Rezension

Wer braucht noch einen Regisseur?

Mit „Tootsie“ bringt Gil Mehmert im Gärtnerplatztheater zum ersten Mal eine Musical-Adaption der gleichnamigen Travestiekomödie auf eine europäische Bühne. Mit Sydney Pollacks von Kritikern hoch gelobtem Film von 1982 kann das Stück allerdings nicht mithalten.

Foto: Jean-Marc Turmes

Von Benjamin Viehweger

Die verzweifelte Suche nach einer Anstellung bringt den Schauspieler Michael Dorsey dazu, als Frau verkleidet bei einem Musical-Casting zu erscheinen. Dort schnappt er nicht nur seiner Freundin Sandy die Wunschrolle weg, sondern verliebt sich als Dorothy Michaels auch noch in seine neue Kollegin Julie.

Abgesehen von der anspruchsvollen Hauptrolle, welche von Armin Kahl hervorragend umgesetzt wird, und einer unausweichlichen Komik, bringt dieser Plot vor allem Raum für tiefgreifende Fragen, zum Beispiel, wie eine Emanzipation des männlich geprägten Theaters aussehen könnte. So entmachten Dorothy und Produzentin Rita den chauvinistischen Regisseur des Musicals im Musical, dessen Regieanweisungen schließlich ignoriert werden. Das Theater demokratisiert sich, der Regisseur wird überflüssig. Diese revolutionäre Idee wird von Mehmert jedoch interessanterweise im Verlauf nicht weiter ausgebaut.

Trotz grandioser Vorlage geht der Humor selten über das „Lässt mich dieses Kleid dick aussehen?“ von Dorothy bei ihrer ersten Begegnung mit Mitbewohner Jeff hinaus. Auch die Nebenrollen bleiben eher unausgebaut und oberflächlich. So fungiert Michaels Schauspielfreundin Sandy – entgegen der oskarnominierten Filmrolle – nur als hysterische Gag-Maschine. Unerbittlich hält Mehmert sie wie einen Stock vor die Beine des Publikums, über welchen es wieder und wieder eifrig applaudierend springt.

Hervorzuheben sind allerdings Adam Cooper und Andreas Partilla mit ihrer perfekt aufeinander abgestimmten Choreographie und Musik. Keine Tanzeinlage wirkt gezwungen, kein Song ist zu lang. Zusammen erzeugen sie eine echte Feel-Good-Atmosphäre. Leider traut sich Mehmert im Gegensatz zu den klingelnden Smartphones im Publikum nicht, diese auch nur einmal mit Dissonanzen zu durchbrechen. So zerschmettert Sandy, als sie bemerkt, wie sie von Micheal hintergangen wurde ihr Glas nicht, nein, es wird sanft auf das Lederpolster des Barhockers geschleudert.

Das ist dann auch die einzige Überraschung, denn sonst bleibt das Stück größtenteils berechenbar und unrevolutionär. Statt den Travestiestoff zu nutzen, um die Liebe von Geschlechtsteilen zu entkoppeln oder auch nur traditionelle Geschlechtergrenzen ansatzweise in Frage zu stellen, wird der musikalisch immer wieder aufgegriffenen Frage „Wer bist du?“ nicht weiter nachgegangen. Aus Dorothy muss am Ende wieder Michael werden, schließlich, so Julie, könne er nicht durch das bloße Tragen von High-Heels zur Frau werden.

Es bleibt bei niedrigschwelliger Unterhaltung für ein unkonzentriertes Publikum. Bei all dem schauspielerischen Talent, ausgeklügeltem Bühnenbild und begeisternder musikalischen Untermalung reicht es eben nicht aus, einen verknitterten 80er-Jahre-Stoff aus der Kommode zu kramen und etwas zu bügeln, um ihn bühnenreif und relevant für die Fragen des 21. Jahrhundert zu machen. Vielleicht sollte das Ensemble doch einmal über die Idee von Dorothy und Rita nachdenken. 

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