An oldie but a goldie: Französische Eleganz trifft Schicksalsdramatik. Ein Film über culture clash, die Liebe am Leben und darüber, wie schön Loyalität über Alter, Herkunft und körperliche Eigenschaften hinaus sein kann.
Von Leonie Stoll; Foto: Gaumont, TF1
Im Original lautet der Titel des Meisterwerks: „Intouchables“, französisch für „Die Unberührbaren“. Es geht um eine Tragikomödie der Regisseure Olivier Nakache und Éric Toledano aus dem Jahr 2011, inspiriert durch die schon 2001 erschienene Autobiografie „Le second souffle“ von Philippe Pozzo di Borgo. Borgo, ehemals Geschäftsführer einer französischen Champagnermarke, stürzte im Juni 1993 beim Paragleiten ab und war anschließend bis zu seinem Tod im Juni 2023 Tetraplegiker – das bedeutet, er war sowohl an Armen als auch an Beinen gelähmt.
Das Aufeinanderprallen zweier Welten
Der Film dreht sich um die Geschichte des querschnittsgelähmten Phillips und seines senegalesischen Pflegers Dris. Die erste Szene des Films lässt vermuten, es ginge hier nur um zwei kindliche Freunde, die zusammen Quatsch machen. Phillip, weiß und Ende 50, und Dris, schwarz und definitiv nicht ganz so alt, rasen in einem Masarati durch Paris – verfolgt von der Polizei. Doch der folgende Zeitsprung einige Monate zurück in die Vergangenheit belehrt den Leser eines Besseren – denn das Kennenlernen von Phillip und Dris wird beschrieben. Dris bekommt, frisch aus dem Gefängnis entlassen und zurück in seinem banlieu, vom Arbeitsamt eine Stelle als Pfleger in einer Nobelgegend von Paris vermittelt. Sein neuer Arbeitgeber ist der körperlich schwerstbehinderte, depressive Phillip – ein Kunst und Gedichte liebender Witwer.
Die beiden Männer könnten unterschiedlicher nicht sein und Dris übt seinen Job zuerst auch auf genervte, emotionslose Weise aus. Jedoch kann das Publikum über den Film hinweg beobachten, wie Dris von Phillip lernt, Kultur zu schätzen und seine Familie zu ehren – im Gegenzug traut sich Phillip durch seinen Pfleger wieder, die Kontrolle etwas abzugeben und zu genießen. Er findet wieder den Mut zum Liebesbriefe Schreiben, Haschisch Rauchen und eben auch zum Fahren schneller Autos. Dris lernt schlussendlich, seinen Job mit Verantwortung auszufüllen und gewinnt auch den Respekt der anderen Angestellten.
Das Leben mit Humor nehmen
Der Grund, warum dieser Film mir (und als erfolgreichster französischer Film 2011 wohl auch vielen Anderen) als einzigartig in Erinnerung geblieben ist: Beide Hauptcharaktere sind auf ihre Art und Weise schicksalsgebeult – und beide nehmen ihren Alltag trotzdem oder vielleicht genau deswegen mit unverwechselbar trockenem Humor. In jedem eigentlich noch so niederschmetternden Moment fällt ein zynischer oder sarkastischer Witz. ,,Wenn sie uns suchen, wir sitzen da vorn. Wir laufen nicht weg – er schon gar nicht.“ sagt beispielsweise Dris, nachdem ein Kellner in einem Nobelrestaurant die beiden nicht einlassen will, aus Angst, Dris könnte die Rechnung schlussendlich nicht begleichen.
An Humor scheint es auch den realen Vorbildern der Rollen nicht zu fehlen, die Reaktion von Borgo und seinem Pfleger Abdel auf den Film wird wie folgt von den beiden Regisseuren übermittelt:
Eric Tolédano: „Philippe mit seinem typischen Humor meinte nur, ich klatsche mit beiden Händen! Dabei kann er ja nicht einmal seine Arme bewegen.“
Olivier Nakache: „Und Abdel sagte: Oh, ich habe gerade herausgefunden, dass ich Schwarzer bin. Das wusste ich gar nicht.“
Manchmal ist weniger mehr
„Ziemlich beste Freunde“ wurde mit einem Goya und Omar Sy als Dris mit einem César ausgezeichnet sowie für einen Golden Globe nominiert und das Zurecht. Mit großen Tönen fuhr „Ziemlich beste Freunde“ übrigens auch bei der Werbung auf: für den Film gab es eine „Tour de France“ der Vorpremieren in 42 Städten insgesamt für etwa 30000 bis 40000 Zuschauer. Qualität im Cast und auch der Filmmusik fesseln gleichermaßen wie zwar nur kurzzeitig angeschnittene, aber tiefgehende Nebenhandlungsstränge über den Verlauf der Pubertät von Phillipes Tochter oder das Leben von Dris Familie in der Pariser Banlieus. An special effects, unerwarteten Handlungswendungen und Ortswechseln wird zwar gespart und vielleicht fällt kein Zuschauer vor Spannung und Reizüberflutung aus dem Kinosessel, aber das ist auch gar nicht nötig: Hintergrund und Thema der Handlung berühren so tief, dass wir als Zuschauer von der ersten bis zur letzten Minute mitfühlen. Hier wird mal wieder klar, das große Rambazamba an jeglichen Stilmitteln der Filmwelt ist manchmal gar nicht nötig.
„Ziemlich beste Freunde“ ist auf Netflix und Amazon Prime Video verfügbar.