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Rezension

„Rain Man“ – Eine liebevolle Adaption

Die neueste Inszenierung am Zentraltheater adaptiert den Hollywood-Film „Rain Man“ für die Theaterbühne. Ein Stück über Autismus, Erbschaftsdebatten und den menschlichen Wunsch nach Nähe und Verständnis. 

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Von Christopher Bertusch

Vor mehr als 30 Jahren erzählte der Film „Rain Man“ die Geschichte zweier Brüder, die sich nach dem Tod ihres Vaters zum ersten Mal kennenlernen. Charlie Babbitt ist ein aufstrebender Autohändler, dessen Leben sich nur um das eine dreht: Geld, Geld, Geld. Das Wort Familie nimmt keinen sonderlich wichtigen Platz in seinem Vokabular ein und so ist er kaum geschockt, als er vom Tod seines entfremdeten Vaters erfährt. Als er jedoch lernt, dass ihm der alte Mann nichts außer seinen geliebten Rosenstöcken und Oldtimer vermacht hat, versucht Charlie herauszufinden, an wen der Rest des Erbes gehen soll. Im Verlauf dieser Mission stößt er zum ersten Mal auf Raymond, seinen biologischen Bruder, der an dem Savant-Syndrom und Autismus leidet. Die beiden Brüder vereint ihr Blut, doch keine gemeinsame Geschichte. Aufgewühlt versucht Charlie innerhalb einer sechstägigen Reise, die bis nach LA führt, Raymond davon zu überzeugen, ihm sein Erbe zu vermachen. Im Verlauf dieses wirren Roadtrips versteckt sich auch die Möglichkeit einer langsam aufblühenden Liebe zwischen zwei ungleichen Brüdern. 

Hollywood auf der Bühne

Regisseur Ulf Goerke adaptiert den Hollywood-Klassiker für die kleine Bühne und kleidet ihn in ein schlichtes Gewand. Das Bühnenbild ist reduziert, die Schauspieler nur zu dritt und die Requisiten simpel. Mit Hilfe eines Overheadprojektors, der einige Zuschauer*innen an längst vergangene Schulzeiten erinnern mag, werden die Hintergründe bei den einzelnen Szenen an die Wand projiziert.

Durch die Schlichtheit der Inszenierung sticht vor allem die brillante schauspielerische Leistung hervor. Patricia Ivanauskas ist in der Rolle von Charlies Freundin Susan zu sehen, tritt wahlweise aber auch als diverse Ärzte, Bedienungen, in weiteren Nebenrollen oder als Stimme aus dem Off auf. Zuschauer*innen dürfen sich ebenso auf ihre gesanglichen Einlagen in Form des Songs „California Here We Come“ freuen, die immer wieder bei den Szenenwechseln erklingen. Frangiskos Kakoulakis spielt Charlie mit einer Arroganz und Aufgeblasenheit, die perfekt zu diesem schleimigen Autohändler passt. Bereits in der ersten Szene sieht man ihn Deals abschließen, die er nicht erfüllen kann und faustdicke Lügen verlauten lassen, die sich gewaschen haben. Besonders eindrucksvoll sind seine langatmigen Fluchtiraden gegen seinen verstorbenen Vater, diesem „Geizhals“ und „Arschloch“, das ihm keinen Cent vermacht hat.

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Empathie und Sympathie 

Es ist ein Vergnügen Thimo Meitner als Raymond zu sehen. In einer mitreißenden Manier, die ihres Gleichen sucht, rattert er Zahlen, Fakten und Anekdoten herunter. Raymond ist aufgrund seiner Krankheit eine Figur, die kaum schweigt. Immerzu ist er ‚zu laut, zu unruhig, zu störend‘. Es ist keine leichte Aufgabe Geschichten über Behinderungen die nötige Empathie und Tiefe zu verleihen. Denn es ist einfach als Zuschauer*in über Raymond zu lachen, diesen komischen jungen Mann, der nicht gut mit sozialem Kontakt umzugehen weiß, sonderbare Witze reißt, Baseballkarten sammelt und ständig monoton betont, was für ein „ausgezeichneter Fahrer“ er doch sei. Selbst sein eigener Bruder Charlie behandelt ihn zu Anfang wie eine Witzfigur oder ein Hindernis auf seinem Weg zur Erbschaft. Thimo Meitners Schauspiel ist allerdings mehr als ein Witz, so spielt er Raymond auch mit viel Wärme und einer eigenen Art der Zuneigung, die immer wieder hervorbricht. Sein Raymond ist nicht einfach nur ein „Behinderter“ oder ein „Autist“, er ist ein schillernder, vielfältiger Mensch, der manchmal Witze reißt, manchmal verzweifelt und sich doch immerzu um seine Familie sorgt.

Ulf Goerkes theatrale Adaption von „Rain Man“ weigert sich Raymond durch seine Behinderung zu definieren. Sie ist ein farbenfrohes, brillant gespieltes und vielfältig unterhaltsames Stück. Die drei Schauspieler*innen führen im Alleingang durch Autofahrten, Gesangseinlagen, Wutanfälle, Zusammenbrüche und Beziehungsprobleme. Lachen mischt sich mit nachdenklicher Stille und intime Szenen über (Körper-)Kontakt und die Nähe zu unseren Mitmenschen wechseln sich mit Furzwitzen ab. „Rain Man“ ist ein empathisches Porträt, das eindrücklich den gemeinsamen menschlichen Wunsch nach Liebe und Verständnis ausdrückt.

„Rain Man“ ist noch am 24., 25. und 29. Mai im Zentraltheater zu sehen. Karten gibt es für 20/15 EUR. 

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