Lyrik

Schiller und der Flower-Power

In unserer „So war das sicher nicht gemeint“-Reihe nehmen wir uns namhafter Gedichte der Weltliteratur wie auch wichtiger Werke aus der bildenden Kunst an und interpretieren sie, auf dass unseren alten Deutschlehrer*innen die Haare zu Berge stehen mögen. Diesmal haben wir Friedrich Schillers berühmte Ode „An die Freude“ einer scharfsinnigen Exegese unterzogen. Nur leider haben wir da was missverstanden…

Dante ist schon einmal nicht begeistert: Wir interpretieren die bedeutendsten Gedichte der Weltliteratur mal anders… Foto: Rhodan59, pixabay

Von Johanna Mayer.

Freude, schöner Götterfunken,
Tochter aus Elysium,
Wir betreten feuertrunken
Himmlische, dein Heiligtum.
Deine Zauber binden wieder, 5
Was die Mode streng geteilt;
Alle Menschen werden Brüder,
Wo dein sanfter Flügel weilt.

      Chor
Seid umschlungen, Millionen!
Diesen Kuß der ganzen Welt! 10
Brüder – überm Sternenzelt
Muß ein lieber Vater wohnen.

 Wem der große Wurf gelungen,
Eines Freundes Freund zu sein;
Wer ein holdes Weib errungen, 15
Mische seinen Jubel ein!
Ja – wer auch nur eine Seele
Sein nennt auf dem Erdenrund!
Und wers nie gekonnt, der stehle
Weinend sich aus diesem Bund! 20

       Chor
Was den großen Ring bewohnet,
Huldige der Sympathie!
Zu den Sternen leitet sie,
Wo der Unbekannte thronet.

Freude trinken alle Wesen 25
An den Brüsten der Natur,
Alle Guten, alle Bösen
Folgen ihrer Rosenspur.
Küsse gab sie uns und Reben,
Einen Freund, geprüft im Tod. 30
Wollust ward dem Wurm gegeben,
Und der Cherub steht vor Gott.

       Chor
Ihr stürzt nieder, Millionen?
Ahndest du den Schöpfer, Welt?
Such ihn überm Sternenzelt, 35
Über Sternen muß er wohnen.

 (…)

Friedrich Schiller schuf mit der Ode „An die Freude“ nicht nur ein Werk, dass uns dank Beethovens Vertonung jedes Jahr erneut beim Eurovision Song Contest begegnet (Disclaimer: Sollten die Deutschen dort überhaupt noch teilnehmen?), sondern auch ein Stück Literatur, dass geradezu zukunftsweisende, moderne Züge anzunehmen scheint. Denn auch, wenn Schiller fast 200 Jahre vor der großen Hippie-Bewegung in den 1960er Jahren lebte, lassen sich unübersehbare Gemeinsamkeiten zwischen dem Rebellen unter den Stürmern und Drängern und den flower children finden. Diese sollen nun im Folgenden anhand der Ode „An die Freude“ genauer analysiert und unter die Lupe (oder die Coachella-Vintage-Rainbow-Sonnenbrille?) genommen werden.

War Friedrich Schiller ein Hippie?                                                             

Bereits die ersten vier Verse scheinen die Uridentität der Hippie-Bewegung zu beinhalten: „Freude, schöner Götterfunken, / Tochter aus Elysium, / Wir betreten feuertrunken, / Himmlische, dein Heiligthum!“ umgedeutet werden. Schiller, der um die Puritaner seiner Zeit gewusst haben muss, umschreibt hier unter Verwendung diverser Metaphern sowie Personifikationen sehr geschickt, was wir heute als fernöstlich inspirierte, esoterisch angehauchte Friedenbewegungen kennen. Dies führt dazu, dass die eigentliche message erst dem Menschen der 60er Jahre begreiflich sein konnte. 

Ähnliches gilt für folgenden Vers: „Deine Zauber binden wieder, / Was die Mode streng geteilt“ (V. 5f.). Der Autor möchte hierbei auf den besonderen Kleidungsstil in den 60er Jahren aufmerksam machen, den er natürlich noch nicht kennen, aber als Vorreiter des Flower-Powers und unter gewissen Substanzen stehender Guru bereits schemenhaft erahnen konnte: Er scheint die wallenden, quietschbunten Batikgewänder, Jesus-Latschen (und nackten, bleichen, behaarten Füße), Dreadlocks und bunten Schmuckperlen beim Schreiben des Gedichts geradezu vor Augen gehabt haben, was ihn vermutlich zu diesen kryptischen Formulierungen inspirierte. Auch die Idee der Globalisierung und der Einen Welt sind ihm vertraut: „Alle Menschen werden Brüder, / Wo dein sanfter Flügel weilt. […] Wem der große Wurf gelungen, / Eines Freundes Freund zu sein“ (V. 7ff.). 

Ein weiteres Motiv, das Schiller vermehrt aufgreift und auch der Hippiebewegung nicht unbekannt war – das also eindeutig auf eine Verbindung zwischen beiden hindeutet –  ist die sexuelle Libertinage. Dies bestätigt die häufige Verwendung erotisch aufgeladener Begrifflichkeiten im ersten Teil des Gedichts wie „holdes Weib“ (V. 15) oder „Diesen Kuß der ganzen Welt“ (V. 10). Vor allem der Gedanke der Polyamorie spielt in diesen Zeilen wie auch in den Kommunen der Hippies eine nicht unbedeutende Rolle und mag dem Frauenheld Schiller nicht völlig unbekannt gewesen sein. Eine Interpretation, die weitreichende Schlüsse offen lässt: Sollte das Gedicht den Leser zu einer intensiveren Beschäftigung mit Schillers Person auffordern – diente es also als pure Selbstvermarktung des Stürmers und Drängers? Waren diese Zeilen gar eine Art Tinder des 18. Jahrhunderts und Schiller nutzte seine Gedichte als Dating-Plattform? Oder war sein Ziel tatsächlich nur die Vorhersage der sexuellen Freiheiten des Hippie-Kults – ohne eigene Beteiligung?

Dichter im Drogenrausch

Schiller scheint – wie bisher durch ausführliche Analyse gezeigt wurde – geradezu eine Art Guru zu sein, durch dessen Ode „An die Freude“ die Flower-Power-Bewegung erst entstehen konnte. Dies legt die Vermutung nahe, dass sich deren Begründer*innen den Dichter auch in anderlei Hinsicht zum Vorbild nahmen: Besonders die ersten Verse legen die Schlussfolgerung nahe, dass Schiller zum Schreiben seiner Werke auch zu anderen Mittel(che)n als Tinte und Feder griff, um sich für seine literarischen Höhenflüge in wortwörtlich andere Sphären – man beachte im Gedicht insbesondere die Worte „Elysium“ (V. 2) und „feuertrunken“(V. 3) sowie den geradezu trancehaften Duktus! – zu katapultieren. Diese Bräuche setzen sich auch in den 1960ern fort, besonders anschaulich dargestellt in dem Beatle’schen Musikvideo von „Lucy in the Sky with Diamonds“. Wer nun immer noch nicht von der Anfangsthese, Schiller sei ein Wegbereiter der Hippie-Bewegung, überzeugt ist, der schaue einfach genauer auf den Nachnamen des Dichters: (S)chiller. Noch Fragen?

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