Essay

Verses, die zur Kunst führen

Wir haben in der heutigen Zeit ein oft einseitiges und fehlgeleitetes Kunstverständnis. Künstler*innen und ihre Werke werden meist als unzertrennlich angesehen. Aber genau das verschiebt den Fokus von der Kunst auf einen Personenkult. Ein Blick auf den Rapper Tupac „2Pac“ Shakur ist dafür symptomatisch.

Von Till Geginat.

Groß war die Freude, als im Jahr 2012 auf dem Coachella Music Festival der Rapper-Produzent Dr. Dre und sein ehemaliger Protegé Snoop Dogg einen Dritten auf die Bühne holten: 2Pac. Genauer gesagt war es nicht der leibhaftige, sondern eine holografisch anmutende Projektion seiner, die gemeinsam mit Snoop Dogg zwei seiner Songs aufführte. Im Prinzip war der Auftritt bloß ein pseudointeraktives Musikvideo, und doch erzählt es viel darüber, wie wir mit Kunst und Künstler*innen umgehen.

Ungebrochener kultureller Einfluss

Das Interesse an Personen wie Tupac Shakur ist nach wie vor stark. Seine Musik, sein Leben und besonders seine nicht aufgeklärte Ermordung sind Gegenstand des sozialen und kulturellen Lebens vieler Menschen: Nahezu jede*r Rapper*in sieht in ihm ein musikalisches Vorbild. Sein Bild ziert als Graffiti die Wände vieler Städte auf der Welt oder landet auf T-Shirts und Hoodies. Spekulationen um seinen Tod 1996 füllen YouTube und verfestigen sich zu Verschwörungstheorien, die sein Ableben bezweifeln und gar seine Wiederkehr ankündigen. Mal wird er beinahe kritiklos als der Über-Rapper verehrt, der durch seinen Tod zum Hip-Hop-Märtyrer geworden sei. Und mal werden seine Texte und seine Person zum Anlass genommen, um dem Rap ein kriminelles Image anzulasten.

Es besteht kein Zweifel: 2Pac ist ein Rap-Superstar. Und wie es sich für einen Superstar gehört, wird ein einseitiges Bild über die Jahre geschaffen, das den Fokus von seiner Musik auf einen Mythos 2Pac lenkt. Zwar hat er zusammen mit Snoop Dogg beim Coachella performt, aber durch den kurzen Auftritt wird deutlich, dass die Zuschauer*innen weniger seine Musik, seine Kunst, wahrgenommen haben, als eher das multimedial überladene Ereignis. Sein unmöglich gewordener Live-Auftritt ist einem digitalen Fake gewichen, der niemals wie 2Pac sein kann. Stattdessen versuchten die Macher*innen dem Bild zu entsprechen, das das Zielpublikum von ihm hat.

Kunst überlebt den Künstler

Was dabei auf der Strecke bleibt, ist die Kunst. Man kann sich darüber streiten, wie geglückt seine Wandlung von drei sehr politischen Alben zum Gangsta Rap-Klassiker All Eyez on Me verlaufen ist. Es steht jedoch fest, dass seine Musik uns heute noch etwas zu sagen hat und dass wir sie immer wieder neu befragen können. Das Lied Changes vom Album Greatest Hits handelt von hochaktuellen Themen wie der Armut in schwarzen Ghettos, dem institutionellen Rassismus und dem Krieg gegen die Drogen. Instrumental gesampelt wird Bruce Hornsbys The Way It Is – ein Lied, das ähnliche Probleme aufgreift. Changes ist das vielleicht bekannteste Lied von 2Pac und das hängt zweifelsohne mit den im Lied erzählten Geschichten zusammen, die von uns Rezipient*innen jeweils mit unseren gesellschaftlichen Umständen abgeglichen werden können.

Die Kunst lebt auch nach dem Ende der Künstler*innen weiter. Sie kann genutzt und wiederverwendet werden, um neue Kunst zu schaffen. Wir sehen das bei 2Pac im Besonderen daran, dass es inzwischen mehr posthume Alben von ihm gibt, als solche zu Lebzeiten – von der Vielzahl an Fan-Mixtapes ganz zu schweigen. Zweitverwertungen wie Remixe, Mash-Ups und Kompilationen zeugen von der Lebendigkeit der Musik, nicht unbedingt von den Künstler*innen. Wir sollten diese Offenheit der Kunst wertschätzen und sie nicht an die Person der Künstler*innen ketten.

Verhältnis von Publikum und Werk

Sobald nämlich der Pop-Status, das Leben und die „Person dahinter“ die Kunst zu überdecken beginnen, wird der Kunst ein Bärendienst erwiesen. Kunst hat es nicht nötig, zwingend im Zusammenhang mit den Autor*innen gedacht zu werden. Wichtiger und lebendiger ist die Interpretation des Kunstwerks durch die Rezipient*innen. Der italienische Schriftsteller und Philosoph Umberto Eco etwa hat sich dafür stark gemacht, die Intention der Autor*innen hintanzustellen, und sich dem Verhältnis von Leser*innen und Werk zu widmen. 

Zu solch einem Kunstverständnis gehört auch die Vernachlässigung vom Kult, der im Endeffekt mehr von der Person herrührt als von der Kunst. Denn die Kunst ist nicht kultig, sondern zeitlos. Wenn, dann produziert sie ständig neue Kulte. Am Beispiel von 2Pac kann man sehr genau erkennen, wie in der Pop-Kultur Künstler*innen und ihre Werke auf einen Kult zusammengeschrumpft werden. Eine alleinige Beschäftigung mit seiner Kunst aber erspart uns den kultischen Ballast und lässt uns seine Musik besser hören.

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