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Kater adé?

Über die Bedeutung des Katerfeelings für Studierende und warum es damit bald vorbei sein könnte.

Von Lilly Brosowsky

Wer kennt es nicht, das Gefühl, wenn beim Aufwachen das Licht zu grell ist, der Boden schwankt und das ferne Küchengeklapper der Mitbewohner im Kopf dröhnt. Wenn der Körper auf ‚Energiesparmodus’ eingestellt ist und daher alle Bewegungen und jegliches Denken nur langsam möglich sind; wenn es sich wie 8 Uhr morgens und zwei Stunden Schlaf anfühlt, aber nach Öffnen der verquollenen Augen und einem Blick auf das Handy sich die Erkenntnis ins Bewusstsein schleicht, dass es spät am Nachmittag ist. Wenn man, wiederum verzögert, erschrocken hochfährt, weil man alle seine Vorlesungen verpasst hat; dann, vergleichsweise schnell, zurück ins Bett sinkt, weil es sowieso schon zu spät ist – und es Wichtigeres gibt: Einen Kater, der gepflegt werden will.

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Klassischerweise erlebt man ein Erwachen wie dieses überdurchschnittlich oft während des Studiums und viele von uns Studierenden werden in dieser Zeit zu passionierten Katerpflegern. Für Genügsame reicht eine Ibuprofen und Schlaf, Anspruchsvollere brauchen viel ‚nahrhaftes’ Essen (vorzugsweise Pizza, Döner, Nudeln) und verbringen den Rest des Tages im Bett mit Serienmarathons. Für Waghalsige ist die Königsklasse der Katerpflege das Kontertrinken. Wie auch immer man seinen Kater pflegt, verbindend ist, dass er im Studierendenleben eine wichtige Rolle einnimmt. Beispielsweise bringt er uns dazu, auf die von allen Zeitschriften und Küchenpsychologen angepriesene Work-Life-Balance zu achten. ‚Meditativ’ dösend wenden wir uns unserem Inneren zu, um darauf zu hören, was unser Körper uns sagt (Magengrummeln? Würgereiz?). Außerdem lassen wir Studyaholics, die sonst nichts vom Studieren abhält, die Uni endlich mal Uni sein. Zudem gehören der Kater und die Katerpflege in einen Lebensabschnitt, der geprägt ist von beständigen Veränderungen und neuen Erfahrungen, zu den wenigen Konstanten, die für Stabilität sorgen. Und was könnte mehr Gemeinschaft stiften, als das kollektive Gejammer über den Kater am Tag nach einer gemeinsam durchgefeierten Nacht? Was also wären wir Studierenden ohne Kater?

Kaum zu glauben, dass das Katerfeeling und die Katerpflege bald in die Kiste mit den Videokassetten, Schnurtelefonen, CDs, Schlaghosen kommen soll – mit all den Dingen, die in den letzten Jahrzehnten unbrauchbar oder untragbar geworden sind und jetzt in der hintersten Ecke des Speicher verstauben.
Doch könnte es bald soweit sein. Denn wie der Independent am 23. September 2016 berichtete, hat David Nutt, Professor für Neuropsychopharmakologie am Imperial College London, einen synthetischer Alkoholersatz entwickelt, bei dem der Kater am nächsten Tag ausbleibt. Diese Art künstlicher Alkohol, genannt alcosynth, erzielt denselben Effekt wie Alkohol, jedoch ohne die gesundheitsschädlichen Folgen. Zudem ist alcosynth so entwickelt, dass man sich nur bis zu einem bestimmten Grad betrinken und nicht über das ‚gesunde Maß’ hinausschießen kann. Es gab schon frühere Versuche künstlichen Alkohol herzustellen, doch dabei wurde Benzodiazepin verwendet, ein Wirkstoff zu dem auch Valium zählt und der in Deutschland verschreibungspflichtig ist. Nutt konnte als Erster auf diesen Wirkstoff verzichten. Zwei der 90 bisher hergestellten alcosynth sind schon so weit ausgereift, dass sie Alkohol in Cocktails ohne Geschmacksverlust ersetzen können. Nutt hat sich zum Ziel gesetzt, jede Sorte Alkohol mit alcosynth austauschbar zu machen.

Dann hieße es wohl, Abschied zu nehmen von gemeinsamen Katerqualen, von den bunten Ritualen des Sich-gesund-Pflegens, den Atempausen im stressigen Studierendenleben und unserer Work-Life-Balance. In dem Sinne ist die gute Nachricht, dass unsere Studierendengeneration den Alkoholersatz nicht mehr erleben wird, da der alcosynth erst 2050 marktreif werden soll. Doch wem bei diesen Zukunftsaussichten vorauseilend nostalgische Gefühle überkommen, dem sei geraten: Kräftig auf die guten alten Zeiten anstoßen und den Kater am nächsten Tag genießen!

Quelle: Forster, Katie: Hangover-free alcohol’ could replace all regular alcohol by 2050, says David Nutt, am 23.09.2016

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