Unileben

Der Kampf ums Studium

Was für die Einen eine Selbstverständlichkeit ist, ist für Andere ein ferner Traum oder muss hart erkämpft werden: das Studium. Elyas und Lojaen sind beide mit dem Wunsch vom Studium nach Deutschland gekommen, aber ihre Wege hier sehen sehr unterschiedlich aus.

Für ihr Studium fertig Lojaen Shahoud an ihrem Zeichentisch Skizzen an. Foto: Bettina Wopperer

Von Bettina Wopperer

Elyas Alizada ist 17 Jahre alt, als er 2012 aus Afghanistan nach Deutschland kommt. Zu diesem Zeitpunkt ist er schon etwa ein Jahr lang auf der Flucht. Sein Alter kann er nicht nachweisen und wird zunächst als volljährig eingestuft. „Viele Rechte hängen davon ab, ob man als minderjährig anerkannt wird, auch das Recht auf Bildung“, erklärt Elyas, während er am Küchentisch in seiner WG sitzt. Als Volljähriger wäre das Jobcenter für ihn zuständig gewesen, jedoch sei dessen Ziel „eine bezahlte Arbeit, nicht das Ermöglichen einer Schulbildung oder eines Studiums“. Elyas ist nur bis zur 5. Klasse in die Schule gegangen, danach hat er seiner Familie geholfen, Teppiche zu nähen und Obst und Gemüse anzubauen. In Deutschland hätte er daher nur in den einfachsten Jobs mit entsprechend niedrigen Löhnen arbeiten können. „Hätte ich dort Abitur gemacht, hätte ich es anerkennen lassen können oder es per Test bestätigen können.“ Dann wäre der Weg zum Studium nicht so weit gewesen wie ohne jeglichen Schulabschluss.

Um in Deutschland einen Schulabschluss erreichen zu können, kämpft Elyas für eine Anerkennung als Minderjähriger. Damit hat er schließlich Erfolg: Nach über einem halben Jahr wird er an das Jugendamt übergeben. So kann er zunächst einen intensiven Deutschkurs belegen und schließlich die SchlaU-Schule besuchen, die schulanalogen Unterricht für junge Geflüchtete anbietet. Dort legt er den Qualifizierenden Hauptschulabschluss ab und beginnt anschließend, da ist er 21 Jahre alt, die Berufsschule.

Wenn Elyas Alizada frei hat, ist er gerne mit der Kamera in der Hand draußen unterwegs. Foto: Josefine Binder

Richtungswechsel zur Ausbildung

„Mein Traum war immer zu studieren“, erzählt Elyas. Aber er fühlt sich „irgendwie gezwungen“, eine Ausbildung anzufangen: „Drei bis vier Leute saßen am Tisch und entschieden über dich“, beschreibt Elyas die Betreuung durch das Jugendamt. Er wird nicht gefragt, welches berufliche Ziel er verfolgt, stattdessen ist die gesamte Beratung darauf ausgerichtet, ihm einen Ausbildungsplatz zu verschaffen. Schließlich folgt er der Beratung des Jugendamtes, da er hofft, mit einer Ausbildung das normale Leben in Deutschland früher kennenzulernen und sich dadurch schneller integrieren zu können. Da seine Familie in Afghanistan lebt, gibt es zudem niemanden, der ihn unterstützen kann. Er muss sich selbst um alle bürokratischen Anliegen kümmern, um seinen Lebensunterhalt vom Jobcenter beziehungsweise vom Jugendamt finanziert zu bekommen.

Inzwischen hat er die Ausbildung zum Elektroniker für Energie und Gebäudetechnik abgeschlossen. „Es war nicht verkehrt“, sagt er über die Ausbildung. „Aber trotzdem, ich bin jetzt 27 Jahre alt, ich möchte jetzt nicht mehr studieren.“ Dazu müsste er zunächst eine Weiterbildung absolvieren. So wäre er dann zum Ende des Studiums bereits Mitte dreißig. Elyas schließt aber weitere Qualifikationen nicht aus, er erklärt mit einem Lächeln auf den Lippen: „Ich bin sehr zufrieden mit meiner festen Anstellung und denke gerade über eine Weiterbildung zum Techniker oder Meister nach. Aber wegen Corona ist es gerade schwierig.“

Auf der Suche nach dem richtigen Deutschkurs

Lojaen Shahoud hat im Gegensatz zu Elyas bereits in vor ihrer Flucht einen Abschluss: Die heute 22-Jährige schreibt 2017 in Syrien ein syrisches wissenschaftliches Abitur und kommt kurz darauf per Familiennachzug nach Deutschland. Zu dem Zeitpunkt ist sie gerade 18 Jahre alt, deshalb ist das Jobcenter für sie zuständig. Zunächst absolviert sie den Integrationskurs vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge sowie einen Deutschkurs mit B2-Niveau. Für das Studium benötigt Lojaen das Niveau C1, doch „das Jobcenter zahlt keine C1-Kurse für die Uni, nur für den Beruf“, erklärt Lojaen die Schwierigkeit, während sie in ihrem schmalen Wohnheimszimmer eine Tasse Tee trinkt. Sie versucht den TestDaF („Test Deutsch als Fremdsprache“) ohne vorherigen Kurs mit ausreichend Punkten zu bestehen, um eine C1-Einstufung zu erhalten. Leider reicht ihr Ergebnis nicht aus.

Das Jobcenter bietet ihr eine Bescheinigung für einen berufsvorbereitenden C1-Kurs unter der Bedingung, dass sie sich eine Teilzeit-Stelle sucht. Also beginnt Lojaen einem Minijob und probiert mit der Bescheinigung einen Kurs zur Vorbereitung auf ein Studium zu finden, wird aber aufgrund der Beschränkung der Bescheinigung auf einen berufsvorbereitenden Kurs überall abgelehnt. Eine Schule stellt ihr allerdings Kontakt zur Otto Benecke Stiftung her, die Zugewanderte mit Studienwunsch unterstützt. Mithilfe eines Stipendiums kann Lojaen ein halbes Jahr an einem für sie passenden Deutschkurs teilnehmen: „Dort habe ich wissenschaftlich reden und schreiben gelernt,“ sagt sie. Anschließend absolviert sie den TestDaF erneut, erhält verbesserte Ergebnisse, die aber immer noch nicht gut genug sind. Trotzdem bewirbt sie sich an Unis und Hochschulen in mehreren Städten für ein Architekturstudium. Wegen der Corona-Pandemie erlaubt die Hochschule München, dass Lojaen erst Ende des ersten Semesters den Sprachnachweis vorlegt und akzeptiert sie unter Vorbehalt. Also beginnt Lojaen mit dem Studium und lernt gleichzeitig das dritte Mal für den TestDaF. „Eigentlich war ich hoffnungslos“, gesteht sie. Letztendlich besteht sie den Test aber mit ausreichender Punktzahl. „Jetzt kann ich mich auf das Studium konzentrieren“, sagt sie erleichtert und legt eine im Rahmen ihres Studiums angefertigte Skizze auf ihren kippbaren Zeichentisch.

Die Aufgaben des Jobcenters

„Das Jobcenter kann älteren Menschen besser helfen als jungen“, schätzt Lojaen ihre Erfahrung ein. „Zum Beispiel haben sie meinem Vater einen Kurs gegeben, damit er jetzt als Security arbeiten kann.“ Bei ihr ist das anders: Ihre Berater gehen kaum bis gar nicht auf ihren Studienwunsch ein – „dabei sollte das Jobcenter, wenn sie schon nicht zahlen, doch wenigstens auf Stipendien hinweisen.“ Dank BAföG ist sie inzwischen finanziell nicht mehr auf das Jobcenter angewiesen.

Laut der Website der Arbeitsagentur sind die Aufgaben des Jobcenters unter anderem die Grundsicherung, das Arbeitslosengeld II, die Vermittlung Arbeitsloser an potenzielle Arbeitgeber*innen und die Förderung von Eingliederungsmaßnahmen und berufliche Weiterbildungen. Letztere werden gefördert, falls sie die Jobchancen erhöhen. Insofern verlangt die Aufgabenstellung des Jobcenters nicht mehr als das, was Elyas und Lojaen geboten wurde.

Dennoch stellt sich die Frage, ob das – aus normativer Sicht – ausreicht. Und ob Elyas, Lojaen und andere Geflüchtete durch diese Art der Bürokratie nachhaltig zu Schaden kommen. Der Bericht der Bundesregierung zur Lebensqualität in Deutschland zeigt, dass der Großteil der Kinder mit nicht-akademischen Eltern ebenfalls keinen akademischen Weg einschlägt. Laut eines Kurzberichts des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung ist der durchschnittliche Lebensverdienst umso höher, je höher der Bildungsabschluss ist. Wenn Zugewanderte also kaum an akademische Bildung kommen, besteht die Gefahr, dass sie und ihre Nachkommen in niedrigeren Bildungs- und Einkommensschichten verbleiben.

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