Rezension

„Slippery Slope“

Für die neuste Inszenierung im Metropoltheater ist ihr Name Programm: „Slippery Slope“ bezeichnet die Warnung vor einer Handlung, die „den Damm bricht“ und damit nach und nach zu weiteren negativen Konsequenzen führt. Ein Stück über allzu menschliche Fehler, das Vergeben und Vergessen.

Foto: Stephanie Marin, Philipp Moschitz

Von Christopher Bertusch und Pavel Fridrikhs

Ein Gespenst geht um in Europa und es trägt den Namen „Cancel Culture“. Oft polemisch benutzt, schürt es liebend gerne Angst und Bange und beschwört Schreckensbilder einer Gesellschaft, in der nichts mehr gesagt werden darf, Ironie nur mit Samthandschuhen angefasst werden kann und der Humor eigentlich schon lange das Weite gesucht hat.

Das Spiegelkabinett der Wahrheit

Mitten in diese Schreckensvorstellungen stürzt sich „Slippery Slope“, ein „Almost Musical“, wie der Beiname verrät, von Yael Ronen und Shlomi Shaban. Es ist ein Stück, in dem die Wahrheit wie in einem Spiegelkabinett in diverse Perspektiven zerbricht und in welchem jede Figur einmal selbst der Gefahr des „Canceling“ gegenübersteht. Kern der Geschichte bildet Gustav Gundesson (René Dumont), ein einst berühmter „schwedischer Singer-Songwriter“. Es mag kaum verwundern, dass sich dieser alternde Sänger, der nur wenig mit den Sensibilitäten der neuen Social-Media Generation anfangen kann, als erstes mit diversen Kontroversen konfrontiert wird, von #MeToo bis zur kulturellen Aneignung. Doch auch sein Protegé Sky (Stephanie Marin), zuerst eine umherwandernde Amateursängerin, später ein Tik-Tok-Starlet oder Gustavs Frau und Chefredakteurin Klara (Judith Toth) und ihre Top-Journalistin Stanka Sto (Ina Meling) bewegen sich in immer kontroversere Gefilde. Sie alle folgen dem Motto eines Refrains, der an diesem Abend oft musikalisch erklingt: „Everything I touch turns into shit“.

2021 inszenierte Yael Ronen „Slippery Slope“ zuerst am Berliner Maxim-Gorki-Theater, nun ist es unter der Regie von Philipp Moschitz auch in München angekommen. Das Metropoltheater bietet dabei den perfekten Schauplatz für die Thematik. Erst vor wenigen Monaten fand sich das Theater selbst im Auge eines Shitstorms wieder, als Antisemitismusvorwürfe gegen eine Inszenierung des Stücks „Vögel“ von Wajdi Mouawad laut wurden. Es folgten intensive Debatten über das Schreckensgespenst „Cancel Culture“ und die Grenzen der Kunstfreiheit.

Foto: Philipp Moschitz, Stephanie Marin

Von Mücken und Elefanten

Nun erfährt das Gespenst selbst einen Dreh: Anstatt einer befürchteten Verteufelung von Cancel Culture Folge zu leisten, entpuppt es sich als eine deutlich delikatere Auseinandersetzung mit dem potentiellen Minenfeld. Was in einer Abhandlung mit dem Konzept münden hätte können, wird eine Geschichte, in der die Figuren mit diesem fast beiläufig in Kontakt kommen. Das kann als Stichwort gelten – Kontakte werden hergestellt und sie werden auch gekappt, aber dies entsteht aus den Persönlichkeiten der Figuren heraus, nicht aus dem Bemühen der Schaffenden, eine Stellungnahme zu forcieren. Eine solche Menschlichkeit zeichnet das Stück aus.

Auch ist es bedeutsam, dass sämtliche Charaktere im Verlauf des Stücks ihre Differenzen nicht mit der eigentlichen Zielperson ausdiskutieren, sondern mit Außenstehenden. Auch die Nebengeschichte von Stanka Sto steht dafür Pate: Sie lernt eine Pornodarstellerin kennen, die in ihren Filmen Stanka darstellt und ein großer Fan der Journalistin ist. Stanka mutmaßt rasch eine Ausbeutung der Darstellerin und veröffentlicht unversehens einen Artikel, welcher die Filmgesellschaft entlarvt und in den Ruin führt. Nur hat das auch die Folge, dass die Darstellerin, ihre Arbeit verloren, sich das Leben nimmt. Hier knüpft leider auch ein Punkt an, welcher die Stärken des Stücks und der Inszenierung schmälert. Während die sonstigen Figuren, gerade angesichts der eher geringen Länge des Stücks, auffallend dreidimensional sind, bleibt die Figur der Pornodarstellerin flach. Zugleich zeigt dieser Kontrast auf, dass die Bühne ansonsten allen Hauptbeteiligten genug Raum und Zeit bietet, sich selbst kundzutun, mit den Reaktionen auf die eigene Stellung konfrontiert zu werden und sich auch zu verändern.

Da die Figuren befangen sind, werden sie sich ihrer Verstrickungen nicht bewusst. Sie verwickeln sich in gedankliche Talfahrten – oder besser: sie werden in diese verwickelt – und einen rollenden Stein bringt man nicht leicht zum Stehen. Doch zum Ende des Stückes passiert es dann endlich. Die die ganze Vorstellung über reglos im Hintergrund der Bühne schwebenden, rechteckigen Rahmen fangen während der gemeinsamen Therapiesitzung von Gustav und Klara an, sich zu verdrehen und aufzubrechen. Die Stimmung ist getrübt, aber nie war eine offene Diskussion greifbarer. Der noch rollende Stein verlangsamt sich. Eben dieses Feingefühl macht “Slippery Slope” aus, denn Menschen stehen über Urteilen.

„Slippery Slope“ ist noch bis zum 11. August im Metropoltheater zu sehen. Karten gibt es ab 19/25 EUR oder ermäßigt für 15/21 EUR.

Für dich vielleicht ebenfalls interessant...