Kulturphilter

Eine runde Sache

 

Von Amelie Völker

Aussteigen aus dem Alltag – ein Traum, den sich viele im Ausland erfüllen. Ein oberbayerisches Jurtendorf findet indes sein Glück in der Gemeinschaft.

Es ist ein verregneter, kalter Nachmittag Ende Mai am Rande der Alpen. Hinter einer Gruppe von Bäumen verstecken sich vier Jurten. Rauch steigt aus den Kaminrohren auf, der Regen trommelt beständig auf die fest gespannten, weißen Planen. Eine kleine Holztür führt in den überraschend geräumigen, warmen Raum. Hochbett, Holzofen, Tisch, Kommode und Sofa schmiegen sich an die runde Innenwand. Von den Holzstäben an der Decke baumeln trocknende Kleidungsstücke, in der Mitte schwingt ein Hängestuhl, auf dem Fußboden liegt Kinderspielzeug.

Hier leben Nadja und David zusammen mit ihren Kindern Frida (4) und Tonda (2). Seit gut zwei Jahren gibt es das kleine, scheinbar abgeschiedene Jurtendorf. Nadja und David waren zusammen mit einer anderen Familie die Ersten, die es hierher zog. Die beiden lernten sich auf einer Schnitzschule kennen und entdeckten sofort den gemeinsamen Lebenstraum, den sie zuvor unabhängig voneinander geträumt hatten: das Leben in einer Jurte. Zufällig gewann eine Freundin eine Jurte und verschenkte diese an David. Mit neun Quadratmetern war dieses Zelt als Wohnung zu klein, trotzdem wurde sie als Gemeinschaftsjurte Grundstein des Dorfes und Ausgangsentwurf für Davids größere, selbstgebaute Jurten, die er allesamt selbst baut.

Das Feuer im kleinen Holzofen wird schwächer. Nadja geht nach draußen, um neues Holz zu hacken. Die Kinder rennen lachend um die Jurte, der Regen stört sie dabei nicht. Die jüngsten Dorfbewohner werden ihren Weg über Waldkindergarten und Waldorfschule gehen, um danach selbst zu entscheiden, welche Lebensweise sie weiter wählen wollen, ob mit Jurte oder ohne.

Sanitäranlagen gibt es hier nicht. Als Toilette wird ein umweltfreundliches Kompostiersystem genutzt, statt zum Duschkopf greift man zur Zinnbadewanne oder zum Gartenschlauch. Diese grüne Lebensweise ist im Winter oder bei Krankheit nicht immer leicht. Doch vermisst Nadja nichts aus dem Leben vor der Jurte, die Vorteile überwiegen. Für die wertvolle Nähe zu den vier Elementen Wasser, Feuer, Erde und Luft verspürt sie tiefe Dankbarkeit. „Ich bin dankbar für unser eigenes Zuhause, aus dem man mit einem Schritt in die Natur treten kann und nicht auf irgendeine Kreuzung in der Stadt.“

Laptop, Handy und Telefon fungieren als Kontaktstelle zur Außenwelt. Selbst im Jurtendorf sind sie unabdingbar, auch wenn die Bewohner fernab von der Schnelllebigkeit des Kommunikationszeitalters leben. Für Politik ist im Dorf kein Platz, hier zählt der Weg des Kreises. Jeder bringt sich ein, sei es als Landschaftsgärtner, Wildnispädagoge, Schnitzexperte oder Jurtenbauer. Wöchentlich treffen sich die drei Familien in der Gemeinschaftsjurte, um offen und ehrlich über Befindlichkeiten und Probleme zu sprechen – für Nadja Treffen einer „großen Familie“, in der weder abgrenzend, noch zu schonend miteinander umgegangen wird. Das gemeinsame Arbeiten, Lernen und Leben in und mit der Natur steht im Mittelpunkt. Es ist eine neue, vielfältige Form des Miteinanders, ein Austritt aus dem normalen „Alltagsleben“.

Ist das Jurtendorf ein Wohnort für immer? „Wenn man länger an einem Ort ist, kennt man seine Vor- und Nachteile“, sagt Nadja und blickt lächelnd auf ihre sonnengebräunten Hände. Ein weiteres Ziel: sich als vollständige Selbstversorger zu etablieren. Momentan wird Gemüse angepflanzt, zudem gibt es einen Hühnerstall. Zum Leben reicht das aber nicht.

Ein auf die Grundbedürfnisse beschränktes Dasein als Kontrastentwurf zur Konsumgesellschaft? Diese Aussteiger genießen oft eine mythische Außenseiterrolle. Doch fernab von der Romantisierung dieses Abenteurerlebens bestreiten sie mit geringen Mitteln einen nicht immer leichten Alltag, der sich der Wertschätzung des Lebensnotwendigen verschreibt. „Zurück in die Natur“ also als abermaliges Glücksrezept für den Menschen? Ein Blick ins Jurtendorf zeigt: Die Natur hin und wieder zu spüren, ist ein guter Ansatz für jeden.

Der Fotograf der Slideshow Stefan Rosenboom hat auch ein Buch zum Jurtendorf veröffentlicht, das im Knesebeck Verlag erschienen ist: 

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