Kulturphilter Online Rezension

Des Widerspenstigen Zähmung

Über Paul Thomas Andersons The Master

Der amerikanische Regisseur Paul Thomas Anderson hat in den letzten 17 Jahren fünf Spielfilme gedreht und sich einen Platz und den erfolgreichsten amerikanischen Autorenfilmern gesichert. So verschieden seine Werke sind – vom Sittenbild „Boogie Nights“ über den episodischen „Magnolia“ bis hin zum Epos „There Will Be Blood“ – so sichtbar sind sie vom Anspruch ihres Schöpfers geprägt, bedeutsam zu sein. In seinem neuen Film, „The Master“, kann er diesen Anspruch erstmals vollends einlösen.

Es ist das Ende des Zweiten Weltkrieges. Matrose Freddie Quell (Joaquin Phoenix) und seine Kameraden verbringen die letzten Tage ihres Militärdienstes im Pazifik. Sie bauen Frauen aus Sand, betrinken sich mit dem Treibstoff der Torpedos, Freddie wichst in die Brandung. Bei seiner Entlassung wird er einem Rorschach-Test unterzogen und sieht in den Tintenklecksen nichts als Geschlechtsteile.

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Freddie wird zum Landstreicher, betäubt von den Chemikalien, die er in sich hineinschüttet. Er arbeitet als Porträtfotograf, als Erntehelfer, stets rastlos, ruhelos und unerwünscht. Sein Rücken ist krumm, das Gesicht zur Fratze verzogen, sein Lachen verzweifelt – nur die schwarzen Augen lassen noch einen Glimmer Menschlichkeit erahnen. Freddie ist ein Straßenköter, dreckig, wahrscheinlich tollwütig, vor dem man sich zurecht fürchtet, dessen Anblick einem aber zugleich das Herz bricht. Heutzutage würde man wohl PTSD – Posttraumatic Stress Disorder – diagnostizieren. Anderson interessiert sich jedoch wenig dafür, warum sein Protagonist ist, wie er ist. Freddie ist ein Tier, das sein Schöpfer auf die Gesellschaft loslässt.

Auf seiner steten Flucht trifft Freddie auf Lancaster Dodd (Philip Seymour Hoffman), Gründer und Oberhaupt einer Sekte namens The Cause, der mit seiner Anhängerschaft Richtung New York unterwegs ist. The Cause glaubt an die ewige Wiedergeburt, Eindringlinge aus dem Weltall, an die Möglichkeit, Erinnerungen aus dem Mutterleib, gar aus vorherigen Leben hervorzuholen. Eine krude Mischung, aber letztlich ist der Katholizismus das doch auch und genau wie dort gilt bei The Cause: Was der Anführer befiehlt, wird befolgt.

Dodd findet Gefallen an Freddie und besonders an den atemberaubenden Drinks, die jener aus Bleichmitteln und anderen nicht zum Konsum bestimmten Flüssigkeiten herzustellen weiß. Freddie wird zum Leibwächter und Vertrauten Dodds und bleibt doch weitgehend unberührt von den Umtrieben von The Cause. Mit unverständigem Blick und ohne rechtes Interesse studiert er die Schulungen der Sekte, ein Wesen ohne Bindung, ohne Fähigkeit zu jeglichem abstrakten Gedanken.

Die Frage nach dem Warum bleibt unbeantwortet

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Mit Faszination unterzieht er sich jedoch dem Informal Processing, das Dodd als Mischung aus Beichte und Psychoanalyse zum zentralen Werkzeug seiner Glaubenserfahrung erkoren hat. Dodd provoziert in Freddie Erinnerungen an den Inzest mit seiner Tante, an den Krieg im Pazifik und an das Mädchen, das er einst verlassen hat. Es sind jedoch nicht diese Erinnerungen, die Freddie erschüttern, sondern Dodds Frage, warum er all das getan hat. Er scheint es einfach nicht zu wissen.

Dodd und seine Herde ziehen entlang der Ostküste, beherbergt von älteren reichen Frauen, deren Ängste und Gelüste The Cause zu therapieren weiß. Freddies Anwesenheit beschwört bald Konflikte innerhalb des Kults herauf. Dodds verheiratete Tochter gelüstet es nach ihm, seine Frau fürchtet Freddies Unberechenbarkeit, seine Trunkenheit. Es wird zunehmend offenbar, dass Freddie Einhalt geboten werden muss. Er wird den Gehirnwäschemethoden des Kultes unterzogen und es ist fraglich, ob Freddie sich dagegen zu wehren vermag, ja ob er sich überhaupt wehren will.

Paul Thomas Anderson versteht es, Bilder zu schaffen, die den Zuschauer bewegen, er versteht es, Charaktere statt Typen zu entwerfen. Dies alles hat er spätestens mit dem Frontier-Drama There Will Be Blood bewiesen. The Master übertrifft aber selbst dieses Epos: Hier ist kein einziger Shot zufällig oder auch nur pragmatisch im narrativen Sinn, in jeder Einstellung liegt Bedeutung. Wo die Bildgewalt anderer bekannter Autorenfilmer auf einer allzu offensichtlichen Symbolistik beruht (man denke etwa an Terrence Malicks Tree of Life), vermag es Anderson, ästhetische Strahlkraft und Vieldeutigkeit miteinander zu vereinen.

Natur und Zivilisation, Chaos und Ordnung, Herrschaft und Unterdrückung

Man kann The Master als eine Erzählung über den Kampf von Natur und Zivilisation, von Chaos und Ordnung sehen. Man kann behaupten, dass Anderson hervorheben möchte, wie keine Ordnung Chaos in ihrer Mitte tolerieren kann, ohne kaputtzugehen, wie eine solch zerstörerische Kraft stets gebändigt, zivilisiert werden muss. Man kann The Cause als Sinnbild des Aufbaus einer Gemeinschaft sehen: Ein Set völlig arbiträrer Regeln, der Anspruch auf ewige Herrschaft („This is something you do for a billion years or not at all“, kanzelt Dodds Ehefrau Freddie einmal ab) und rigorose Durchsetzung mit Gewalt und Unterdrückung. All das ist The Master und gleichzeitig geht es völlig an seiner Erzählung vorbei. Denn die Menge an Stoff, die ignoriert werden muss, um eine konsistente Bedeutung zu konstruieren, ist gigantisch: Ist es nicht eigentlich Dodds Frau, die Freddie zu unterdrücken versucht? Ist Dodd nicht in Wirklichkeit viel ungezügelter und unberechenbarer als Freddie? Und was zur Hölle haben außerirdische Bodysnatcher mit der ganzen Sache zu tun?

The Master wird so zu großer Kunst, weil es sich eines erhält: Autonomie. Wir mögen uns in den Film versenken, wir mögen jedes einzelne Wort auf jede mögliche Bedeutung hin untersuchen, es wird ein Kern bleiben, der absolut unzugänglich ist. Man könnte es Seele nennen.

Anderson inszeniert letztlich ein doppeltes Spiel: So wie das Werk stets Interpretation herausfordert und sich ihr zugleich entzieht, so wehrt sich Freddie gegen den Zugriff Dodds und kann sich zugleich nicht von ihm lösen. Freddie und Dodd werden sich im Laufe des Filmes verlieren und wiederfinden, voneinander auf seltsame Weise angezogen und abgestoßen zugleich. Freddie wird wieder durch das Land streifen, heimatlos, ziellos. „For if you figure a way to live without a master, then let us know“, wird Dodd seinen Freund beschwören. Vielleicht hat Freddie einen solchen Weg gefunden.

 

 The Master (2012) von Paul Thomas Anderson, mit Joaquin Phoenix, Philip Seymour Hoffman und Amy Adams, erscheint am 26. Juli 2013 auf DVD/Bluray. Hier geht’s zum deutschen Trailer.

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