Zwei Wirtschaftsstudenten schreiben neben dem Studium ein Buch über den Klimawandel, auf 128 Seiten im Pixieformat. Im Interview berichten David Nelles und Christian Serrer von der Idee hinter dem Projekt, der Zusammenarbeit mit Klimaforscher*innen und, wieso ihr Buch nicht mehr als eine Pizza kostet.
Das Gespräch führte Noah Prausnitz
Wie seid ihr auf die Idee gekommen, dieses Buch zu schreiben?
David Nelles: Wir hatten im Grunde nicht besonders viel Ahnung vom Klimawandel. Klar geworden ist uns das, als wir vor eineinhalb Jahren in der Mensa saßen und uns über die üblichen Klimathemen ausgetauscht haben: Dürren, Überschwemmungen, CO2-Emissionen. Wir haben uns damals unzählige Fragen gestellt: Welchen Beitrag leistet der Mensch zur globalen Erwärmung? Wie werden sich Ernteerträge dadurch voraussichtlich entwickeln? Und welchen Einfluss hat der Klimawandel auf unsere Gesundheit? Wir wollten aber kein dickes Fachbuch lesen, sondern eines, das die Thematik kurz, leicht verständlich und mit anschaulichen Grafiken auf den Punkt bringt. So ein Buch haben wir nicht gefunden und haben uns dann gesagt: Wir schreiben es selbst.
Wie habt ihr euch als Laien an das Thema herangetastet?
Christian Serrer: Wenn man keine Ahnung von dem Thema hat, ist es schwierig, sich zurechtzufinden, herauszufinden, was eigentlich alles in den Klimawandel hineinspielt. Sich einen Überblick zu verschaffen, war also die erste Herausforderung: Was sind die wirklich wichtigen Punkte, die wir in das Buch mit rein nehmen? Deshalb haben wir alles gelesen, was uns in die Finger kam. Ich habe beispielsweise mal eine ganze Woche lang nur über die Antarktis gelesen …
David Nelles: Im Prinzip war die größte Herausforderung der Zeitplan, wir dachten ursprünglich: In zwei Monaten sind wir damit durch. Dann mussten wir aber kurzfristig ein Praxissemester einlegen und haben unser Auslandssemester abgesagt, um das noch hinzubekommen. Das war wahrscheinlich die größte Überraschung.
Ihr habt für die Veröffentlichung euren eigenen Verlag gegründet. Weshalb?
David Nelles: Unser Ziel war es, so viele Menschen wie möglich mit dem Buch zu erreichen. Und wenn irgendwo in der Buchhandlung ein Klimawandel-Buch für 15 Euro steht, dann werden sich das die Wenigsten kaufen, selbst wenn da noch so schöne Grafiken drin sind. Uns als Studenten war also klar: Unser Buch darf definitiv nicht mehr kosten als eine Pizza. Ganz konkret hatten wir da fünf Euro anvisiert und das hätten wir niemals mit dem „klassischen Verlag“ machen können. Deshalb haben wir dann unseren eigenen Verlag gegründet.
Haben euch die Wirtschaftskenntnisse aus dem Studium dabei geholfen?
David Nelles: Das hat uns definitiv geholfen, weil man da die betriebswirtschaftlichen Werkzeuge an die Hand bekommt, um Sachen wie Steuererklärungen oder Gewerbeanmeldungen zu machen.
Christian Serrer: Die meisten Begriffe waren uns geläufig, ich glaube, das hat uns ziemlich viel Zeit erspart.
Warum wurde ein Buch wie eures, das den Klimawandel kurz und knapp erklärt, bislang nicht geschrieben?
Christian Serrer: Zunächst muss auf jeden Fall die Motivation da sein, das ganze Wissen zusammenzutragen. Das ist ja ein riesiger koordinativer Aufwand, da ein*e Klimawissenschaftler*in sich nicht mit allen Bereichen des Klimawandels befasst, sondern in der Regel auf ein bestimmtes Feld spezialisiert ist, wie zum Beispiel auf das Pflanzenwachstum oder die Meereisforschung. Wenn man ein umfassendes Werk schreiben will, muss man sich viele andere Leute suchen, die einem helfen. So wie wir das letztendlich gemacht haben. Was auch eine Rolle spielt, ist der Preis. Wenn man das Buch so günstig verkaufen will wie wir, so dass es sich wirklich jede*r leisten kann, dann ist der Klimawandel das falsche Thema, um Geld zu verdienen. Auch unser Studentenstatus hat es uns ermöglicht, dieses Buch zu schreiben. Wenn man eine Familie hat und auf ein festes Gehalt angewiesen ist, ist so was natürlich schwierig.
Ihr habt für euer Projekt viele Wissenschaftler*innen gewinnen können. Wie kam es zur Zusammenarbeit?
Christian Serrer: Wir haben die Texte vorgeschrieben und dabei gemerkt, dass wir bei dem Umfang des Themas schnell mal etwas Wichtiges vergessen können oder schlimmstenfalls falsche Informationen in unser Buch aufnehmen. Um das zu vermeiden, haben wir versucht, so viele Wissenschaftler*innen wie möglich zu erreichen und für unser Projekt zu begeistern. Manchmal waren die Leute erst mal skeptisch, aber sobald wir dann per Skype mit ihnen gesprochen und von unserer Buchidee erzählt haben, hat sich das gelegt. Schlussendlich haben uns über 100 Wissenschaftler*innen unterstützt. Es war auf jeden Fall die richtige Entscheidung, weil die Texte dadurch so präzise sind, wie sie sind, und hoffentlich auch ohne Fehler.
In Klimawandel-Diskursen wird die Verantwortung entweder den Konsumierenden oder der Wirtschaft sowie auch gerne der Politik zugeschoben. Welchen Ansatz findet ihr sinnvoller?
David Nelles: Wir sind der Meinung, dass sich beide Seiten bewegen müssen. Politik, Gesellschaft und Wirtschaft müssen an einem Strang ziehen. Das hat man beim Atomausstieg sehr gut gesehen: Nach Fukushima hat Deutschland den Atomausstieg beschlossen, in Frankreich hat sich rein gar nichts verändert. Das lag vor allem daran, dass es in Deutschland diesen Druck von der Bevölkerung gab, weil jede*r Einzelne dafür auf die Straße gegangen ist und jahrzehntelang demonstriert hat. Dann ist die Politik gezwungen, sich zu bewegen. Die Politik sollte natürlich auch die Bevölkerung über Problemtechnologien wie beispielsweise Kohlestrom aufklären, verdeutlichen, dass sich da etwas verändern muss. Zu warten, bis die Leute einer Meinung sind, reicht nicht. Es braucht den Mut der Politik, da auch mal anzuecken.
Was denkt ihr: Wie erreicht man die Leute mit Themen wie dem Klimawandel am besten?
Christian Serrer: Uns ist während des Projekts aufgefallen: Wenn über das Thema berichtet wird, dann geht es oft um den Meeresspiegelanstieg, man sieht Bilder von abgemagerten Eisbären. Das Problem ist nur: Uns am Bodensee betrifft der Meeresspiegelanstieg wenig, auch der Eisbär interessiert uns nicht, der hat mit unserer Lebensrealität erst mal nichts zu tun. Vielen ist nicht klar, dass der Klimawandel uns in Europa heute schon genauso betrifft, und zwar jede*n Einzelne*n. Es ist wichtig, den Leuten klar zu machen: Man muss nicht so extrem emotionalisieren, sondern objektiv die Fakten darlegen. Wenn man kommuniziert, dass in Zukunft immer mehr Hitzetote zu erwarten sind, dass die Gefahr von Infektionskrankheiten durch Starkregenereignisse und Überflutungen zunehmen wird. Dann wird den Leuten das Ausmaß des Problems ziemlich schnell bewusst. Und sobald man versteht: „Oh, das betrifft mich selbst“, fängt man auch an, zu handeln.
Ein großer Teil eures Buches widmet sich der Beschreibung und Erklärung des Klimawandels, mögliche Lösungen finden sich vorwiegend im letzten Kapitel, die Perspektive ist naturwissenschaftlich. Warum diese Struktur?
Christian Serrer: Wir wollten erklären, was das Problem an der globalen Erwärmung ist. Alle wissen, dass es wärmer wird, aber um etwas zu ändern, muss man erst mal das Problem verstehen. Wir haben unser Verhalten nicht nur geändert, weil wir wissen, „es wird wärmer“, sondern weil wir verstanden haben, dass das ein Problem ist. Bei Fragen wie jener nach dem Anteil des Menschen an der Klimaerwärmung wird es natürlich naturwissenschaftlich. Das sind naturwissenschaftliche Phänomene, die wir versucht haben, möglichst einfach und anschaulich zu erklären. Falls man jemandem begegnet, der Klimaskeptiker*in ist oder falsche Aussagen über den Klimawandel macht, kann man mit wissenschaftlichen Fakten kontern.
David Nelles: Wir können es beide nicht leiden, wenn uns jemand sagt: „Mach das!“ Dann fragen wir immer erst mal: Warum? Wir sind davon überzeugt: Wenn man begriffen hat, was der Klimawandel für uns Menschen bedeutet, dann kommt man nicht mehr darum herum, sich zu fragen, was man selbst zum Klimaschutz beitragen kann.
Wie geht es nach dem Projekt für euch weiter?
Christian Serrer: Auf jeden Fall damit weitermachen. Das Thema Klimawandel ist für uns mittlerweile eine Herzensangelegenheit. Unsere Motivation ist nicht nur, darüber zu informieren, sondern auch, selbst was dagegen zu tun. Also daran zu arbeiten, Treibhausgasemissionen zu verringern. Ob das jetzt in einem Unternehmen ist, um erneuerbare Technologien voranzutreiben, um Wissenschaft und Politik zusammenzubringen – wie das genau aussehen wird, kann ich noch nicht sagen, aber auf jeden Fall weiter in diese Richtung.
David Nelles: Ich könnte mir auch vorstellen, politische Rahmenbedingungen zu verändern. Wobei ich mich ehrlich gesagt von der Idee mehr und mehr verabschiede, weil man ja sieht, wie viel in der Politik passiert. [lacht] Von daher glaube ich eher, dass man in Unternehmen, die an umweltfreundlichen Technologien forschen, einen größeren Beitrag zum Klimaschutz leisten kann. Ich kann mir daneben auch vorstellen, mich der Kommunikation anderer Themen zu widmen, aber den Fokus würde ich langfristig schon darauf legen, selbst anzupacken.
„Kleine Gase – Große Wirkung: Der Klimawandel“ von David Nelles und Christian Serrer ist hier erhältlich. Preis: 5,- Euro plus Versandkosten.