Die queere Verlagsgeschichte ist keine Aneinanderreihung von Buchtiteln und Fakten. Sie ist geformt von Gesetzen, Tabuisierung und dem emanzipatorischen Kampf um Gleichberechtigung.
Ein Gastbeitrag von Jules Steinberger, Mitglied des Queer-Referats der Studierendenvertretung der Ludwig-Maximilians-Universität München.
Bei queerer Literatur denken wir vielleicht an das eine Buch über das Coming Out der Hauptfigur, das wir letztens gelesen haben, an die zahlreichen queeren Nebenrollen in der Medienlandschaft, an Oscar Wilde und vielleicht Klaus Mann. Wir denken möglicherweise an die Forderungen nach mehr Own-Voices-Büchern und queeren Hauptfiguren in anderen Genres. Die Geschichte queerer Literatur deckt hingegen so viele weitere politische Aspekte auf und ist mit der Emanzipationsgeschichte eng verwoben.
Als ich im letzten Semester meine Masterarbeit anging, war mir nicht bewusst, welch großes Fass ich damit eigentlich aufmache. Schließlich wollte ich mich auch nicht auf die beiden Labels „lesbisch“ und „schwul“ beschränken, sondern Sichtbarkeit für alle queeren Menschen. Genau genommen ist es ja auch nicht korrekt, allen betroffenen Personen vom 19. Jahrhundert bis heute das Label „queer“ aufzusetzen. Queere bzw. LGBTQIA*-Identitäten sind zudem so schwer definierbar, so fluide, unerforscht, stigmatisiert, individuell und verletzlich. Die Stigmatisierung führt dazu, dass ich die Buchcover meiner Sekundärliteratur im Philologicum verstecke und mich frage: Wie viel Queerness verträgt eine wissenschaftliche Arbeit?
Dabei hat schon Karl Heinrich Ulrichs mit seinen Abhandlungen „Forschungen über das Räthsel der mannmännlichen Liebe“ diese Frage beantwortet. Und mit seiner Rede 1867 auf dem Deutschen Juristentag bei uns in München Geschichte geschrieben. Ulrichs Werk hat wiederum zahlreiche andere „Urninge“ (Ulrichs Wort für männerliebende Männer) ermutigt und inspiriert, unter anderem den Sexualwissenschaftler Magnus Hirschfeld. Dieser publizierte im Leipziger Max-Spohr-Verlag, dem ersten Verlag mit Homosexualität als Programmschwerpunkt.
Hallo Sexismus.
Durch Hirschfelds und Spohrs politisches Engagement und dem vieler anderer konnte sich in den deutschen Großstädten in den 1920er-Jahren eine Szene mit eigenen Lokalen, Zeitschriften und Büchern bilden, die über Kiosks vertrieben und auch als Abonnement an die ein oder andere einsame „Lesbierin“ auf dem Lande ausgeliefert wurden. Bevor ich das weiter romantisiere, möchte ich aber einwerfen, dass der Besuch der Lokale und die Teilnahme am Austausch mit den anderen im Literaturbetrieb tätigen Personen dabei den weniger privilegierten und ländlich lebenden Menschen fast ausschließlich vorenthalten blieb.
Ich habe mir anfangs auch die Frage gestellt, weshalb die Kämpfe männerliebender Männer und frauenliebender Frauen so einzeln für sich gefochten wurden und keine größere Gemeinschaft für alle tätig war, die Geschlecht am besten gleich ganz abgeschafft hat. Der in den 1990er-Jahren gegründete Querverlag bezeichnet sich schließlich stolz als der erste Verlag für lesbische und schwule Literatur. Dabei liegt das leider auf der Hand. Hallo Sexismus. Wer erkämpfte das Frauenwahlrecht, das Recht auf ein eigenes Konto, das Recht zu studieren, sich in einem Verein zu engagieren. Verheiratete Frauen hatten da etwas mehr Spielraum, aber was, wenn die Frau keinen Mann heiraten will?
So sehr ich heute davor zurückscheue, nur von Frauen und Männern zu sprechen, so sehr ich Gender-Kategorien eine Absage erteilen möchte, so wichtig ist es gleichzeitig, sich diese Unterschiede im geschichtlichen Kontext bewusst zu machen. Schwul und lesbisch sind allein schon ehemalige Schimpfwörter, die sich in den 1970er-Jahren angeeignet wurden. Ein 1975 gegründeter Verlag hieß „rosa Winkel“, benannt nach dem Symbol für Homosexuelle in den Konzentrationslagern. Männer, die mit Männern Sex hatten, wurden nach §175 im Strafgesetztbuch strafrechtlich verfolgt. Der Paragraf bestand bis 1994. Frauen waren von diesem Gesetz nur deshalb nicht betroffen, weil ihre Sexualität nicht genug ernst genommen wurde und sie lange als „heilbar“ galten.
Das bunte, queere Regal in vielen Buchhandlungen
Es ist aber interessant zu sehen, wie sich beispielsweise mit den Schwulen- und Frauenbuchhandlungen ähnliche Strukturen entwickelt haben, die sich gegenseitig unterstützen. Ein schwuler Buchladen war nicht nur für die Sichtbarkeit schwuler Bücher da, sondern wurde auch als Treffpunkt und Infozentrale der Kund*innen genutzt. Ein Frauenbuchladen verkaufte nicht nur Bücher lesbischer und feministischer Verlage, sondern regte zum gemeinsamen Diskurs an und wurde sogar zum Teil als Anlaufstelle für Betroffene sexualisierter Gewalt genutzt. Der erste dieser Art, Lillemor’s Frauenbuchladen, ist seit 1975 sogar noch heute in München zu finden.
Neben den Läden wurden in den 1970er-Jahren auch Verlage für lesbische oder schwule Werke gegründet. Oftmals geschah dies infolge der vielen Absagen aus den anderen Verlagshäusern. Mit den Themen eckte man zu sehr an und sie wurden als untauglich für breitere Leser*innenschaften befunden. Allerdings machten große Verlage gerne davon Gebrauch, die Rechte an vor allem erfolgreicheren feministische Schriften für ihre „Frauenliteratur“-Reihen zu kaufen und davon zu profitieren. Heute verstehen wir dank Sexismus unter Frauenliteratur leider etwas anderes, haben aber zumindest unser buntes, queeres Regal in vielen Buchhandlungen. Und die Hoffnung, dass Bücher mit queeren Hauptfiguren selbstverständlich werden und irgendwann nicht mehr als politisch wahrgenommen werden müssen.
Unter #QueerOnCampus schreiben Studierende des Queer-Referat der Studierendenvertretung der LMU über LGBTQ+ und andere Themen, die queere Personen im Zusammenhang mit München und dem Studium betreffen. Für die Inhalte sind allein die jeweiligen Autor*innen verantwortlich. Alle Beiträge der Serie hier nachlesen.