Essay Unileben

LGBTQIA+ Rechte: „Ihr habt doch schon alles, was wollt ihr denn noch?“

„Ihr habt doch schon alles; die Ehe für alle; Netflix-Charaktere und Regenbögen an jeder Ecke; was wollt ihr denn noch?“ — Ein Artikel darüber, was wir eigentlich noch wollen.

Pride-Pins an der Jacke; können sie einen zur Zielscheibe machen? ©Leonie Lange

Ein Gastbeitrag von Leonie Lange, Referentin des Queer-Referats der Studierendenvertretung der Ludwig-Maximilians-Universität München 

Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung oder der geschlechtlichen Identität sind in Deutschland verboten, die Ehe für alle ist schon über fünf Jahre eingeführt und von vielen Werbeplakaten lächeln uns glückliche queere Menschen entgegen, eigentlich haben wir in Deutschland also alles erreicht, was wir als queere Community wollten — eigentlich. Doch der Schein trügt. Denn trotz aller Errungenschaften haben viele meiner queeren Freund*innen und ich immer wieder ein mulmiges Gefühl wenn wir in der Öffentlichkeit als queer zu erkennen sind oder zu Veranstaltungen wie dem CSD gehen. Denn während bei den großen Paraden hundertauesende Menschen fröhlich durch die Straßen ziehen und sich für Sichtbarkeit und ihre Rechte einsetzen und alles perfekt zu sein scheint, kommt es auch immer häufiger zu Übergriffen gegen queere Personen.

Nach dem CSD in Münster ging der Fall des trans* Manns Malte durch die Schlagzeilen, der nachdem er zwei Frauen verteidigte die homophob beleidigt wurden von einem queerfeindlichen Täter getötet wurde, eine Gruppe von transfeindlichen Autor*innen bekommt von „der Welt“ eine Bühne für ihre unwissenschaftlichen Aussagen geboten, in Osnabrück wird eine trans* Frau von einer Gruppe von betrunkenen Männern auf offener Straße queerfeindlich beleidigt und niemand schreitet ein, Bundestagsabgeordnete der CDU bezeichnen Aufklärung zu queeren Themen auf Twitter als „irre“ und Meldestellen für Queerfeidlichkeit als „Denunziantentum“, AfD Politiker*innen scheuen selbst vor direkter Hassrede auf Twitter nicht zurück und all das kratzt nur an der Spitze der immer weiter ansteigenden Fallzahlen von Diskriminierung und Gewalt gegen LGBTQIA+ Personen. 

Wenn die Rede davon ist, dass wir „doch schon alles haben“ werden die Rechte von trans*, inter* und nicht binären Personen oft vergessen. Insbesondere Transfeindlichkeit ist im Rahmen der Debatte um das als verfassungswidrig eingestufte TSG („Transsexuellengesetz“) wieder salonfähig geworden und selbst unsere beiden ersten trans* Bundestagsabgeordneten Tessa Ganserer und Nike Slawik werden regelmäßig mit falschem Namen und Pronomen angesprochen, beleidigt und bedroht.

Der gesellschaftliche Umgang mit queeren Personen scheint paradox: Zwischen Regenbogenfahnen an jedem Gebäude und gesetzlichen Fortschritten und Beleidigung auf offener Straße und Diffamierung stehen wir zwischen Freude über unsere Errungenschaften und der Angst davor ob der Regenbogenpinn am Rucksack vielleicht jemanden dazu animierten könnte uns anzugreifen. Steigende Sichtbarkeit geht nicht automatisch mit steigender Sicherheit einher. Der Impuls sich weniger offen queer zu zeigen und unter dem Radar zu bleiben scheint da nicht fernzuliegen, doch dies ist nicht für alle möglich und ob sich an gesellschaftliche Erwartungen anzupassen wirklich der beste Weg beim Kampf um Akzeptanz ist fraglich. Denn zum einen wurden unsere bisherigen Errungenschaften nicht durch die angepasstesten Mitglieder der Community erkämpft, sondern durch gerade die, die am auffälligsten sind und am meisten von der Norm abweichen. Zum anderen werden mit der Taktik der Unauffälligkeit und Anpassung aber genau die zurückgelassen, die am meisten in Gefahr sind: Menschen die ihr Queer-Sein nicht verstecken können, insbesondere trans* und gendernonkonforme Personen bleiben weiter Zielscheibe von Anfeindungen.

Deshalb ist es genau in Zeiten, in denen Anfeindungen, Diskriminierung und Gewalt gegen queere Menschen zunehmen, wichtig, als Community zusammen zu stehen und uns gegenseitig zu unterstützen. Denn wie auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen zu sehen ist, sind gesellschaftliche Errungenschaften nicht in Stein gemeißelt und wir müssen aktiv dafür sorgen, dass sie erhalten bleiben. Und der Weg zur Erkämpfung unserer Rechte und gegen Queerfeindlichkeit ist leider noch nicht vorbei.

Unter #QueerOnCampus schreiben Studierende des Queer-Referat der Studierendenvertretung der LMU über LGBTQ+ und andere Themen, die queere Personen im Zusammenhang mit München und dem Studium betreffen. Für die Inhalte sind allein die jeweiligen Autor*innen verantwortlich. Alle Beiträge der Serie hier nachlesen. 

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