Unileben

Nachteile durch Diversität: Herkunft darf nicht über Zukunft entscheiden

Cemal und Florian lernen sich als Mentee und Mentor über das Beratungsunternehmen Rock Your Life kennen, welches versucht, Ungleichheiten auf dem Bildungsweg etwas entgegenzusetzen.

Mentee Cemal und Mentor Florian, die sich über das Mentoring-Programm von Rock Your Life kennengelernt haben.

Von Peter Seeland.

2008 in Friedrichshafen als Studierendeninitiative gegründet, hilft das Beratungsunternehmen Rock Your Life (RYL) europaweit an über 50 Standorten Kindern und Jugendlichen dabei, Zugang zu allen Bildungswegen zu erlangen. 

Ihr zentrales Projekt ist das Mentoring Programm R!EACH. Dabei engagieren sich Studierende ehrenamtlich, um Kinder und Jugendliche in ihrem Alltag, der Schule und bei ihrer Zukunftsplanung zu unterstützen. So soll eine Brücke zwischen Mittelschule und Universität geschlagen werden. 

Wie Rock Your Life Perspektiven schafft

RYL wendet sich in Vorträgen an Mittelschüler*innen. Interessiert seien vor allem 12- bis 14-Jährige, berichtet Florian, Lehramtsstudent an der LMU. So haben auch er und sein Mentee Cemal, ein Neuntklässler der Walliser Mittelschule in Fürstenried West, sich kennengelernt. Eine Beziehung, die sonst kaum zustande gekommen wäre. An einem Trainingstag zum Thema „Berufswünsche und Profilbildung“ wurde zunächst mit anderen Mentees und Mentor*innen in einer Gruppe von 20 bis 25 Leuten erarbeitet, welche Interessen die Schüler*innen mitbringen, bevor Mentor*in und Mentee zueinander finden.

Cemal beschreibt, was ihn überzeugt hat, am Mentoringprogramm mitzumachen:. „Mich hat angesprochen, dass man mit einem Studenten zusammenkommt und was macht. Du kannst sehen, wie ein Studentenleben aussieht. Andere Perspektiven kennenlernen einfach.“ Er betont zudem, sich durch RYL seiner Möglichkeiten bewusster geworden zu sein und erläutert, wie sich seine Perspektive geweitet habe: Neben einer Ausbildung sei nun auch eine akademische Karriere eine Option. Das Konzept von RYL scheint in diesem Falle aufgegangen, sozio-ökonomische Chancenungleichheit zumindest teilweise ausgeglichen. Empfehlen möchte Cemal das Programm vor allem Mittelschüler*innen, die Probleme mit ihren Noten haben. „Egal was passieren wird, im Endeffekt bereut man es, wenn man nicht aufpasst und nicht weitermacht.“ Er denke auch an Jugendliche, deren Eltern nicht viel freie Zeit für sie aufbringen können. Die beiden verbringen regelmäßig Freizeit zusammen, gehen ins Kino oder bowlen. „Was erleben, was tun. Andere Möglichkeiten kennenlernen.“ erzählt Cemal.

Auch Florian beobachtet den Erfolg von RYL. „Ich würde sagen, diejenigen, die die Möglichkeit haben, mitzumachen und diese natürlich auch erkennen, haben schon eine gute Chance, erhebliche Schwierigkeiten auszugleichen.“ Gute Erfahrungen habe er vor allem darin gemacht, Probleme mit Mitschülern anzugehen und dabei zu helfen, offener über Probleme zu sprechen. Während die zu Grunde liegenden Probleme der Schüler*innen in der Regel außerhalb des Einflussbereiches als Mentor*in lägen, könnten die Mentor*innen den Schüler*innen dabei helfen, einen anderen Umgang mit schwierigen Situationen zu finden. „Dass sie nicht das gleiche machen müssen, was drei Generationen vor ihnen passiert ist, sondern, wenn sie wollen, auch studieren und dadurch ein tolles Leben haben können.“

Im RYL-Programm wirkt bisher auch die Verteilung der Rollen von vermeintlich benachteiligten Mentor*innen und tendenziell bevorteilten Mentees klar: Doch wie sieht die sozio-ökonomische Diversität auf Seiten der Mentor*innen aus? Sind die Grenzen so klar gezogen? Florian erzählt, dass auch unter den studierenden Mentor*innen, die miteinander auch über durch RYL organisierte Treffen im Austausch stehen, erhebliche Unterscheide bestünden. Sowohl in Hinblick auf den familiären Hintergrund als auch die Studienfächer. Er wurde in seinem Lehramtsstudium mit antriebslosen Schüler*innen konfrontiert und hat im Rahmen von Praktika und im Austausch mit Kommiliton*innen Ungleichheiten kennengelernt, die er aus seinem eigenen Alltag noch nicht kannte. 

Gegenseitige Bereicherung auf Augenhöhe

RYL versucht für Mentor*in wie Mentee eine Win-Win-Situation zu ermöglichen und im Fall von Florian und Cemal gelingt es auch. Die beiden scheinen auf Augenhöhe, gegenseitiger Respekt und gemeinsame Ziele lassen ihre unterschiedlichen Startbedingungen in den Hintergrund rücken. Die zu Grunde liegende Ungleichheit kann die Initiative nicht lösen, jedoch einen Perspektivwechsel ermöglichen. RYL kann allen, die sich darauf einlassen, zeigen, was in ihnen steckt; über Ausbildungsmöglichkeiten aufklären, einen Rahmen schaffen, in dem man sich weiterbilden und Chancen entdecken kann. So werden für Cemal seine Zukunftsperspektiven vielseitiger, seine Interessen werden ernst genommen. Zum Plan einer Ausbildung zum KFZ-Mechaniker kommt die Idee eines Geschichtsstudiums hinzu. 

Der Grundgedanke der beiderseitigen Bereicherung kann als Vorbild dienen: Eine Gesellschaft, die sich fruchtbar austauscht, statt im Konflikt aufeinander herabzublicken. RYL schafft es, dem Ziel einer sensiblen, integrierenden und gerechten Gesellschaft näher zu kommen. Projekte wie diese könnten einer zerrissenen Gesellschaft als sozialer Kitt dienen. „Herkunft darf nicht länger über Zukunft entscheiden!“, ist das Credo, das im Kopf bleiben sollte. 

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