Kulturphilter München

Entdecken, Austauschen und Ausbrechen

Bei der “Langen Nacht der Musik” verwandelt sich ganz München einmal im Jahr zur großen Konzerthalle. Über viele neue Eindrücke, musikalische Erkundungen und ein Event, das alle Generationen in der Musik vereint. 

Der Post Punk von Daisys Dreams aus München lässt sich sehr gut hören.©Balthasar Zehetmair

Von Balthasar Zehetmair

Tief im Studium des Programmheftes versunken beginnt dieser lange Samstagabend in den Straßen Sendlings, durchflutet von der dämmernden Abendsonne. Mit Falafel und Spezi eine Grundlage im Magen geschaffen macht sich nun leichte Überforderung breit. So ein großes Angebot bei der “Langen Nacht der Musik”. 400 Konzerte in 80 Locations und nur 6 Stunden Zeit. Wird dieser Abend ein Genuss mit vielen schönen und neuen Eindrücken oder artet dieser zum musikalischen Marathon durch die Stadt aus? Wir müssen los, schnell, die ersten Konzerte laufen schon, wohin nun? Erstmal zum nächsten Kiosk, Wegbier holen. 

Viel Stimmkraft im Kunstlabor 2

Mit der U-Bahn zum Odeonsplatz. Die Stimmung ist ausgelassen, laute Gespräche, das Leben pulsiert in München. Hinaus geht es aus den tiefen Schächten, vor dem Bayerischen Innenministerium ist bereits eine Warteschlange. Das Polizeiorchester spielt groovigen Samba. Hmm, vielleicht später, jetzt erstmal mit der Shuttlelinie zum Kunstlabor 2. Der Gelenkbus rauscht durch die Straßen und schon stehen wir vor der ersten Bühne. Mit ihrer starken, facettenreichen Stimme zieht die Singer-Songwriterin Sofia Lainovic ein buntes Publikum aus Jung und Alt in ihren Bann. In Gitarrenbegleitung von ihrem Bruder füllt die Soziologiestudentin den Saal im ersten Stock des ehemaligen Gesundheitshauses mit dem ganzen Volumen ihrer Songs. Coverversionen von Radiohead und tiefsinnige Songs über das Leben und Ausbrechen aus der Bubble (mit leicht soziologischem Touch). Es fällt schwer, aber wir steigen wieder in den Bus, um wieder hinunter in den Süden, zum Gasteig HP8, zu jetten. 

Lange Nächte immer beliebt 

Der Gasteig HP8 ist mit drei Bühnen der größte Veranstaltungsort der Langen Nacht.©Maren Köhler

Die Fahrt dauert und dauert, irgendwie wird da eins richtig bewusst, was im Alltagsstress nie so auffällt: Wie groß München eigentlich doch ist. (Wahrscheinlich neben der positiven Überforderung bei der großen Auswahl ein unterbewusstes Problem bei solchen Veranstaltungen über die ganze Stadt.) Schnell geht in der Gruppe der Beschluss herum, nur noch im Bereich Isarvorstadt zu bleiben, um nicht den ganzen Abend in Shuttlebussen zu verbringen. Von weitem schon zu sehen, erstrahlt das Event-Logo an den Wänden der alten Industriehalle, wo seit ein paar Jahren die Isarphilharmonie beheimatet ist. Seit langem ist die “Lange Nacht der Musik” eine feste Institution im reichen Münchner Kulturkalender. Dieses Jahr bereits in der 22. Auflage erfreut sich dieses Event immer wieder großer Beliebtheit. 

Dies zeigt sich auch am (Ausweich-)Gasteig in Sendling. Es ist voll und beim Anblick, wie die Menschen begeistert und fröhlich am Vorplatz des Konzertsaals mit den leuchtenden Kopfhörern bei der Silent Disco tanzen, kommen ganz dezente Festival-Vibes auf. Hier, am größten Veranstaltungsort des Abends, ist viel geboten, zunächst geht es

Liegend, Sitzend und Stehend genießt das Publikum den Cool-Jazz des Nico Weber Trios. ©Balthasar Zehetmair

zum Proberaum. In Kaffeehaus-Ambiente bläst Nico Weber behutsam in seine Trompete, breitet mit Susi Lotter am Kontrabass und Niklas Rehle an der Gitarre eine filigrane Spielkultur aus. Das Trio aus drei Studierenden von der Hochschule für Musik und Theater München spielt Stücke mit anspruchsvollen Soli, worauf gefällige, schwungvolle Kompositionen folgen. Der Jazz, diese oftmals elitäre Musikrichtung, wird hier zugänglich und lädt leicht, sommerlich zum Entdecken ein.

Musik für alle Geschmäcker

Es ist nicht nur das breite Angebot an Musik, von verschiedenen Musikrichtungen, Tanzeinlagen, Orchester- oder Opernaufführungen bis hin zum Club-Bus, das diese “Lange Nacht der Musik” so faszinierend macht. Sondern ist es vielmehr ein bunt gemischtes Publikum aus allen Teilen der Gesellschaft, das hier gemeinsam Musik genießt. Sowohl von Musik-Connaisseuren oder regelmäßigen Konzertbesucher*innen bis hin zu Menschen, die eher selten am Musikleben in der Stadt teilhaben. Es wird sich ausgetauscht, entdeckt und offen diskutiert. Während die sanften Jazz-Klänge im Ohr noch nachklingen, sind im Publikum von Paula Carolina im Foyer der Isarphilharmonie viele junge Menschen zu sehen. Unter dieses mischen sich aber auch Menschen, die sonst nicht unbedingt auf Indie-Rock Konzerte gehen würden. 

Elitäre Räume aufbrechen

Mit krachenden Drums, kreischenden Indie-Gitarren und straighter Gesellschaftskritik bringt die junge Musikerin – mit einer Bühnenpräsenz wie ein Vulkan – die Halle zum beben, in der sonst oft nur über die Sinfonien von Mahler, Beethoven oder Shostakovich geschmaust wird. Es wird getanzt, im Takt gesprungen, es bilden sich Moshpits. Einzigartige Energie und Corona scheint wie verweht!  

Caro Kelley und Band im Minipavillon krönen den Abend mit impulsiven Folk-Pop ©Balthasar Zehetmair

Abend voller Erleuchtung und neuer Entdeckungen

Die Stimmung ist auf dem Hoch und mit dem Post-Punk von Daisy Dreams aus München im Anschluss kommt das Gefühl auf, das während Corona so vermisst wurde. Das völlige Genießen des Moments und Abschalten von allen Sorgen dieser Welt während auf der Flower Power Stage eine grandiose Show gespielt wird. Treiben lassen von der pulsierenden Musik, von der Menge, von der Magie. Nun aber nochmal hinaus in den Shuttlebus und ab an den Stachus, mitten ins Geschehen im Mini-Pavillon am Lenbachplatz. Verstreute Besucher*innen des Frühlingsfest in Tracht gesellen sich nun auch unters Volk der Musik-Enthusiasten beim Folk-Pop von Caro Kelley mit Band.

Und so…sind die 6 Stunden auch schon wieder vorbei. Viele Eindrücke und wunderbar unterschiedliche Live-Erfahrungen. Jedes Konzert mit einem anderen Flair, aber alle sind glücklich in der Musik vereint an diesem Abend. 

(Doch damit ist erst nur der offizielle Teil vorbei, nun wird mit wummernden Bässen im Club-and-Line Partybus durch die Stadt gecruist.)    

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