ich gleich, das ist ein klasse Mann. Sowas wie Kir Royal, das gibt’s ja heut‘ gar nicht mehr. Die Serie war bis in die kleinsten Rollen mit großartigen Schauspielern besetzt. Da spielt ein Herbert Wessely, der zu der Zeit einer der begehrtesten Darsteller war, den Portier. Ich glaube nicht, dass ich so ein großartiger Schauspieler bin. Ich kann nur ein ganz kleines Stückchen vom Kuchen, in dem bin ich gut. Auch die Senta (Berger, Kroetz‘ Partnerin in der Serie, Anm. d. Red.) ist vielleicht nicht die größte Schauspielerin aller Zeiten, aber die Kollegen haben uns sehr getragen. Der Hildebrandt mit seiner Schnelligkeit, die er vom Kabarett hatte… Ich hab da sehr viel gelernt. Der Dietl hat auch einen schönen Mann aus mir gemacht. Ich war davor und danach wirklich nicht begehrt, habe Bauern gespielt und Lkw-Fahrer. Aber so eine lebendige, bunte Figur, vor dem die Frauen in Ohnmacht fallen, das hat der Dietl aus mir gemacht – mit ganz einfachen Tricks: Ich hatte immer den Schnurrbart nach unten. Der Helmut hat ihn nach oben – und schon wars frech und positiv. Auch der Anzug, das Gehen….alles.
Haben Sie am Anfang von Kir Royal schon gedacht, dass das eine derartige Kultserie werden könnte?
Nein, überhaupt nicht. Ich wurde verachtet. Von den Theaterleuten, von Herbert Achternbusch zum Beispiel. In der Theaterkneipe damals, im Gläsernen Eck da beim Blauen Haus, war das ein Schimpfwort: „Ah, da kommt der Baby!“
Werden Sie heute auf der Straße erkannt?
Ich genieße das bisschen Popularität, das ich noch hab. Diese zwei, drei Jahre nach Kir Royal konnte ich nachts nicht mit der S-Bahn heimfahren. „Da steht der Baby!“ riefen da die Betrunkenen. Und das schon am Hauptbahnhof! Da fehlten ja noch einige Stationen! Das wurden sehr teure Taxifahrten. Heute kann ich wieder unbesorgt S-Bahn fahren, aber wenn man mich oder meinen Namen erkennt, bin ich natürlich schon stolz. Nur: Wenn der Name nur mit Kir Royal verbunden wär, fänd ich es schade. Wenn das nicht so ist, bin ich dankbar. Ich bin Schriftsteller gewesen, mein Leben lang. Alles andere war nur so am Rande, Abwechslung zum öden Dichterdasein. Mein Weg war einfach nicht der geradlinige. Ich war nie auf der Uni, hab‘ mit Ach und Krach mittlere Reife gemacht. Es ist nicht mein Ding, keine Fehler zu machen. Aber sonst hätte ich vielleicht auch gar nicht schreiben können.