Unileben

Russische Wurzeln, queerer Kern

Meine russische Herkunft und meine queere Identität—Gedanken darüber, wieso es mir schwerfällt, diese zwei Seiten in Einklang zu bringen.

Lisa in Moskau, Foto: Lisa Lokhanova, privat

Von Lisa Lokhanova, Mitglied des Queerreferats der Stuve der LMU.

Es ist schon wieder ein paar Wochen her, aber diese Situation geht mir nicht mehr aus dem Kopf: Meine Eltern und ein alter Familienfreund, der gerade aus den USA zu Besuch war, diskutierten im Wohnzimmer lautstark über Queerness. Nicht, dass sie dieses Wort dafür verwenden hätten; wenn ich ehrlich bin, weiß ich nicht einmal, ob sie es überhaupt kennen. Im Nachhinein fällt es mir schwer, den Gesprächsverlauf zu rekonstruieren. Ich glaube, zunächst ging es um den Begriff Transvestit und wieso man ihn nicht als Bezeichnung für trans Personen generell verwenden sollte (was ich ihnen versuchte klarzumachen). Irgendwann mündete dieses Thema dann in die Diskussion, wieso gleichgeschlechtliche Paare keine Kinder großziehen sollten und ob Transsein eine psychische Erkrankung sei. Für letzteres argumentierte mein Vater energisch, ohne zu wissen, dass er damit sein eigenes Kind als Fall für die Klapse abstempelte. (Damit möchte ich auf keinen Fall Menschen mit psychischen Erkrankungen, zu denen ich auch zähle, stigmatisieren. Nur die Aussage, dass Transgeschlechtlichkeit eine Krankheit und heilbar sei, geht verständlicherweise gar nicht.)

Sprachlosigkeit und Frustration

Meine Eltern wissen eigentlich, dass ich lesbisch bin — aber nicht, dass ich mich auch als nicht–binär identifiziere. Ich habe meine eigene Identität und queere Personen im Allgemeinen schon oft in ähnlichen Gesprächen verteidigt… aber meistens leider mehr schlecht als recht: Das Ganze findet nämlich immer auf Russisch statt.

Objektiv betrachtet war Russisch die erste Sprache, die ich lernte. Mit meinen Eltern rede ich nur Russisch und früher ging ich samstags auch immer in die russische Schule. Davon merke ich in solchen Situationen aber gefühlt nur sehr wenig, weil mir jedes Mal die Worte fehlen.

Es ist eine ganz besondere Kombination von Scham, Empörung und Frustration, die mich in solchen Momenten überkommt. Meine Eltern sind die Jury und ich der verzweifelte Anwalt, der mit aller Kraft versucht seine Mandant*in vor dem Pranger zu schützen. Oder, etwas näher an meiner Lebensrealität gedacht: Es ist meine Disputation und ich spreche die Sprache der Prüfer*innen nur schlecht.

Queerness war in unserer Familie schon immer ein heikles Thema. Meistens wurde es totgeschwiegen, ab und an beschwerte sich mein Vater über die Pride und es gibt eben diese Streitgespräche. Einmal, als meine Großmutter uns in Deutschland besuchte, fing sie auf einer Autofahrt an, über Homosexualität herzuziehen (ich weiß beim besten Willen nicht mehr, wie wir bei diesem Thema gelandet waren). Das sei doch eine Sünde. Gott habe Mann und Frau geschaffen, die sollten sich vermehren. Damals wusste ich schon, dass ich queer war, hatte mich meinen Eltern gegenüber aber noch nicht geoutet. Die ganze Sache war eine Gratwanderung. 

Wie sehr darf ich mich für queere Personen einsetzen, ohne dass meine Eltern von meiner eigenen Identität Wind bekommen?

Das auch durch und durch Deutsche (wer auch immer das sein mag) sowas erleben, ist mir völlig klar. Ich kann aber nicht leugnen, dass dieses Ereignis meine Einstellung zu Russ*innen, also unter anderem zu meiner Verwandtschaft, massiv geprägt hat. Mir wurde klar, dass, sollte ich jemals heiraten wollen, keine meiner Verwandten anwesend sein würden. Selbst meine Mutter meinte, sie wüsste nicht, ob sie zu meiner Hochzeit kommen würde.

Das war schon eine harte Kost, die ich eine Weile verdauen musste. Dann kamen bei mir Schuldgefühle auf: Wieso heule ich rum, wenn es mir doch so gut geht? In Russland queer zu sein wäre viel, viel schlimmer. Es bricht mir jedes Mal das Herz, wenn ich davon höre, dass russische Personen wegen ihrer sexuellen oder geschlechtlichen Identität inhaftiert oder (wie im Falle der Tschetschen*innen) ermordet werden. Trotzdem kann ich den Gedanken nicht vermeiden: Gott sei Dank, war es nicht ich.

Diese und ähnliche Auseinandersetzungen haben einen Keil zwischen meine Eltern und mich, aber auch zwischen mich und meine russischen Wurzeln getrieben. Ich glaube nicht, dass ich mich bei meinen Eltern jemals als trans outen werde. Auch Besuche bei meinen Verwandten umgehe ich so gut es geht: Es liegt immer am Abi/an der Uni/an Corona/etc., wieso ich nicht mit nach Russland komme. Manchmal frage ich mich, ob ich nicht einfach darüber hinwegsehen könnte — vielleicht könnte ich ihrer Ignoranz mit Toleranz gegenübertreten. Letztendlich aber sind diese zwei Teile von mir, meine Queerness und meine russische Herkunft, meinem völlig subjektiven Gefühl nach unvereinbar. Ich kann nicht beides gleichzeitig in vollen Zügen ausleben… und mein Einbürgerungsantrag ist schon abgegeben.

 

Unter #QueerOnCampus schreiben Studierende des Queer-Referat der Studierendenvertretung der LMU über LGBTQ+ und andere Themen, die queere Personen im Zusammenhang mit München und dem Studium betreffen. Für die Inhalte sind allein die jeweiligen Autor*innen verantwortlich. Alle Beiträge der Serie hier nachlesen.

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