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Ein beachtlicher Abend in schlechter Begleitung

Steven Uhly liest aus seinem Debütroman Mein Leben in Aspik, begleitet von den Musikern der Gruppe Baby Lemonade.

Ein Freitagabend im Annapril in der Hildegardstraße. Ein Hauch von Berlin weht durch München, Männer mit Dreitagebart (Der Musiker Azhar Kamal und der Verleger Christian Rucizski), schwarzer Hornbrille (Ruciszki) und elegantem Mantel(wieder Rucizski) führen durch den Abend.

Den Beginn machen die Musiker von Baby Lemonade, im Pressetext wird deren Musik als zeitgenössischer experimenteller Folk angepriesen. Einen Song vor der Lesung. Zu viele danach. Bei den drei Musikern, die Gitarren und auch mal eine Steel Guitar oder eine Mandoline zur Hand nehmen, gibt es ein Problem: Wenn Azhar Kamal singt, hört es sich – um es freundlich zu sagen – nett an, weil langweilig, die drei Stücke, die Bastian Jütte singt, sind eine Zumutung. Jütte ist gelernter Schlagzeuger und hat zu Recht einen Namen in der Münchner Jazzszene. Als Schlagzeuger! Aber auch für ihn gilt: Menschen die nicht singen können – hier ist das banale Treffen von Töne gemeint – sollten auch nicht singen.

Wenden wir uns dem darauffolgenden angenehmen Teil des Abends zu: Steven Uhly. Der in München lebende Autor wirkt entspannt, nimmt einen Schluck Wasser und beginnt, die ersten Sätze seines Buches mit unerwarteter Seriosität vorzutragen: „Meine Oma hatte nie einen Hehl aus ihren Gefühlen gemacht. Zumindest nicht vor mir. Dass sie ihrem Mann, meinem Opa, grollte, weiß ich, seit ich denken kann. Aber sie respektierte meine Auffassungsgabe. Erst als ich neun Jahre alt wurde, begann sie, mir von ihren Mordplänen zu erzählen.“ Mit seiner sonoren Stimme spricht Uhly diese Sätze makellos aus. Es ist eine Freude, ihm zuzuhören, und das bleibt in den folgenden 40 Minuten auch so.

Wir begleiten den Ich-Erzähler dabei, wie er erlebt, dass seine Oma ihren Mann mit Rattengift tötet. Und erfahren, dass seine Mutter zwar Kontaktanzeigen aufgibt, aber eigentlich keinen neuen Mann will. Die Lesung endet mit einer Vereinbarung, die der inzwischen 18- Jährige mit seiner Freundin trifft, die er aber eigentlich nicht liebt. Derjenige von beiden, der das bessere Abitur schreiben wird, darf entscheiden wie es mit ihrer Beziehung weitergeht. Zum Erstaunen seiner Mutter gewinnt er. Und teilt dann seiner ebenfalls erstaunten Freundin in bester Römischer-Kaiser-Manier seinen Entschluss mit: „Als ich Lisa auf der Abiturfeier mein Zeugnis vorlegte, war sie sprachlos und ich lachte sie an. Dann ballte ich die linke Hand zur Faust, streckte den Daumen nach oben und drehte ihn langsam zur Erde. Während Lisa aus meinem Leben schied, feierte ich ein rauschendes Fest.“

Uhly schreckt auch nicht vor heiklen Anspielungen zurück. Das Resümee dieser Erfahrung lautet wie folgt: „Durch unsere Abmachung lernte ich, dass Arbeit wirklich frei macht.“

Nach der Veranstaltung kann Uhly autobiographische Bezüge nicht gänzlich abstreiten, er bemerkt aber, dass es sich bei Mein Leben in Aspik um einen Genreroman handelt, und zwar um einen Schelmenroman. Und seiner Auffassung nach sind solche auch immer fiktionale Biographien. Vielleicht auch eine fiktionale Autobiographie? Aspik, diese transparente, gallertartige Masse, die sonst über Presssack zu finden ist, macht in diesem Fall große Freude, sie verzerrt den Blick auf die Realität ins lustig-ironisch-tiefgründige. Mehr Aspik! Mehr Uhly!

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