Filmreihe

„Deutsches Haus“ – Gegen das Vergessen-Wollen

Worte finden für etwas, das unaussprechlich ist: Dies gelingt der Serie „Deutsches Haus“ auf erschütternde Art & Weise. Eine Rezension über eine Veröffentlichung, die das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte in Worte fasst und gleichzeitig ein Schweigen hinterlässt, das ohrenbetäubend ist.  

Von Johanna Mayer; Foto: © Walt Disney/Gaumont

Frankfurt am Main, 1963: Eva Bruhns, Tochter des Wirtes der Gaststätte „Deutsches Haus“, soll bei einem Strafprozess als Dolmetscherin angestellt werden. Obwohl sowohl ihre Eltern als auch ihr Verlobter, der Versandhauserbe Jürgen Schoormann, mit allen Mitteln versuchen, Eva davon abzuhalten, nimmt diese die Stelle an – unwissend, wie der Prozess ihr Leben verändern wird. Schnell wird klar, dass es sich nicht um irgendeinen Strafprozess handelt, sondern um einen der ersten Auschwitz-Prozesse, bei dem ehemalige NS-Funktionäre vor Gericht stehen. Eva begreift erst im Laufe des Prozesses die Ausmaße der begangenen Verbrechen  und fühlt sich verpflichtet, zur Wahrheitsfindung beizutragen. Immer mehr erkennt sie, dass ihre eigene Geschichte eng mit Auschwitz zusammenhängt: Die Normalität, die ihr von ihren Mitmenschen vorgegaukelt wird, ist eine einzige große Lüge, die nur einem Zweck dient: Die grausame Wahrheit zu verbergen.

Die Wut, die bleibt

„Deutsches Haus“ ist eine Serie, die wütend macht. Wütend darüber, wie wenige Jahre nach dem 2. Weltkrieg ehemalige KZ-Häftlinge im Gerichtssaal als Lügner dargestellt werden, darüber wie NS-Verbrecher unbehelligt nach dem Krieg weiterarbeiten durften. Darüber, wie alle sich hinter ihren Lügen verstecken und nichts gewusst haben wollen. Der Fakt, dass die Produzenten hierbei keine frei erfundenen Dialoge, sondern die Original-Prozessprotokolle von 1963 verwenden, ist so ungeheuerlich wie die Worte selbst, die im Gericht gewechselt werden. „Deutsches Haus“, basierend auf dem gleichnamigen Roman von Anette Hess aus dem Jahr 2018, liefert mehr als hervorragende Quellen- und Recherchearbeit: Viel mehr sind es die Schauspieler und Schauspielerinnen, die der Serie eine Seele geben. Ob Iris Berben, die als ehemalige KZ-Inhaftierte Rachel Cohen ihrer Wut auf die Angeklagten freien Lauf lässt, Anke Engelke und Hans-Jochen Wagner als Eltern der Protagonistin, die beweisen, dass das wahre Böse da schlummert, wo man es am wenigsten vermutet, oder Heiner Lauterbach, der den Kriegsverbrecher Wilhelm Bogger so vielschichtig spielt, dass man der These über die Banalität des Bösen nur zustimmen kann: Durch sie wird klar, dass dies kein Alptraum ist, aus dem man aufwachen kann, sondern dass die Serie die Realität aus dem Jahr 1963 wiedergibt. Dass es tatsächlich so war. Und dass es  auch wieder so werden kann.

„Wahrheit verändert alles“

„Deutsches Haus” zählt zu den besten deutschen Serien der letzten Jahre: Nicht nur die Besetzung und die Handlung überzeugen, sondern auch die Thematik passt geradezu perfekt zum momentanen Zeitgeist. Es stellt sich die Frage, warum ,,Deutsches Haus” bisher nur auf dem privaten Streaming-Anbieter Disney Plus zu sehen ist: Eine Serie, die so aufrüttelt und so gegen das Vergessen ankämpft, sollte für so viele Zuschauer*innen wie nur möglich zugänglich gemacht werden, zum Pflichtprogramm der öffentlich-rechtlichen Sender gehören und könnte in den Unterricht an Schulen miteinbezogen werden. 

Denn das Ziel, welches die Macher*innen von „Deutsches Haus“ verfolgen, ist klar gesetzt: Aufrütteln, Augen öffnen, gegen das Vergessen handeln.  Doch es liegt an uns, diese Wahrheit zu erkennen und mit ihr umzugehen. Es liegt an uns, mit offenen Augen hinzusehen, ohne uns wegzudrehen. Letzten Endes liegt auch die Vergangenheit in unserer Hand: Es liegt an uns, ob wir vergessen wollen – oder nicht.

Die Miniserie „Deutsches Haus” wurde am 15. November 2023 auf Disney+ erstveröffentlicht und kann dort derzeit gestreamt werden.

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