Kaffeesatz

Omas Kaffesatz der Zukunft

Kaffee verbindet. Kaffee trinken kann die Grundlage und Gelegenheit für so vieles sein. Man trifft sich zum Kaffee trinken mit (noch) fernen Bekannten, mit den engsten Freund:innen, zum ersten Date oder um sich zu trennen. Man kommt ins Gespräch miteinander, lacht, weint, philosophiert und teilt Persönliches. Diese Kolumne will einige der Geschichten, die beim Kaffee erzählt werden, teilen und damit das Gefühl des „Kaffeetrinkens“ einfangen.

P.S.: Tee darf auch getrunken werden.

Von Leonie Stoll

Der Geruch der Kekse auf dem Tisch ist der Geruch meiner Kindheit – die Frau mir gegenüber die größte Stütze meiner Jugend. Ich bin zu Besuch bei meiner Großmutter, das erste Mal seit geraumer Zeit, wie ich gestehen muss. 

Ich bin nach viel Stress im Beruf und zahlreichen Reisen auf Heimatbesuch und genieße die milden Strahlen der Nachmittagssonne, die durch die dunkelgrünen Fensterläden aus den 1970er Jahren fallen. So entspannt war ich schon lange nicht mehr. Dieses Haus, sein holzig heimisches Ambiente und die heiße Schokolade vor mir, welche ich schon mit acht liebte und mit 80 wohl auch noch lieben werde, bringen mich nach jeglichen Höhenflügen des Alltags wieder auf den Boden zurück. Aber meine Gesprächspartnerin wirkt etwas bedrückt, und ich merke genau, meine Oma macht sich Sorgen. Sie fragt sich, wohin mich meine Beine, die die ersten 15 Jahre meines Lebens primär durch ihre vier Wände gerannt sind, noch tragen werden.

,,Mensch Kind erzähl, wo willst du denn jetzt hin im Leben?“  – die Frage einer jeden Familienveranstaltung. Ich bin ein Freigeist, tätig im Tourismus, mal hier am arbeiten, mal dort – und nebenbei online am studieren. Klar, in einer digitalen Welt geht das alles. Ich als Millennial aus der mitteleuropäischen Mittelschicht bin so privilegiert, nicht an einen Ort gebunden zu sein und mich ausleben zu können. Vor 60 Jahren sahen die Möglichkeiten meiner Großmutter anders aus, ich weiß. Aber wie kann ich jemandem, auf den Flugzeuge, fremde Kulturen und Computer bedrohlich wirken, die Sorgenfalten auf der geliebten Stirn nehmen, wenn ich von temporären Arbeitsverträgen in Ländern, für welche ich ein Visa brauche, erzähle? Meine Oma war 50 Jahre lang im gleichen Job am gleichen Ort tätig – ein Leben der Beständigkeit und Bodenständigkeit. Meine Abenteuer als Animateurin, Vertrieblerin, Rezeptionistin oder Kellnerin in den USA, Spanien, Costa Rica und co hören sich für Sie wie Legenden an. Der Fakt, dass ich mit 20 noch nicht in dem Beruf tätig bin, den ich  wahrscheinlich bis zur Rente machen werde, beunruhigt sie. 

Bei einem Blick in die besorgten Augen wird mir trotz Heißgetränk flau im Magen – ich will nämlich eigentlich nur eins: dass mein Vorbild auch stolz auf mich ist. Und ich bin mir sicher, das ist meine Oma auch, aber die Skepsis bezüglich meines exotischen Lebenswegs gibt einen bitteren Beigeschmack – bitterer, als die Zartbitterschokolade in meinen Lieblingskeksen von ihr. 

Woher kommen den die Vorurteile dieser Generation frage ich mich einerseits – andererseits weiß ich, dieser Mensche neben mir hat so viel mehr Leid erfahren als ich, musste so viel mehr um alles kämpfen: da kann ich es meiner Großmutter nicht verübeln, dass sie sich fragt, warum ich nicht mit unserer Kleinstadtidylle zufrieden sein kann. Oma will wissen, wann ich denn wieder längerfristig nach Deutschland komme und was ich mir denn erhoffe von den ganzen Reisen? Sie fragt mich, warum ich mir die ständigen Strapazen der Ortswechsel denn antue und was mich am Fremden so reizt, hier sei’s doch so schön. Klar, sie hat recht, gemütlich ist das Bekannte immer, aber ich will mehr, will ein weites Netzwerk und einen noch weiteren Horizont. 

Diese Kluft zwischen uns und mein Hunger nach Aufbruch, der wie eine Schere drohend über dem Band zu meiner Familie schwebt, werden wir heute nicht kitten können, das wissen wir beide. Aber eins ist mir genau so klar, uns verbindet bedingungslose Liebe und diese Gewissheit gibt mir in diesem Moment mehr Wärme, als es jede heiße Schokolade je könnte. 

Meine Oma ist etwas abergläubisch und sieht sich bevor wir für den traditionellen Sonntagsspaziergang vom Tisch aufstehen den Kaffeesatz ihrer Kaffeetasse an – und meint, darin ein Haus zu sehen. Das Symbol der Heimat, und vielleicht auch das Symbol meiner eventuellen Rückkehr, wie sie zuversichtlich strahlend meint. 

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