Kulturphilter

Macht, Ohnmacht, Macchiato 

Branden Jacobs-Jenkins‘ Gloria befand sich 2016 unter den Pulitzerpreis-Finalisten für Theater. Nun inszeniert Amélie Niermeyer die deutsche Erstaufführung in München.

© Adrienne Meister; v.l. Gunther Eckes (Dean), Christian Erdt (Miles), Bijan Zamani (Lorin), Cynthia Micas (Jenna)

Von Katharina Hinsche

„Wie egal und austauschbar sind deine Zwanziger? Darüber habe ich nachgedacht, als ich Tag für Tag hinter meiner Trennwand im Großraumbüro saß, und irgendwann kam mir die surreale Erkenntnis, wie absurd es ist, dass die Essenz meines Jobs war, einfach nur anwesend zu sein, völlig unabhängig davon, ob es Arbeit zu erledigen gab“, resümiert Jacobs-Jenkins seine Zeit beim New Yorker.

Die dort am eigenen Leib erfahrene Frustration, Leere und Desillusionierung einer ganzen Generation haben den 1984 in Washington D.C. geborenen Princeton-Absolventen und MacArthur Fellow zu Gloria inspiriert. Im Programm heißt es verheißungsvoll: Eine fulminante und detailreiche Beobachtung der „Arbeitswelt des 21. Jahrhunderts“ und des „Hyperkarrierismus der ersten Generation der Digital Natives, die den Weg zur Selbstverwirklichung so schnell wie möglich gehen will.“ 

Im Residenztheater wird die Bühne zum puristischen Großraumbüro einer Kulturredaktion, wo Streber-Praktikant Miles (agil und überzeugend gespielt von Christian Erdt), Möchtegern-Kulturblogger-Tussi Kendra (Cynthia Micas), Sekretärin Ani (Marina Blanke) und der dauerverkaterte Redaktionsassistent Dean (Gunther Eckes) vor weißen MacBooks im strafenden Neonlicht italienischer Schreibtischleuchten ihr Dasein fristen.  

Alle träumen vom Aufstieg, hängen aber hier im Untergeschoss wie Gefangene fest  

Niermeyer gelingt die Darstellung der Ausweglosigkeit dieser prekären Situation. Die Distanz und Unerreichbarkeit der „richtigen Redakteure“ im Obergeschoss wird gekonnt durch zwei steile Treppen auf der Bühne abgebildet, die nach oben zu scheinbar undurchdringbaren Türen der Chefetage führen. „Die da oben“ sieht man nur hin und wieder wie Schatten durch den Flur huschen, vorbei an bodentiefen Fenstern, durch deren Rollos sie nach unten spähen, um sich anschließend wieder im Einzelbüro zu verschanzen.

© Adrienne Meister; v.l. Cynthia Micas (Kendra), Marina Blanke (Ani), Gunther Eckes (Dean)

Unten im Aquarium der Eitelkeiten, machen sie sich täglich nach dem Motto „Survival of the fittest“ durch Mobbing, Manipulation und Machtspiele gegenseitig das Leben zur Hölle.  

Nach oben buckeln, nach unten treten lautet das Prinzip, welches auch Miles und Dean perfekt verkörpern: Der maximal anpassungswillige Praktikant wird vom Assistenten durchs Haus gejagt, um Ingwerwasser gegen den Kater oder Müsliriegel vom Automaten zu holen. Dean wiederum lässt sich von seiner Chefin Nan herbeizitieren, muss ihr beim Übergeben beistehen und trägt anschließend bereitwillig eine Tüte voll Erbrochenem über die Bühne.  

Tatsächlich gearbeitet wird hier eigentlich nie. Man kommt um 11 ins Büro, weil vorher noch geshoppt oder Starbucks besucht werden musste. Trotzdem liegen permanent Anspannung, Müdigkeit und Stress in der Luft. Jeder scheint kurz vorm Nervenzusammenbruch.  

Die Stärke der Inszenierung liegt vor allem darin, die zermürbende Frust-Stimmung kurz vorm Durchdrehen ins Publikum zu transportieren. Dies gelingt durch nicht enden wollende, inhaltsleere Dialoge, die aus dem Redaktionssumpf auf der Bühne ins Publikum wabern und das Zuhören schier unerträglich machen: Die alten Print-Leute hätten den Absprung in die Digital-Welt verpasst, die ganze Arbeit bleibe nun an ihnen, den Digital Natives hängen und nur durch „hochficken“ und Networking komme man hier weiter… 

Doch plötzlich ertönen laute Schüsse auf der Bühne. Schlussredakteurin Gloria (Lilith Häßle), bisher eine graue Maus, rennt bewaffnet durch die Redaktion und erschießt den Großteil ihrer Kollegen. Jahrelang erfuhr sie, die ja „nur Kommata verschiebt“ keinerlei Anerkennung. Und dann ist am Vortag auch noch fast niemand zur Einweihungsparty ihrer ersten Eigentumswohnung erschienen.

© Adrienne Meister; v.l. Gunther Eckes (Dean), Christian Erdt (Miles), Lilith Häßle (Gloria)

Anstatt die wahren Gründe der Tragödie zu reflektieren, versuchen die Überlebenden des Amoklaufs (Dean, Kandra und Ex- Chefin Nan), ihre persönlichen Erlebnisse am Tag des Unglücks mit aufgeplusterten Buchprojekten zu Geld zu machen.  

An dieser Stelle vermag Niermeyer, die Fake- Welt der Medienbranche gekonnt in Szene zu setzen: Dean sitzt im Starbucks auf einer Bank und erzählt seine Version der Geschichte, während hinter ihm eine große Leinwand steht, die ihn in Echtzeit beim Reden zeigt. Er wirkt jetzt wie der Gast einer Talkshow, jedes seiner Worte scheint auf mediale Verwertbarkeit geprüft. Auf diese Weise werden reale und mediale Welt eins. 

Auch Nan und Kendra wirken durch ihr exzentrisch-narzisstisches Getue wie Schauspieler im eigenen Lebenswerk, die selbst nicht mehr wissen, was real und was Fake ist.  

Fulminant ist ein hollywoodreifer Filmtrailer am Ende des Stücks, der Nans brisante Story zum Inhalt hat. Dort wird sie als Schwangere gezeigt, die voller Todesangst stundenlang im Kugelhagel unterm Schreibtisch ausharrt. Das stimmt zwar nicht so ganz, da sie sie sich in Wirklichkeit – rechtzeitig vorgewarnt – im Büro eingeschlossen hatte, lässt sich aber in dieser Version erfolgreicher vermarkten.   

Bei Jacobs-Jenkins wird nicht nur durch die Figur Gloria deutlich, wie aus Opfern Täter werden können, sondern auch durch von ihm fest vorgeschriebene Mehrfachbesetzungen, die den Kreislauf des fortwährenden Elends einer extravaganten Branche verdeutlichen sollen. So kehrt Miles am Ende als geschniegelter Chef einer Fernsehfirma in Los Angeles, die Nans Buch verfilmt, zurück auf die Bühne. Und die strahlende, bisher unsichtbare Nan selbst wird von Lilith Häßle gespielt, die zuvor noch in der Rolle der Gloria zu sehen war.

© Adrienne Meister; Lilith Häßle (Nan)

Gloria schafft es, eine narzisstische Branche darzustellen, die nicht auf echte Inhalte, Charakter, Werte und Authentizität setzt, sondern nur auf Außenwirkung und Selbstverwirklichung baut und letztlich an den eigenen Mechanismen zu zerbrechen droht.  

Das Sujet ist zwar brisant, die Inszenierung hat viele starke Momente, doch Identifikation mit den Figuren ist nicht wirklich möglich. Und so wirkt das Stück in München am Ende dann doch etwas halbherzig „runtergespielt“ und in etwa so lasch wie der zehnte Latte Macchiato. 

Für dich vielleicht ebenfalls interessant...