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Klausuren, Vorlesungen und nebenbei am Leben bleiben

Wie das Studieren mit psychischer Erkrankung aussieht.

An manchen Tagen fehlt die Energie zum Aufstehen: Auch so können psychische Erkrankungen das Leben beeinträchtigen. Foto: Andrea Kurz

Das Gespräch führte Scarlett Winter.

Wenn heute eine Person sagt, sie habe mit Depressionen oder Ängsten zu kämpfen, nicken die meisten Menschen betroffen und zeigen Verständnis. Zumindest für die nächsten Minuten. Die Gesellschaft ist psychischen Erkrankungen gegenüber offener geworden, so scheint es. Aber wie das in Deutschland mit der politischen Korrektheit eben ist, hält das äußerlich an, innerlich denken sich die meisten jedoch immer noch: „Reiß dich doch einfach zusammen. Mein Leben ist auch nicht perfekt.“ Vielleicht begründet sich dieser Egozentrismus darin, dass eine Depression keine Lungenentzündung, eine Angststörung kein gebrochenes Bein ist – man kann es nicht immer sehen, aber das tut der Präsenz der Krankheiten keinen Abbruch. Tausende Menschen haben mit ihnen zu kämpfen, oft auch wie ein*e Krebspatient*in um sein*ihr Überleben kämpft. Wie ist es jetzt aber, wenn man sich nicht ausruhen und voll auf seine Genesung konzentrieren kann? Wie ist es, wenn man nebenbei noch ein Leben zu führen hat, eine Familie ernähren muss oder Vollzeit arbeitet? Eine starke junge Frau hat sich bereit erklärt, anonym über die Herausforderungen ihres Studiums zu sprechen, während gleichzeitig der Kampf mit den Ängsten und der inneren Leere in ihr tobt.

Schön, dass du heute da bist. Zunächst einmal das Wichtigste vorab: Wie geht es dir denn aktuell?

Mir geht es momentan ganz gut. Vermutlich ist das eine sehr automatisch generierte Antwort, irgendwie erwartet man die ja auf diese Frage. Also, in den letzten Wochen ging es mir mehr oder weniger ganz gut, mit der Pandemie und der ganzen Situation aktuell ist natürlich alles noch etwas schwieriger geworden.

Du bist ja selbst Studentin, erzähl doch mal: Was studierst du denn, seit wann und warum?

Ich bin jetzt dann im vierten Semester meines Psychologiestudiums, welches ich im Wintersemester 2019 begonnen habe. Das hat mehrere Gründe: Ich war auf einem sozialwissenschaftlichen Gymnasium, dort waren Pädagogik und Psychologie meine Lieblingsfächer. Schon immer habe ich mich für die Wissenschaft, die Forschung und die Psyche des Menschen begeistert. Außerdem ist es mein Wunsch, Menschen mit psychischen Erkrankungen besser zu verstehen, das hat familiäre und soziale Gründe. Mein eigenes Umfeld ist stark betroffen und es ist manchmal schwer, mit den Erkrankten umzugehen.

Du bist ja heute hier, weil du berichten möchtest, wie es ist, mit einer psychischen Krankheit zu studieren – Studium und Krankheit sind ja zwei Dinge, die einen sehr einnehmen können. Wurdest du denn diagnostiziert und wenn ja, mit was?

Ich habe eine Depression und eine Angststörung, wobei ersteres mehr ins Gewicht gefällt. Diagnostiziert wurde ich im Sommer 2019.

Hattest du denn auch Klinikaufenthalte oder warst du in Therapie?

So etwa im Alter von zwölf bis fünfzehn war ich in Therapie, allerdings konnte ich nicht davon profitieren, weil ich einfach nicht verstand, warum ich dahingehen musste. Meine Eltern sagten, ich müsse zur Therapie, weil ich meine Hausaufgaben nicht mache; im Nachhinein wurde mir aber klar, dass ich wenig Verbindung mit der Realität hatte und konstant versuchte, ihr zu entfliehen. Ich verbrachte auch nicht gerne Zeit mit Menschen, habe nur Bücher in meinem Zimmer gelesen. Mit sechzehn bin ich zu der Therapeutin zurückgekehrt, weil ich gemerkt habe, dass etwas nicht stimmt und ich eine depressive Phase haben könnte. Ich hatte meinen ersten Liebeskummer, viele Emotionen, das schien mir gefährlich. Außerdem habe ich angefangen, mich selbst zu verletzen. Die Therapeutin meinte nur, das sei normal und die Schnittwunden auch nicht so schlimm. Diese Aussage fand ich absolut unterirdisch und daher war ich anschließend lange nicht in Therapie, da ich wenig Hoffnung hatte, es könnte was Besseres kommen.

Behindert dich denn deine Krankheit beziehungsweise inwiefern erschwert sie dir dein Leben?

Das kommt auf die Zeit und den Tag an. Es gibt Momente, auch in depressiven Phasen, welche Monate andauern können, in denen ich mich gut fühle. Wenn es mir aber schlecht geht, sind vor allem die kleinen Dinge wahnsinnig schwer. Man kann sich das vermutlich nicht vorstellen, wenn man es nicht selbst erlebt hat, aber es ist dann so schwer, sich nur was zu essen zu machen, aufzustehen, eine E-Mail zu verschicken, auch, wenn es nur ein „Ja, okay“ ist. Das fühlt sich an, wie eine Tagesaufgabe, die die komplette Energieressource schluckt, eben weil man keine Energie mehr hat. Du lebst Monate lang im Energiesparmodus, du denkst, es ist alles zu anstrengend und du kannst das eh nicht. Es ist wirklich schwer, dabei im Tempo der anderen zu bleiben. Das Studium ist an sich schon eine anstrengende Sache, wenn man auch noch dreimal so viel Energie für alles braucht, ist es umso schwieriger.

Unterstützung von psychisch Erkrankten kann, wenn taktvoll, angebracht sein. Foto: Andrea Kurz

Wie sehr, würdest du sagen, prägt Corona dein aktuelles Empfinden?

Extrem. Im Januar 2020 habe ich meine Kurzzeittherapie abgeschlossen, ich hatte das Gefühl, genug über mich und meine Krankheit gelernt zu haben. Sie schien aushaltbar, Routinen haben mir sehr geholfen, wie zur Uni gehen oder meine Freunde dort treffen, auch wenn es zunächst mehr ein verpflichtetes Miteinander und ein erzwungenes Lachen war. Irgendwann war es aber eben nicht mehr erzwungen, ich habe gemerkt, dass ich wirklich Freunde habe und es mit ihnen gut ist. Jetzt, wo man sich wegen des Virus isolieren muss, mache ich das natürlich auch und es wird schlimmer. Ich isoliere mich nicht in dem Sinne, dass ich gar niemanden mehr sehe und das Haus nicht verlasse, das wäre viel zu schädlich für Menschen mit psychischen Erkrankungen, das kann ich gar nicht machen. Es ist trotzdem unglaublich schwer für mich: Ich frage mich, was im Leben wirklich wichtig ist, ob ich denn jemals glücklich war, während der Pandemie hatte ich zum ersten Mal ernsthafte Suizidgedanken. Natürlich ist Corona furchtbar und es ist schrecklich, dass Menschen daran sterben, aber Depressionen sind eben auch tödlich. Das ist so der Zwiespalt, in dem ich mich befinde: Ich weiß, was gut für mich ist, aber ich will mich auch an die Regeln halten, weil ich es nicht verantworten könnte, jemanden anzustecken und damit ernsthaft zu schaden.

Inwieweit beeinflusst deine Krankheit dein Studium?

Es wird länger dauern. Schwer zu sagen, ob das an der Pandemie selbst liegt oder an dem Rückfall, den ich durch die Pandemie erlitten habe. Vielleicht brauche ich auch so oder so mehr Zeit. Manchmal habe ich wochenlang Ausfälle, in denen ich mich nicht überwinden kann, zu lernen. Ich brauche meine ganze Energie, um alles andere am Laufen zu halten, um am Leben zu bleiben. Das hätte mir vermutlich schon vor dem Beginn des Studiums klar sein müssen. Menschen mit psychischen Erkrankungen sollten nicht von Anfang an versuchen, das von der Uni vorgesetzte Tempo einzuhalten, sondern ihr eigenes berücksichtigen. Ich finde Psychologie wahnsinnig interessant, aber es ist ebenso anstrengend und daher werde ich definitiv länger brauchen. Was mir hilft sind Freunde mit ähnlichen Problemen, die auch nicht ganz klarkommen und immer wieder Ausfälle haben. Das gibt mir das Gefühl, dass ich nicht die einzige “Versagerin” bin, die nichts auf die Reihe bekommt.

Was würdest du denn Erkrankten raten oder sagen, die Angst haben, wegen ihrer Krankheit im Studium zu versagen?

Etwas zu tun, was einem Freude bringt, ist für jeden wichtig. Für Leute mit Depressionen oder anderen chronischen Krankheiten lohnt es sich, Zeit in etwas zu investieren, was man möchte. Die Angst, dass es zu viel Arbeit ist, ist nicht unbegründet, aber man sollte es trotzdem tun und sich Unterstützung von Freunden und der Familie holen oder eine Stütze in Anspruch nehmen, um das zu tun, was man tun möchte.

Unterstützung ist das Stichwort – wo wären wir ohne die Menschen, die hinter uns stehen? Wir hätten einen zugigen Rückenwind. Depressionen, Ängste, Suizidalität – das alles ist kein Trend, kein Spaß, keine Lappalie, es ist die Realität und sie ist hart. Man kann es nicht immer verstehen, sehen oder nachempfinden, aber man kann zuhören und da sein. Darauf kommt es letztendlich an: Einander ernst zu nehmen, zu respektieren, aufmerksam zu sein und die eigenen Bedürfnisse auch mal zurückzunehmen. Manchmal profitiert man am meisten davon, etwas herzugeben.

Anm. der Redaktion: In der Regel berichtet philtrat nicht über Suizide und selbstverletzendes Verhalten. Wir halten uns zurück, wo es geboten ist. Wenn Ihr Suizidgedanken mit Euch herumtragt oder überlegt, euch selbst zu verletzen, meldet Euch bitte unverzüglich bei der TelefonSeelsorge unter den kostenlosen Hotlines 0800-1110111 und 0800-1110222 oder unter telefonseelsorge.de. Dort erhaltet Ihr Hilfe von Berater*innen, die schon vielen aus schwierigen Situationen herausgeholfen haben.

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