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Caligula – Aufstieg und Fall einer Filmproduktion

Düstere Straßen, schmutzige Wege. Auf einem Platz wird der Boden getränkt mit dem Blut eines Verurteilten, eines zum Tode Verurteilten. Verurteilt vom tyrannischen Kaiser Caligula. In der Menge weint unkontrolliert eine Frau.

Von Tabitha Nagy

So oder so ähnlich könnte sich der italienische Regisseur Tinto Brass das Setting für „seinen“ Film „Caligula. Aufstieg und Fall eines Tyrannen“ vorgestellt haben, der 1979 veröffentlicht wurde. Ein Film, der nah dran ist an der historischen Realität. Und auch in seinen Grausamkeiten für die Gegenwart greifbar scheint. Brass‘ Rolle als Avantgarde-Regisseur nach könnte er auch eine Satire von Machtstrukturen mit unerwarteten Elementen wie Comicsequenzen geplant haben. Eines steht jedenfalls fest: Von der eigentlichen Intention und den Vorstellungen des Regisseurs ist in der publizierten Endfassung wenig übrig geblieben.

Polyester im alten Rom

Wie konnte es so weit kommen, dass sich ein Film so weit vom Wirken seines Regisseurs entfernte, dass er ihn nicht mehr als sein Werk ansah? Verantwortlich hierfür ist einer der Produzenten: Bob Guccione, Chef des pornografischen Magazins Penthouse. Er war es, der hinter dem Rücken des Regisseurs eine Vielzahl pornografischer Szenen drehte. Der ihn vom Schnitt ausschloss und so vor vollendete Tatsachen stellte. Es liegt nahe, dass Guccione auch den übrigen Dreh beeinflusste.

Statt des eingangs skizzierten Settings sehen wir gleich zu Beginn des Films den blonden, blauäugigen Römer Caligula in einer Art Micro-Mini-Toga über die Leinwand tanzen. Generell wirken die Kostüme eben wie Kostüme; sie könnten aus dem nächstbesten Karnevalladen stammen. Und liegt dort, auf dem Bett, wirklich ein Leo-Print-Bettlaken aus Polyester?

Im Abgrund pornografischer Sinnlosigkeit

Inhaltlich besteht der Film aus einer Aneinanderreihung von Mord- und vor allem Sexszenen. Selbige sind nur dürftig semantisch in die hier zweitrangige Handlung – Machtübernahme, Intrigen gegen und Tod des römischen Imperators Caligula – eingebettet. Vor allem besagte Sexszenen aber auch andere Änderungen, die hauptsächlich nachträglich im Schnitt erfolgten, haben den Regisseur Tinto Brass wohl dazu veranlasst, sich nicht nur vom Film zu distanzieren, sondern sogar zu versuchen, auf gerichtlichem Weg sein Erscheinen zu verhindern. Letztlich konnte er jedoch nur durchsetzen, nicht mehr als Regisseur genannt zu werden. Auch zwei der Schauspieler, Malcolm McDowell und Peter O’Toole, nahmen nachträglich Abstand von dem Film.

In den meisten Ländern ist der Film bis heute nur in stark gekürzter Fassung und ab 18 Jahren, oder teils mit Einschnitten auf den Markt gekommen. Andere Versionen erhielten gar keine Jugendfreigabe.
Und so kam es, dass ein Film mit hohem künstlerischen Potenzial durch den Einfluss eines Produzenten in einen Abgrund pornografischer Sinnlosigkeit gefallen ist. An diesem Beispiel wird deutlich, wie fatal sich der Einfluss eines Produzenten mit abweichenden Interessen auf die künstlerischen Ambitionen eines Regisseurs auswirken kann.

Kunst im Kontext

KUNST IM KONTEXT war bis Ende des Sommersemesters 2019 eine Kooperation mit dem Department Kunstwissenschaften der LMU. Studierende der fünf Studiengänge Theaterwissenschaften, Kunstgeschichte, Kunstpädagogik, Musikwissenschaften und Musikpädagogik rezensierten Ausstellungen, Konzerte und Theaterinszenierungen, berichteten über berufliche Perspektiven nach dem Studium und schrieben über alles, was sonst noch so los ist an der Isar. Die Texte entstanden im Rahmen von Seminaren des Departments und in einem freien Redaktionsteam.

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