Unileben

Hybride Lehre – Notlösung oder inklusives Zukunftskonzept?

Mit dem ersten Lockdown im Frühling 2020 änderte sich einiges – auch die Hochschullehre. Digitale Veranstaltungen wurden zur Normalität, mittlerweile  bieten viele Universitäten eine hybride Lehre an. Doch wie soll es nach der Pandemie weitergehen? Sollen wir weitermachen wie bisher oder können wir aus der hybriden Lehre lernen und so die Universität – insbesondere für Student*innen mit Mehrfachbelastung – zugänglicher machen?

Für viele Studierende ist das Studium vor dem Laptop statt im Hörsaal zur Normalität geworden. Foto: Silvia Klein

 Von Silvia Klein

In den letzten beiden Jahren erfolgten, je nach Pandemielage, mehrere Versuche, wieder in die Präsenzlehre zurückzukehren. Im Wintersemester 2021/22 war an vielen Universitäten die hybride Lehre Realität, wobei ‚hybrid‘ verschieden Dinge bedeuten kann: Veranstaltungen, an denen entweder in Präsenz oder online teilgenommen werden kann, aber auch ein Studium, in dem einige Veranstaltungen rein online und andere rein vor Ort stattfinden. Zentrale Informationen zur Lehre im Sommersemester 2022 gibt es von Seiten der LMU im März 2022 noch keine. Allerdings scheint eine hybride Lehre allgemein nur als Übergangslösung in der Pandemie in Betracht gezogen zu werden.  

Ein Plädoyer für eine hybride Lehre  

Für einige Student*innen hatte die hybride Lehre große Vorteile und war eine große Entlastung. Anna (alle Namen von der Redaktion geändert) studiert an der LMU Geschichte, Laura hat vor kurzem ihr Studium in Skandinavistik abgeschlossen und unterrichtet nun auch an der Universität – beide haben eine chronische Erkrankung. Anna leidet vor allem an Konzentrationsschwierigkeiten und Panikattacken, Laura gehört aufgrund ihrer Erkrankung zu einer Corona-Risikogruppe. Vor der Pandemie hatten sie keine digitalen Veranstaltungen, lernten aber viele Bereiche davon in den letzten Jahren zu schätzen. So fällt es ihnen leichter unter gesundheitlicher Beeinträchtigung an Online-Formaten teilzunehmen. Sie haben dadurch beispielsweise die Möglichkeit die Kamera auszuschalten  und dem Unterricht vom Bett aus zu folgen. Anna betont, dass sie große Unterschiede zwischen verschiedenen Veranstaltungen bemerkt. Sie zieht Vorlesungen online vor und kann sich dabei sogar besser konzentrieren als in Präsenz, weil sie sich zuhause geeignete Rahmenbedingungen dafür schaffen kann. Allerdings bemerken sie und Laura auch, dass die Interaktion mit anderen und teilweise die Konzentration auf den Lerninhalt online erschwert wird. Deswegen finden beide in Seminaren mit Diskussionsbedarf die persönlichen Gespräche in Präsenz wichtig.      

Ähnliches berichtet auch Marie, die an der LMU bereits seit einigen Jahren Lehramt studiert und im letzten Jahr Mutter geworden ist. Seit ihrer Schwangerschaft profitiert sie vor allem von der Flexibilität der digitalen Angebote. Sie erzählt, dass sie in einem reinen Präsenzsemester vermutlich nicht in diesem Umfang hätte studieren könnte. In diesem Wintersemester war es so, dass ihr Kind oft schlief, während sie Vorlesungen online besuchte. Auch das Stillen war so einfacher zu regeln. 

Sonja ist ebenfalls seit kurzem Mutter und studiert. Auch für sie wurden digitale Veranstaltungen erst während der Pandemie zur Normalität. Zunächst war sie skeptisch, ob die Lehrinhalte im Online-Format genauso gut übermittelt werden können wie zuvor in Präsenz. Mittlerweile ist sie überzeugt, vor allem von den Vorlesungen: „Alle Dozent*innen geben sich sehr viel Mühe.“  Vor allem hat sie so eine Möglichkeit, die Kinderbetreuung zu organisieren. Der Vater ihres Kindes ist ebenfalls Student, einen KiTa-Platz konnten sie nicht  bekommen. Durch die neu gewonnene Flexibilität im Online-Studium können sie die Elternschaft mit dem Studium auf eine Weise vereinen, die sonst wohl nicht möglich gewesen wäre.

 

Alle vier Studentinnen wünschen sich, dass zumindest einige Bereiche der hybriden Lehre beibehalten werden – insbesondere die Möglichkeit, selbst zu entscheiden, ob sie vor Ort oder online teilnehmen. Die neu gewonnene Flexibilität bei aufgezeichneten und online verfügbaren Veranstaltungen scheint der größte Vorteil zu sein. Es bedeutet, dass Student*innen nicht ortsgebunden sind und könnte so auch jene, die neben dem Studium arbeiten, bei ihrer Zeitplanung unterstützen. Bei aufgezeichneten Veranstaltungen kann nämlich selbst entschieden werden, wann und wo diese angesehen werden. Die zusätzliche Zeit und Kraft, die für den Weg zu und von der Universität aufgewendet werden muss, fällt weg und sollte jemand gerade aufgrund von gesundheitlichen Gründen oder fehlender Kinderbetreuung nicht an einer Vorlesung teilnehmen können, kann diese zu einem besseren Zeitpunkt nachgeholt werden. 

Auch wenn alle vier Studentinnen die Vorteile einer hybriden Lehre betonen, sehen sie Barrieren nicht nur in der Lehre. Vor allem am Verständnis für gewisse Situationen fehle es. So wurden Anna oft Steine in den Weg gelegt, wenn sie aufgrund ihrer Krankheit von einer Veranstaltung oder einer Prüfung entschuldigt werden musste. Auch die notwendige Kinderbetreuung ist oft schwierig zu organisieren, trotz Angeboten von Seiten der Universität mangelt es an KiTa-Plätzen. 

Hybride Lehre allein reicht nicht

Es bleibt die Frage, ob das Konzept der hybriden Universität überhaupt umsetzbar ist. Nachgefragt bei Dozent*innen ergibt sich ein gemischtes Bild. Während Laura sich für eine hybride Lehre ausspricht, hat Daniel einen anderen Blickwinkel. Er ist wissenschaftliche Hilfskraft am Institut für empirische Kulturwissenschaft und europäische Ethnologie an der LMU und sieht das Konzept eher kritisch. Ihn beunruhigt, wie sehr die Interaktion mit Student*innen in digitalen Kursen abnimmt. Viele würden ihre Kamera ausschalten und Diskussionen, von denen viele Seminare leben, seien schwieriger umzusetzen. Dazu kommt, dass er keinen Zugriff auf ein eigenes Büro hat und so für jede Online-Veranstaltung einen Ort zum Unterrichten suchen muss – entweder zuhause oder durch Absprache mit Kolleg*innen im geteilten Büro, was den Arbeitsaufwand für jede Veranstaltung erhöht. Außerdem sieht er auch ohne den Mehraufwand eines Doppelangebots der Lehre bereits eine Überlastung der Dozent*innen. Zudem fügt er hinzu: „Eine hybride Lehre ändert nichts an dem Grundproblem der Teilhabe an der Universität: Das Abbauen von Bildungsbarrieren ist vor allem eine politische Aufgabe.“ 

Ein realistischer Ausblick

Grundsätzlich ist die Frage nach den Vorteilen und der Umsetzbarkeit einer hybriden Lehre nicht einfach geklärt. Verschiedene Student*innen und Dozent*innen haben verschiedene Bedürfnisse und Ressourcen, um den Alltag an den Universitäten zu meistern, sei dies finanziell oder zeitlich durch Mehrfachbelastungen wie Krankheiten oder Nebenjobs. Dazu kommt, dass nicht in allen Fächern Online-Kurse möglich sind – aufgrund der Lehrinhalte oder den technischen Voraussetzungen. Praktische Unterrichtseinheiten wie zum Beispiel Labore in den Naturwissenschaften können nicht durch Online-Angebote ersetzt werden. Außerdem setzt die Nutzung von hybriden oder Online-Formaten eine gewisse technische Affinität aller Beteiligten voraus – seien dies Videochatprogramme wie Zoom, Kameras oder Soundssysteme. Außerdem können auch bei digitalen Angeboten oder einem hybriden System Barrieren entstehen, wie eine Mitarbeiterin der Beratungsstelle für Studierende mit Behinderung an der LMU betont. Nicht bei jeder gesundheitlichen Beeinträchtigung fällt es leichter, an digitalen Formaten teilzunehmen. Teilweise kann die Kommunikation mit anderen Student*innen oder Dozent*innen sogar im digitalen Raum erschwert werden und zu einer erhöhten Isolation führen. 

Wenn über Online-Vorlesungen gesprochen wird, fällt immer wieder die Aussage, dass sowohl Student*innen als auch Dozent*innen den persönlichen Austausch und die Gemeinschaft vermissen. Die Universität als soziales Umfeld und Netzwerk sollte nicht unterschätzt werden.

 Eine perfekt ausgearbeitete hybride Lehre wird den Zugang und die Teilhabe am Studium nicht für alle erleichtern und hat auch klare Nachteile. Allerdings kann die Erfahrung mit digitaler Lehre in Folge der Pandemie möglicherweise ein Anstoß sein, Universität neu zu denken und dazu führen, dass die Lehre flexibler und offener für Veränderungen wird. 

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