Kaffeesatz

Ein besonderer Moment

Kaffee verbindet. Kaffee trinken kann die Grundlage und Gelegenheit für so vieles sein. Man trifft sich zum Kaffee trinken mit (noch) fernen Bekannten, mit den engsten Freund:innen, zum ersten Date oder um sich zu trennen. Man kommt ins Gespräch miteinander, lacht, weint, philosophiert und teilt Persönliches. Diese Kolumne will einige der Geschichten, die beim Kaffee erzählt werden, teilen und damit das Gefühl des „Kaffeetrinkens“ einfangen.

P.S.: Tee darf auch getrunken werden.

Ein Heißgetränk – am liebsten mit Mandelmilch, am besten kannenweise.

Von Pauline Claßen

Jeden Abend kommt er in dieses Café. Es ist sein zweites Wohnzimmer geworden, ein Ort zum Runterkommen und Entspannen, wohlverdient nach einem anstrengenden Arbeitstag. Dazu gehört ein Heißgetränk – am liebsten mit Mandelmilch, am besten kannenweise – und natürlich ein süßes Schmankerl. Während er dieses Geschenk an sich selbst genießt, schaut er oft den Menschen im Café zu, eine Art Beobachter des Alltags. Manchmal ist er aber auch ganz mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt, schreibt Sachen nieder oder ist nachdenklich. Trotzdem ist es immer einfach, mit ihm ins Gespräch zu kommen, aufmerksam merkt er sich kleine Details aus dem Leben anderer, ohne dabei aufdringlich zu wirken. Ich frage ihn nach einem Erlebnis, das ihm im Kopf hängen geblieben ist. Bei unserem nächsten Zusammentreffen hat er eine Geschichte parat.

Es ist eines Abends im November 2017. Er erzählt, dass es ihm nicht gut ging. Trotzdem sollte der dunkle Tag, den er erlebt hatte, noch mit etwas Schönem enden; mit etwas Ruhe und Entspannung. Obwohl es ein kalter, dunkler Nachmittag war, saß er draußen, der einzige Gast. Immer, wenn die Bedienung rauskam, um nach dem Rechten zu sehen, machte er sich Sorgen, dass sie ihn bald auffordern würde zu gehen. Immerhin war er allein und sie räumte drinnen schon auf. Doch sie ließ ihn in Ruhe sitzen, solange er wollte; solange er brauchte, um wieder Energie zu sammeln. Auffällig war für ihn während des gesamten Abends ihre Ausstrahlung: markant, distanziert, sogar fast schon mysteriös. Er begann sich zu fragen, welche Geschichten sich wohl hinter ihrer Person verbergen. Doch so wie sie ihn seinen Moment für sich genießen ließ, wollte er auch sie nicht stören.

Einige Zeit später – es gingen Jahre ins Land – wurde ihm erzählt, dass eben diese Frau ein eigenes Café gegründet und auch ein Buch veröffentlicht hatte. Die alte Neugierde war wieder geweckt. Er kaufte sich das Buch: eine Autobiographie. In dem Buch erzählte sie von ihrem persönlichen Weg heraus aus einer schweren Depression. So erfuhr er beim Lesen, dass sie wohl auch 2017 noch stark damit zu kämpfen hatte. Der Gedanke an den besagten Abend berührte ihn sehr, denn nun wusste er, dass es ihr damals wohl noch viel schlechter ging als ihm. Und trotz ihrer Krankheit hatte sie es geschafft, einen für ihn sehr dunklen Tag ein wenig heller zu machen.

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