Rezension

Adlige im Kaninchenbau

Christina Tscharyiski inszeniert am Volkstheater Ferdinand Schmalz Neubearbeitung der Nibelungensage „hildensaga. ein königinnendrama“. Die ambitionierte Inszenierung verhandelt die Frage nach der Effizienz von Gewalt, dekonstruiert deutsches Kulturgut – und ist dabei sogar noch unterhaltsam. Ein Text über rauschhafte Gewaltexzesse, echte Männer, Schwesternschaft und Parallelen der „hildensaga“ zum Bachelor.

Es ist eng im Kaninchenbau der Adligen. Fotograf: Arno Declair.

Von Pauline May

Ein kühles Türkis umgibt die sagenumwobene Brünhild, um sie herum steigt Rauch auf. Die Königin befindet sich in einer Art Krater, der zum Publikum geöffnet ist, sodass man als Zuschauer*in selbst Teil der außerirdisch anmutenden Szenerie wird. Ansonsten ist da Weite und Stille in Brünhilds Königreich. Bis der Held Siegfried kommt und eine Beziehung mit Brünhild beginnt. Bis das Schicksal, personifiziert durch drei schicksalswebende Nornen, nicht einverstanden ist mit den romantischen Absichten des Helden. Bis der Außenseiter Gunther Brünhild mithilfe einer List besiegt und sie zur Heirat am Hofe Burgunds gezwungen wird.

Dann wird Brünhild ihr eigenes Gewand genommen, ein buntes Fell übergestülpt und in der Nacht wieder ausgezogen. Denn es gehört sich ja, dass der König seine Königin zähmt. Wenn es sein muss, erfolgt die Vergewaltigung mit allen Mitteln – und mit der Unterstützung durch Siegfried, den Ex von Brünhild und jetzt Liebhaber von Gunthers Schwester Kriemhild.

Mittendrin in den Dingen

Im Kaninchenbau, der Kulisse, in der Regisseurin Christina Tscharyiski die Geschehnisse am Hofe Burgund ansiedelt, wird die innere Bedrängnis der Protagonist*innen durch die Konventionen auch von außen sichtbar. Die Schauspieler*innen drängen sich durch die engen Gänge des Kaninchenbaus, müssen sich permanent gebückt fortbewegen in einem dunklen Tunnelsystem. Zu Beginn des Stücks nahm man als Zuschauer*in Brünhild noch als fleischgewordene Macht wahr, mit ihrer aufrechten, raumgreifenden Art. Mit einem Herzen, das die schicksalswebenden Nornen als „Festung“ bezeichnen und einer Haltung, die zu verkörpern schien, dass eine Brünhild über den Dingen steht, nicht mittendrin. Nun muss sich Brünhild aufgrund der geltenden Hierarchien nicht nur intellektuell vollkommen unterlegenen Männern unterordnen, die hämisch lachen, während sie sexualisierte Gewalt erlebt. Auch Kriemhild kann sich nicht vollkommen entfalten im Kaninchenbau. Während sie eine große emanzipatorische Rede schwingt, wird sie immer wieder unterbrochen von Siegfried, der französische Chansons über die Liebe trällert und ihr nicht zuhört. Man fühlt sich an die Gegenwart erinnert, an Typen, die genervt raunen: „Warum musst du immer so politisch sein? Hör mal auf mit deinem feministischen Kampftag, lass uns lieber kuscheln!“ Und auch die übertriebene Inszenierung Siegfrieds romantischer Ambition, sein leicht lallender Gesang und das damit verbundene Fremdschämen ist für Menschen, die schon einmal den Bachelor gesehen haben, kein vollkommen neues Erlebnis. Und selbst für Gunther, der als Burgunderkönig doch eigentlich bestens zurechtkommen sollte, ist das Leben am Hofe kein einfaches. So muss er, vor Angst schlotternd, an irgendwelchen lebensmüden Fraueneroberungskämpfen teilnehmen, um zu beweisen, dass er ein echter Mann ist. Und in der Hochzeitsnacht, da muss er mit Brünhild schlafen.

Schrecklich schöne Gewalt

Wie umgehen mit dieser Figurenkonstellation? Anstelle des gewohnten Motivs „Frauen hassen sich, Frauen sind ja eh zickiger als Männer“ (da liegt der Unterschied zum Bachelor) tritt in Ferdinand Schmalz Neubearbeitung eine Schwesternschaft zwischen Brünhild und Krimhild. Dabei macht die Inszenierung nicht den Fehler, die beiden Frauenfiguren als völlig konfliktfrei darzustellen. Stattdessen verdeutlichen die beiden Figuren den altbekannten Streit um die Frage nach dem effizientesten Mittel für Veränderung: Kriemhild möchte den Hof subtil untergraben, sodass er sich „gegen sich selbst wendet“, Brünhild betont immer wieder, dass Veränderung eben schmerzhaft sei – gewaltvoll, offensiv. Sie kann sich durchsetzen. Daraufhin ist es Siegfried, in dessen Herz hinein etwas trifft – doch es ist nicht Brünhilds Liebe, wie erhofft, sondern ein Dolch. „Im Angesicht dieser schrecklich schönen Gewalt, dort an dem Rand des Abgrunds, dort fühlen wir das volle Leben erst“, kommentiert Brünhild.

Am Ende sind fast alle tot, wie man es von Theaterbesuchen gewohnt ist. Selbst Brünhild, die überlebt hat, ist nicht ganz zufrieden mit der Gesamtsituation – das viele Töten lässt einen halt doch nicht ganz kalt. Das Animalische erscheint ihr jedoch gleichzeitig unausweichlich, wie sie anhand des Märchens über Rotkäppchen ausführt: „Die Wahrheit ist, diese Bestie, der Wolf, das sind wir selbst. Das hätten wir schon von der Großmutter, hätten wir das lernen können: Aber Großmutter, warum hast du so große Augen, warum hast du so große Ohren und ein so großes Maul? Weißt du, Liebes, hätt‘ sie da sagen sollen, ich bin der Wolf und du, du bist der Wolf, wir alle sind Wölfe. Da können wir uns noch so viele rote Tücher über unsere Köpfe binden, wird es daran nichts ändern.“

In diesem Sinne scheint die Inszenierung mit einer Warnung zu enden: „Dort draußen lauern wölfische Zeiten.“

Das Stück „hildensaga. ein königinnendrama“ ist noch am 19. März, 15. April und 07. Mai im Volkstheater zu sehen.

Karten gibt es hier zu kaufen: https://muenchner-volkstheater.muenchenticket.net/veranstaltung/391926.

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