Filmreihe

„Escort Boys” – Wie sprechen wir über Sex?

Die Amazon Prime Serie „Escort Boys“ vermischt leicht bekleidete Gigolos, das französische Marschland und die Bienenrettung – mal sexy, mal skandalös, nicht immer überzeugend.

Von Christopher Bertusch; Foto: Amazon Prime Video

Als Ben von dem Tod seines Vaters erfährt, kehrt der Teilzeitschauspieler aus der Großstadt in sein Heimatdorf und damit auch zu seiner kleinen Schwester zurück. Für eine emotionale Wiedervereinigung bleibt jedoch wenig Zeit, denn die beiden finden heraus, dass sie eine hohe Summe brauchen, um das Imkergeschäft ihres Vaters aufrechtzuerhalten. Ein Glück, dass Ben der ‚goldene Esel‘ beinahe beiläufig in den Schoß fällt. Er findet heraus, dass Mathias, einer der Angestellten seines Vaters, seinen Teilerwerb mit skandalösen Damenbesuchen verdient. Es folgen sechs 40-minütige Episoden, in denen die Boys zusammen mit ihren Freunden Sexarbeit und Familie, wieder aufflammende Liebschaften und einflussreiche Kundinnen, Businesspartys und das Dasein als Escort balancieren müssen.

Sexy, Sinnlich, Spannend

Inszenatorisch trifft man auf eine bekannte Formel, die spätestens seit „Euphoria“ großen Erfolg feiert: Laszive Pop-Musik mit gesäuselten Lyrics vermischt sich mit nackten Oberkörpern, tiefen Blicken und noch tieferen Seufzern. Musikalisch stimmig, ist „Escort Boys“ die Art von Serie, bei der man mehr als einmal auf den Shazam-Knopf drückt. Aber nicht nur für die Ohren, auch für das Auge ist bei den Boys einiges dabei: Ben als der gutaussehende Großstädter, Mathias als blauäugiger Imker, Zack als getönter Jüngling und Ludo als „The Bear“ – Familienvater, Ehemann und Liebhaber. Bereits in Folge 1 sind die Herren erst  halbnackte Cowboys, die in der Sonne glitzern und kurz darauf Gentlemans im Smoking. Dabei bestechen nicht nur die Muskeln, sondern auch die Landschaft um sie herum. Sonne, Dürre und Schlamm, Pferdeställe, Bienenschwärme, kurzgesagt: der Charme der Kleinstadt. Zusammen mit Clubszenen, Feuerwerken, Nachthimmeln und diversen Lichterspektakeln ergibt das ein bezauberndes visuelles Bild – meist gefüllt mit sinnlicher Spannung, angestaut in beeindruckenden Villen und riesigen Privatpools.  

Doch nicht alles ist stimmig im Paradies der Reichen und Schönen. Dass Ludo einfach mal freizügig auf einer Party als Gigolo herumtanzt, entwickelt verständlicherweise Probleme in seiner Ehe. Der junge, aufmüpfige Zack streitet sich mit seinen Eltern über seine  Pläne für die Zukunft. Für ihn wird die Sexarbeit zu einem scheinbar emanzipatorischen Akt, jedoch ohne große Reflexion oder charakterliches Wachstum. Ben trifft in seiner Heimat auf seine verflossene Liebe und hofft auf eine neue Chance. Konflikt entsteht zuhauf durch die Verhandlung zwischen der illegalen Sexarbeit der Boys und ihren alltäglichen Leben. Der glamouröse Mathias, bei dem die Frauen nur so dahinschmelzen, pflegt daheim seine beinahe katatonische Mutter. So überrascht „Escort Boys“ immer wieder, denn die Serie ist emotionaler und tiefgründiger als ihr Cover vermuten lässt.

Sexarbeit ist Arbeit (?)

Doch leider beschränkt sich diese Tiefgründigkeit auf die Familien- und Beziehungsprobleme der Figuren. Die Gegenüberstellung der Sexarbeit als etwas Außergewöhnliches im Gegensatz zum Alltag entpuppt sich als Kernproblem der Serie. Sexarbeit findet  in luxuriösen Villen stattfindet oder mit Frauen in unglaublichen Kleidern. Selbst die Momente mit weniger reichen Kundinnen, in Wohnzimmern gefüllt mit Familienfotos oder gar Kinderspielzeug, verlieren nichts von ihrer aufsehenerregenden Natur. Sie helfen beispielsweise Ludo dabei, wieder die Kontrolle in seinem Leben zu finden. Sexarbeit ist aber auch Arbeit und der eigentlich typische Alltag jeder Arbeit verliert sich hier: Alles ist aufregend und spannend. Nie beklagen sich die Boys über den Arbeitsalltag, sind angestrengt von den ständigen Besuchen oder stören sich an gewissen Kundinnen. Wenn, dann wird sich nur in kurzen Witzen beschwert, beispielsweise weil der Ehemann einer Kundin zusehen will. Über Fetische oder unterschiedliche Sexualpraktiken wird nie diskutiert. In einer anderen Szene verlangt eine Kundin den heteronormativ geprägten Ben zu peggen, was bei diesem zunächst für Entsetzen sorgt. Es folgt ein schneller, humoristischer Cut zum Akt, der jede Diskussion über consent oder sexuelle Grenzen unmöglich macht. Diese sexuelle Fluidität ist nichts Neues für das französische Kino und wäre für viele sicherlich ein Traum – sie negiert aber die wahre Realität der Sexarbeit, welche nicht immer aus Glitzer und Glamour besteht.  Auch Zack stellt für Geld alles Mögliche mit Melonen, seiner Unterwäsche und anderen Objekten an. Die Boys sind up for anything – ohne, dass die negative Seite ihrer fatalen, ökonomischen Situation, die sie in die Sexarbeit drängt, je thematisiert wird. Wenn gewisse Sexszenen nicht gerade ins Lächerliche gezogen werden, sind sie immer leidenschaftlich, sexy oder raunchy. Anders als realer Sex, der auch mal peinlich, ehrlich, offen oder zögerlich sein kann. Diese Dimension ist in der lasziv-poppigen Welt der Boys scheinbar unmöglich. 

Problematische Unterhaltung

Die problematischen Inhalte von „Escort Boys“ verschwimmen in der Serie gerne im Rotlicht der Kamera. Bens Schwester Charly leitet das Business der Boys, dabei ist sie gerade einmal 17 Jahre alt. Dass sein Umfeld nichts für eine Minderjährige ist, kommt Ben nicht in den Kopf, stattdessen täuscht er dem Jugendamt ein alltägliches Familienumfeld vor. Die Escort-Arbeit scheint die beiden Geschwister gerade zusammenzubringen: Ben, der seine Familie einst verließ, erkennt den Wert seiner Heimatstadt und der Arbeit seines Vaters. Mit dem verdienten Geld möchte er aus dem Familienanwesen ein Hotel machen, dass Kuren und Suchttherapien anbietet. Fernab der Sexarbeit greift die Serie auch gerne einmal in das Trickkästchen der Klischees. Mehrere Nebenfiguren gehören der ethnischen Gemeinschaft der Sinti und Roma an: Sie leiten einen Nachtclub, scheuen sich nicht vor der Illegalität und zücken gerne mal das Taschenmesser. Trotz einiger Versuche, diese Figuren auch außerhalb ihrer Klischees einzufangen, hinterlässt das einen bitteren Nachgeschmack. 

Als Serie ist „Escort Boys“ durchweg solide. Ein überzeugender Cast, tolle Musik, eine interessante Inszenierung und ein Haufen Bauchmuskulatur sorgen für Unterhaltung, die in ihrem kleinen Paket aus sechs Episoden schnell durchgeschaut ist. Für emotionale Momente ist gesorgt und die Chemie der Schauspieler*innen stimmt. Doch gerade mit ihrem Fokus auf männliche Sexarbeit, in Frankreich, einem Land, das künstlerisch schon immer von sexuellen Diskursen geprägt war und 2016 die reale Prostitution verbat, könnte die Serie viel mehr sein. Wer hier eine Betrachtung der Schattenseiten der Sexarbeit, Diskussionen über Consent, das Verhandeln der eigenen Wünsche und unperfekte oder gar peinliche Sexmomente, die mit Ernst anstatt Humor behandelt werden, erwartet, steht leider an der falschen Stelle. Dennoch ist die Serie einen Blick wert, nicht zuletzt wegen ihrer charmanten Inszenierung und einem Cliffhanger, der das Warten auf die zweite und voraussichtlich letzte Staffel nicht gerade erleichtert. 

„Escort Boys“ ist seit dem 22. Dezember auf Amazon Prime verfügbar. 

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