Online Rezension

„Diego Maradona“: jenseits von Rausch und Ruhm

Was wird aus einem, der erst Hoffnungsträger der Familie, dann einer ganzen Stadt und schließlich einer Nation war? „Diego Maradona“ zeigt das Leben eines Mannes, der einfach Fußball spielen wollte und dies so gut machte, dass er es nicht ausgehalten hat.

Von Inti Crisanto Guder

Die Frisur hätte eigentlich sein Markenzeichen sein müssen. 1984, als der argentinische Fußballspieler Diego Maradona vom FC Barcelona frisch und mit großen Erwartungen besetzt nach Italien zum SSC Neapel wechselte, war sein dunkles Haar unglaublich lockig und voluminös. Es umgab seinen Kopf fast wie einen Heiligenschein, hüpfte auf und ab wenn er mit dem Ball am Fuß beinahe Übernatürliches vollbrachte und die Zuschauer*innen und Fußballkenner*innen begeisterte.

Von diesen Momenten, die Diego Maradona zum besten Fußballspieler der Welt machten, oder zumindest zu einem davon, erzählt der neueste Dokumentarfilm des britischen Regisseurs Asif Kapadia. Für die Dokumentation hat er kein zusätzliches Material gedreht. Kapadia verwendete über 500 Stunden archivierte Originalaufnahmen, seien es private Videoclips oder TV-Beiträge. Er hat die Bilder lediglich mit Stimmen unterlegt, hat Meinungen eingefangen: von Maradonas ehemaligem Fitnesstrainer, seiner Schwester und seiner Ex-Frau, Journalisten; auch Maradona selbst kommt zu Wort.

Aus dem Armenviertel auf die Weltbühne

Nicht nur große Augenblicke, auch absolute Tiefpunkte eines außergewöhnlichen Lebens und die Zerrissenheit zwischen dem Jungen Diego und dem Fußballgott Maradona gehören dazu. Diego stammt aus ‚Villa Fiorito‘, einer Stadt in der Provinz Buenos Aires in Argentinien, und wuchs als jüngstes Kind mit vier Schwestern in sehr ärmlichen Verhältnissen auf. Sein fußballerisches Talent war bald sichtbar und als er mit 15 Jahren seinen ersten Vertrag bei den ‚Argentinos Juniors‘ unterschrieb, war er es, der die Familie alleine unterhielt.

Es folgten der erfolgreichste Club in Argentinien, die ‚Boca Juniors‘, und der große FC Barcelona, bei dem er sich jedoch nie richtig durchsetzen konnte. 1984 dann kaufte ihn der erfolglose italienische Verein SSC Neapel, für eine damalige Rekordsumme von umgerechnet 24 Millionen D-Mark. Entsprechend groß waren die Erwartungen an ihn. 1986 war er es, der Argentinien bei der Weltmeisterschaft in Russland praktisch im Alleingang zum Titel verhalf und der dafür als Ikone seines Heimatlandes gefeiert wurde. Zurück in Neapel startete Maradona mit seinem Club in der italienischen Liga durch. Er wurde Mannschaftskapitän und führte den SSC Neapel 1987 zum ersten Meistertitel der Vereinsgeschichte.

Drogen gegen den Druck

Bald wurde ihm das rasch zunehmende Aufheben um seine Person jedoch zu viel. Das gequälte Lächeln für die Kameras und der fast schon ängstliche Augenausdruck, wenn er inmitten von Fanmassen stand, die dem Mann, der ihnen den Erfolg brachte, wenigstens einmal ganz nah sein möchten, zeugen davon. Diego war längst zu dem Übermenschen Maradona geworden, dem die Bewohner*innen Neapels Schreine errichteten und der eigentlich nur in Ruhe Fußball spielen wollte. Der Junge aus ‚Villa Fiorito‘ bekam das nicht zusammen.

Und obwohl seine Familie ihr Bestes tat, um ihn zu unterstützen, konnte er mit dem Druck nicht umgehen, stürzte sich in exzessive Partys und Drogenkonsum, den er auch mithilfe der neapolitanischen Mafia unterhielt. Seine Kokain-Abhängigkeit führte schließlich dazu, dass ihn sein Verein, der SSC Neapel, suspendierte. Danach wurde es ruhig um ihn, den Weltstar. Verschiedene kleine Stationen, zunächst noch als Spieler und dann als Trainer folgten, er zog zurück nach Argentinien und begab sich wegen seiner Drogenprobleme in Behandlung. Heute ist die mediale Aufmerksamkeit um seine Person geringer, die Massen scharen sich nicht mehr um ihn, stellen keine Ansprüche.

Die Locken sind weg und mit ihnen der Heiligenschein

Begleitet wird die Dokumentation von der Musik des preisgekrönten brasilianischen Komponisten Antônio Alves Pinto, die eigens für diesen Film geschaffen wurde. Sie ist mal schnell fröhlich, mit einem Hauch von Tango, dann wieder langsam melancholisch, dabei jedoch nie aufdringlich. Die Stücke lassen die Zuschauer*innen Maradonas beispiellose Zeit in Neapel erneut durchleben und stimmen nachdenklich, wenn Bilder aus Krisenzeiten über die Leinwand flimmern. Pintos Kompositionen tragen Namen wie „Maradona Argentina’s Savior“, „Maradona The Demigod“ oder „Cocaine and Maradona“. Das allein sagt schon alles.

Im letzten Clip des Films spielt Maradona zusammen mit einigen Jugendlichen auf einem heruntergekommenen Platz Fußball, unter ihnen auch seine mittlerweile erwachsenen Kinder. Das immer noch dunkle Haar trägt er jetzt kürzer, die unglaublich voluminösen Locken sind weg und mit ihnen der Heiligenschein. Es scheint, als hätte das Leben der Legende Diego Maradona die Strahlkraft gekostet. Vielleicht ist es ihm aber auch lieber so.

 

„Diego Maradona“ (Großbritannien, 130 Minuten) läuft seit dem 5. September in Deutschland im Kino.

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