Unileben

Campus und Cannabis-Konsum

Die Hochschule ist ein Thema, das bei der Debatte um die Cannabis-Legalisierung häufig außen vor gelassen wird.  Das muss sich ändern. Warum Expert*innen gezielte Hilfsprojekte an Hochschulen fordern.    

Welche Folgen hat die Cannabis-Legalisierung für Studierende und welche Rolle spielen dabei die Universitäten? © TinaKru – Pixabay

Von Patryk Maciejewski.

Wann Bubatz legal? Solche Sprüche liest man aktuell nicht mehr nur auf Memepages, sondern auch auf den Twitterprofilen seriöser Politiker*innen. Der Grund ist mittlerweile allen bekannt: Die Ampelkoalition ist die erste Regierung in der Geschichte Deutschlands, die eine legale Abgabe von Cannabisprodukten ernsthaft in Erwägung zieht. Im Koalitionsvertrag ist hierbei von einer „kontrollierte[n] Abgabe von Cannabis an Erwachsene zu Genusszwecken in lizenzierten Geschäften“ die Rede. Ein mutiger Schritt nicht nur aus drogen- und gesundheitspolitischer, sondern auch aus wirtschaftlicher Sicht: Deutschland setzt den Kurs in Richtung einer gesellschaftlichen Entstigmatisierung des „Rauschgifts“ und könnte mit einem Schlag zum größten europäischen Markt für Cannabisprodukte werden. Eine Cannabissteuer könnte dem Staat satte 4,7 Milliarden Euro im Jahr einbringen, so eine Studie des Düsseldorf Institute for Competition Economics (DICE) im Auftrag des Deutschen Hanfverbands. Soweit bekannt, aber: Woher kommt das ganze Geld? Wer sind die Konsument*innen und wer die „Profiteur*innen“ der Legalisierung und wieso ist das besonders für Hochschulen relevant?

Betrachtet man den Epidemiologischen Suchtsurvey aus dem Jahr 2018, auf dem die Rechnungen des DICE basieren, erkennt man die Gruppe der Hauptkonsument*innen schnell: Spitzenreiter waren in der 12-Monats-Prävalenz die 18 bis 20-Jährigen (24,3%), gefolgt von den 21 bis 24-Jährigen und den 25 bis 29-Jährigen. In der 30-Tage-Prävalenz lag die Gruppe der 21 bis 24-Jährigen vorne. Die Prävalenz erfasst den mindestens einmaligen Cannabiskonsum in einem festgelegten Zeitraum. Die Umfrage zeigt auch: Junge Erwachsene mit einem höheren Bildungsstand (Fachhochschul- bzw. Hochschulreife) haben eine höhere Konsumprävalenz als andere. Einen signifikanten Zusammenhang zwischen Konsum und Migrationshintergrund konnten die Forschenden dabei nicht feststellen. Fazit: Die Gruppe der 18 bis 29-Jährigen ist für mehr als 50 Prozent des Cannabiskonsums verantwortlich und folglich wird ein Großteil der Einnahmen aus dem Cannabishandel, zumindest der Rechnung nach, von Studierenden kommen.

Hochschule und Cannabiskonsum

Trotz der immensen Relevanz der Legalisierung und der hohen Prävalenzzahlen unter Studierenden wird das Thema in der Hochschulpolitik dennoch kaum angesprochen. Zu Unrecht, findet Eva Hoch, Psychologin an der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der LMU, denn: „Gerade in dieser Gruppe ist auch der Anteil derer, die Probleme mit dem Konsum haben, höher.“ Als wissenschaftliche Leiterin des Instituts für Therapieforschung (IFT), welches für den erwähnten Epidemiologischen Suchtsurvey zuständig ist, beschäftigt sie sich schon seit Jahren mit Cannabiskonsum und Cannabisstörungen. „An den Daten aus Deutschland erkennt man: In der Regel wird mit 15 das erste Mal konsumiert. Junge Erwachsene mit problematischem Konsum kommen aber erst Mitte zwanzig in eine Behandlung, da verstreicht sehr viel Zeit. Ich frage mich: Was ist in dieser Zeit passiert? Gibt es gute Behandlungsansätze und sind die den Studierenden bekannt? Schämt man sich?“ so Hoch. Die gesellschaftliche Stigmatisierung von Sucht ist laut der Psychologin einer der größten Faktoren, warum viele junge Menschen erst spät Hilfe suchen, obwohl Suchterkrankungen sehr gut behandelt werden können.

Man könnte sich nun fragen: Wenn höhere Prävalenzraten mehr Konsum und somit mehr Suchtkranke in der jüngeren Bevölkerung bedeuten, wieso sollte man die Droge dann legalisieren? Der Zusammenhang zwischen den beiden Faktoren ist jedoch nicht so eindeutig. Claus Hirsch von der Non-Profit-Organisation Students for a Sensible Drug Policy (SSDP) erklärt es so: „In Kanada beispielsweise sind die Prävalenzraten nur in den älteren Altersgruppen hochgegangen, weil diese Menschen zuvor noch nie Cannabis probiert haben. Was man sagen kann ist, dass in der relevanten Altersgruppe da keine wesentlichen Steigerungen stattgefunden haben.“ Der bessere Jugendschutz habe manchen Studien zufolge sogar zu einer Abnahme der Prävalenzraten geführt, so Hirsch. Die SSDP setzt sich weltweit für eine offene Diskussion über Drogen und Drogenpolitik ein und fordert ein Ende des „War on Drugs“: Schadensminimierung und safer use statt Kriminalisierung und Stigmatisierung. Die Argumentation ist folgende: Der Trend zum Cannabiskonsum hat in vielen westlichen Staaten in den vergangenen Jahren – trotz des Verbots – zugenommen. Demnach scheinen staatliche Eingriffe nicht den erhofften Einfluss auf das Konsumverhalten zu haben. Stattdessen sollte lieber auf Aufklärung gesetzt und den Betroffenen geholfen werden.

Top-down oder Bottom-up?

Wie könnte so ein Ansatz im universitären Kontext aussehen? Sollte die Hochschule Mitverantwortung bei Präventionsmaßnahmen tragen? „Ja, unbedingt“, sagt Hoch. „Als Hochschule sollte man sagen: Wir kümmern uns um euch. Wir stellen Informationen bereit. Man sollte offen und ehrlich aufklären und Cannabis weder verteufeln noch verharmlosen.“ Die Universität hat in den Augen der Psychologin die Pflicht, gesonderte Angebote für Menschen mit problematischem Substanzkonsum bereitzustellen. Diese könne man an die psychotherapeutischen Ambulanzen angliedern, die aktuell nicht entsprechend ausgebildet sind. Denn: Je früher problematischer Konsum bemerkt und therapiert werde, desto höher die Chancen auf Remission, so Hoch. Ein weiterer Grund, Prävention direkt auf dem Campus zu betreiben: Man erreiche schnell und effektiv die kritischen Altersgruppen – ein Aspekt, mit dem sich viele Leistungsanbieter schwertun. Viele Studierende wissen leider nicht, dass es effektive Therapien gibt.

Claus Hirsch sieht die Beteiligung der Hochschulen an Präventionsmaßnamen etwas nüchterner, bestätigt aber: „Sinn würde es auf jeden Fall ergeben. Wie die Prävention konkret ausgestaltet wird, müsste man dann sehen.“ Eine Idee wäre ein Bottom-up-Ansatz. Anstatt zentral über die Hochschule könnte Prävention auch selbstorganisiert stattfinden, beispielsweise durch die Studierendenvertretungen, so Hirsch. Fachschaften, aber auch Unimagazine würden bei solch einem Modell eine Aufklärungsrolle übernehmen und Auskunft über Behandlungsmöglichkeiten für Menschen mit problematischem Konsum geben. Alternativ können externe Organisationen, wie die die SSDP, Ortsverbände an Universitäten gründen und über Therapieangebote und Schadensminimierung beim Konsum informieren.

Cannabis aus der „Schmuddelecke“ holen

Egal ob zentral oder selbstorganisiert, „es sollten Stigma-freie Räume geschaffen werden, in denen Studierende schnell Hilfe bekommen“, fordert Hoch. „Es gibt Forderungen von medizinischen Fachgesellschaften, dass die Steuereinnahmen der Legalisierung für Prävention und Behandlung zu Verfügung gestellt werden.“ Laut Hoch ist dies eine echte Chance, das Thema Drogen und Abhängigkeit aus der „Schmuddelecke“ zu holen. Weitere Chancen der Legalisierung sieht Claus Hirsch in der Forschung: „Seit Jahren wird in der Medizin verstärkt zu Cannabis und Cannabiskonsum geforscht. Bislang ist das rechtlich schwierig, weil es über die UN-Verträge ausgeschlossen ist. Dort wird Cannabis weiterhin als gefährliche Substanz gelistet.“ Wenn es rechtlich weniger Hürden bei der Beschaffung von Cannabis gäbe, könnten genauere Untersuchungen der neurochemischen Wirkungsweisen vom Hauptwirkstoff THC eine Verbesserung von Therapiemöglichkeiten mit sich bringen. Aber auch jenseits der Medizin lägen laut Hirsch mögliche Chancen. „Die einhergehende Entstigmatisierung könnte sich sehr positiv auf die sozialwissenschaftliche Untersuchung der Legalisierung auswirken. Da das Forschungsinteresse besteht, stünden mehr Gelder zur Verfügung.“

Die 18 bis 29-Jährigen, die kritische Prävalenz-Gruppe, sind die künftigen Leistungsträger*innen der Gesellschaft. Die ohnehin bereits große Zahl der psychischen Erkrankungen ist in den vergangenen Jahren stark angestiegen, die Corona-Pandemie hat die Lage noch weiter verschlechtert. „Cannabis kann kurzfristig entspannend und belohnend wirken. In Zeiten, in denen es viel Stress und Belastung gibt, kann das ein Motiv für den Konsum sein. Die Studierenden haben sehr schwere Zeiten hinter sich: Viel daheim, wenig soziale Kontakte“, resümiert Hoch. Deswegen besitzt die Legalisierung auch eine gesundheitspolitische Dimension und vielleicht wichtiger: Eine Signalfunktion. „Wenn die Regierung das ernst meint, dann müssen die Steuergelder gerade an die Universitäten, an die Studierenden zurückfließen. Das Geld soll in die Hand genommen und genau an diese Stelle zurückgegeben werden. Das soll auch zeigen: Diese Gruppe von Menschen ist uns besonders wichtig, die soll gesund bleiben. Das wäre das für mich eine glaubwürdige Drogenpolitik.“

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