Kaffeesatz

Fotoalben voller Erinnerungen

Kaffee verbindet. Kaffee trinken kann die Grundlage und Gelegenheit für so vieles sein. Man trifft sich zum Kaffee trinken mit (noch) fernen Bekannten, mit den engsten Freund:innen, zum ersten Date oder um sich zu trennen. Man kommt ins Gespräch miteinander, lacht, weint, philosophiert und teilt Persönliches. Diese Kolumne will einige der Geschichten, die beim Kaffee erzählt werden, teilen und damit das Gefühl des „Kaffeetrinkens“ einfangen.

P.S.: Tee darf auch getrunken werden.

Von Balthasar Zehetmair

Alle paar Wochen fahre ich quer durch die Stadt hinaus nach Ramersdorf zum Haus meiner Großeltern. Mittlerweile beide über 90, leben sie dort schon seit einer Zeit, als Perlach noch ein Dorf war. Die Kaffeemaschine zischt, im Küchenschrank stehen die alten Metalldosen von Südzucker, an der Wand tickt eine holzvertäfelte Uhr langsam vor sich hin. Hier folgt alles noch seinem eigenen nostalgischen Rhythmus. Der letzte Tropfen des Espressos perlt aus dem Siebträger in die Tasse. Wir sitzen gemeinsam am Esstisch, reden über den Alltag, das Wetter, Söder und andere Themen, bevor sich das Gespräch ab einem gewissen Punkt immer wieder in Erinnerungen verliert. 

Aufregende Geschichten aus der Vergangenheit, als die Alligatoren in Florida im Garten des Ferienbungalows daher krochen, vom Erstaunen über die Englischkenntnisse der Einheimischen in China Mitte der 1980er und die beeindruckende Natur in Kanada. Nach dieser Weltreise in wenigen Minuten schlägt der Bogen mit einem Mal wieder zurück nach Europa, genauer gesagt, nach Landskron (heute: Lanškroun). Die kleine Kreisstadt im Osten Tschechiens mit ihrem prachtvollen Schulgebäude und der großen Synagoge umgeben von idyllischer Natur und großen Gutshöfen prägte die Kindheit meiner Großmutter. Bis die Nationalsozialisten kamen, 1938 war das. Das Sudetenland wurde angeschlossen. Die Deportationen begannen, das Leben veränderte sich, Freunde und ihre Familien waren weg. Plötzlich. 

Doch das Leben ging weiter, musste weitergehen. Auch im Krieg, bis 1945 dann die “Amis” kamen und sagten: “50 Kilo Gepäck für jede Person, um 6 Uhr am nächsten Tag fährt der Zug ab.” Nur wohin, mit welchem Ziel? Nun traf es auch die Familie meiner Großmutter und es stand die Frage im Raum: Was mitnehmen im Koffer? Da meinte ihr Vater: “Pack die Fotoalben ein, die Erinnerungen sind das Wertvollste. Die Kleider kannst du überall wieder kaufen.” Am nächsten Morgen startete eine Reise ins Ungewisse. In Viehwaggons mit je 40 Menschen und einem winzigen Fenster.  Über drei Wochen ging es  in stickiger Luft und völliger Dunkelheit nach München-Allach. In Frieden und Freiheit startete dort fern von der Heimat ein neues Leben. Die Spur der Erinnerung verläuft sich wieder und wir kehren zurück in die Gegenwart. 

Fotos und Momentaufnahmen für die Ewigkeit. Prägende Erinnerungen eingebrannt im Geist, auf Fotopapier abgedruckt und im Album mit Sorgfalt eingeklebt. Einfach unersetzbar wichtig.  

Für dich vielleicht ebenfalls interessant...