An der Fassade des Altenheimer Ecks 13 deutet heute nichts mehr auf die Tageszeitung hin, doch zu ihrer Zeit markierte der Schriftzug "Münchner Post" das Haus Redaktion. (Foto: Bettina Wopperer)
Politikus

Denk Mal statt Denkmal

Das Projekt DENK MAL AM ORT erinnert an Verfolgte des Nationalisozialismus. Allerdings auf etwas unkonventionelle Weise: Es öffnet für einen Tag Alltagsorte wie Wohnungen und Vereinsräumlichkeiten, in denen Verfolgte gelebt oder gearbeitet haben.

An der Fassade des Altenheimer Ecks 13 deutet heute nichts mehr auf die Tageszeitung hin, doch zu ihrer Zeit markierte der Schriftzug "Münchner Post" das Haus Redaktion. (Foto: Bettina Wopperer)
An der Fassade des Altenheimer Ecks 13 deutet heute nichts mehr auf die Tageszeitung hin, doch zu ihrer Zeit markierte der Schriftzug „Münchner Post“ das Haus Redaktion. (Foto: Bettina Wopperer)

Von Bettina Wopperer

Es ist ein Haus, an dem man im Alltag einfach vorbei läuft. Das Altenheimer Eck 13 ist ein etwas eigentümliches, aber doch irgendwie normales Haus, ein Altbau eben: Beige, ein Tor in den Hinterhof, hohe schmale Fenster, spitzes Dach. Doch am 30. April sind das Tor und die Türen im Hinterhaus einladend offen: Hier werden Geschichten erzählt, nicht frei erfundene, sondern echte, die zur Zeit der Nationalsozialisten geschahen. Das Projekt heißt DENK MAL AM ORT, kurz DMAO. Nicht nur hier im Altenheimer Eck 13, wo heute unter anderem der Verein für Fraueninteressen e.V. untergebracht ist, sondern auch in anderen Häusern Münchens öffnen sich dieses Wochenende verschlossene Türen.

Der Gedanke

„Bei DMAO geht es um die Verbindung der Vergangenheit mit der Gegenwart für die Zukunft“, so beschreibt Marie Rolshoven die Mission des Projekts. Gemeinsam mit anderen hat sie 2016 das Projekt nach einem Vorbild aus den Niederlanden in Deutschland aufgebaut. Die Initative in Amsterdam heißt OPEN JEWISH HOMES: Wohnungen, in denen jüdische Familien wohnten die im Holocaust verfolgt wurden, werden geöffnet, um dort die Geschichten der jüdischen Familien zu erzählen. Daran orientiert sich auch DMAO, erklärt Rolshoven: “Denk Mal Am Ort möchte gern mit Nachkommen von Verfolgten in der NS-Zeit und den heutigen Bewohnern an die ehemaligen Münchnerinnen und Münchner erinnern.“ Das ist der Punkt, an dem DMAO noch etwas weiter greift als ihr Vorbild: Zusätzlich zu Juden, wie zum Beispiel der Familie Rosenthal, geht es auch um aus anderen Gründen Verfolgte. Hier in München werden unter anderem über die Widerstandsgruppe Weiße Rose, die Verfolgung Homosexueller sowie die mehrmalige Zerstörung der Tageszeitung Münchener Post erzählt.

Marie Rolshoven von Kubin e.V. Berlin stellt das Projekt DENK MAL AM ORT in den Räumen des Vereins für Fraueninteressen vor, in denen einst die Redaktionsräume der Münchener Post waren. Foto: Verein für Fraueninteressen, München
Marie Rolshoven von Kubin e.V. Berlin stellt das Projekt DENK MAL AM ORT in den Räumen des Vereins für Fraueninteressen vor, in denen einst die Redaktionsräume der Münchener Post waren. Foto: Verein für Fraueninteressen, München

Teilweise kommen dazu auch Nachfahren der Verfolgten extra nach München angereist. Auch das ist Rolshoven wichtig: Indem die Verwandte nach München und in die damalige Wohnung ihrer Vorfahren eingeladen werden, können „Brücken gebaut“ und ein „anderer Zugang“ aufgebaut werden. Sie wünscht sich für die Nachkommen auch eine positive Verbindung zu dem Ort, an dem so schmerzliche Gefühle hängen.

Die Geschichte der Münchener Post

Das Altenheimer Eck 13 ist einer der DMAO-Orte in München. Hier erzählen zwar keine Nachfahren, sondern der Historiker Martin Heigl. „Redaktionsräume komplett zerstört, alles kaputtgeschlagen“, so beschreibt Heigl die Verwüstung, die die Nazis am 09. November 1923, also am Tag des Hitler-Putsches, in den Räumen der Münchener Post anstellten. Aber warum geschah die Stürmung und Zerstörung so schnell und erbarmungslos gleich noch am Tag des Putsches? Heigl erklärt: „Die Zeitung war komplett verhasst bei den Nazis, nicht nur weil sie politische Gegner waren, sondern auch, wiel sie vieles aufdeckten.“ Die Münchener Post war eine sozialdemokratische Zeitung, quasi eine Parteizeitung der SPD, und vertrat die Position des politischen Gegners der NSDAP. Die Zerstörung der Räume im Zuge des Putsches, und die Angriffe auf die Redakteure schon, deutet Heigl als „ein Zeichen dafür, dass was hier passiert ist, eine ganz große Bedeutung gehabt hat“. Denn die Zeitung war nicht nur ein politischer Gegner, sie machte auch auf Missstände aufmerksam, recherchierte investigativ und enthüllte einiges, auch Persönliches, über Nationalsozialisten. Sie thematisierten zum Beispiel die Homosexualität des SA-Führers Ernst Röhm oder den Suizid von Hitlers Nichte Geli Raubal in dessen Wohnung mit dessen Waffe. Mit der Machtübernahme 1933 wurden die Nationalsozialisten diesen Dorn im Auge endgülig los: Sie stürmten die Räumlichkeiten der Zeitung erneut und verboten sie. Redakteure wurden festgenommen und zum Teil in Konzentrationslager gebracht.

Mit Geschichten wie diesen lässt DMAO Besucher*innen genau das tun, was der Name des Projekts verkündet: Am Ort des Geschehens denken. Den Opfern gedenken und über die Lehren aus den Geschehnissen nachdenken. Auch heute gibt es Antisemitismus, Rassismus, Homophobie und Angriffe auf die Pressefreiheit. Der Blick in die Vergangenheit lässt uns unser Heute besser verstehen und für die Zukunft lernen. Oder wie hat Frau Rolshoven es nochmal ausgedrückt? „Bei Denk Mal Am Ort geht es um die Verbindung der Vergangenheit mit der Gegenwart für die Zukunft.“

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