Kulturphilter

„Rock ’n‘ Roll Business is over“

Mit „ALAN – MENSCH MASCHINE“ widmet sich die Kulturbühne SPAGAT dem Leben und Werk des britischen Informatikers Alan Turing, dem ‚Vater‘ der Künstlichen Intelligenz. philtrat spricht mit Schauspieler Christian Heiß und Theaterleiterin Stephanie Tschunko über ein Stück zwischen Menschlichkeit und/oder Technologie. 

Alan Turings Todestag nähert sich dieses Jahr zum 70. Mal. Warum haben Sie sich gerade jetzt dazu entschieden sein Leben auf die Bühne zu bringen?

Christian Heiß: Die Idee ging schon einige Jahre durch unser Team. Als Portmanteau, bestehend aus Greulix Schrank und mir, haben wir schon mit Lucca Züchner und Thorsten Krohn (Anm. d. Red.: Hauptdarsteller*innen in „ALAN“) in der Schauburg im Jugendtheater zusammengearbeitet. Der damalige Intendant hat uns gewissermaßen einen Freifahrtschein gegeben und dann haben wir mit dem kompletten Ensemble der Schauburg und der Technik „20.000 Meilen unter der See“ von Julies Verne inszeniert. Das war unsere erste große midi-gesteuerte Installation. In unserem Tonstudio Portmanteau haben wir aber schon immer Musikmaschinen gebaut und in Bühnenbildern eingesetzt.

Stephanie Tschunko: Danach sind ein paar Jahre vergangen und Lucca Züchner ist zu uns an das SPAGAT gekommen. Nachdem wir mit ihr „Kitzeleien, der Tanz der Wut“ aufführten, wollten wir zusammen weiterarbeiten. Portmanteau hatten derzeit einen Stoff gesucht, den man mit oder um eine Maschine inszenieren kann. Da bot sich dieses Stück perfekt an. Wir sind eine sozio-kulturelle Bühne, Teil des HORIZONT e.V. (Anm. d. Red.: Verein für wohnungslose Kinder und Mütter) und daher immer auf der Suche nach Themen, die Menschen ansprechen. Die Inszenierung konnten wir passend mit Coding-Kursen für Kinder und Jugendliche begleiten. Ansonsten war es für uns der Einstieg etwas für ein jüngeres Publikum zu machen, auch wenn es ebenso ein Stück für Erwachsene ist.

Stephanie Tschunko

Kern des Stücks ist eine installative Maschine, die aus 20 Schäfer-Sortierkisten besteht, welche über eingebaute Musikboxen, Räderwerke und Kettenkarusselle verschiedene Klangwelten vom mechanischen Rasseln bis hin zum Klavier abbilden können. Herr Heiß, was fasziniert sie an dieser Arbeit zwischen Mechanik, Klang und Bühne? 

Heiß: Wir leben in einer Welt, in der man für 39 Euro ein Musikplugin kaufen kann, das fast alles kann und jedes Handy wird mittlerweile mit einer Digital Audio Workstation ausgeliefert. Man entfernt sich immer stärker von der analogen Klangerzeugung: „Rock ’n‘ Roll Business is over“, mehr oder weniger. Es hat uns irgendwann gelangweilt musikalisch alles nur aus der Kiste zu holen. Einschränkungen und Limitierungen sind etwas, was die Kreativität ankurbelt. In dem Moment, in dem du nicht mehr alles machen kannst, was man sich nur vorstellen kann, musst du dich spezialisieren und in bestimmte Dinge reinfuchsen. Der Zauber entsteht da, wo die Arbeit so hart ist, dass man sie ganz gerne vermeiden würde. Insofern freue ich mich immer, wenn ich mich begrenzen darf, wenn ich mir eine Aufgabe stelle, der ich eigentlich noch nicht gewachsen bin. 

Anknüpfend an das Thema Aufgaben und Neues ausprobieren: Welche spezifischen Herausforderungen gab es mit dieser Maschine oder der Technologie an sich? 

Heiß: Sie ist unsere erste Maschine, die nicht auf analogen Instrumenten basiert. Wir haben vorher Installationen kreiert, bei denen Xylophone, Glockenspiele, Schlagzeuge oder Klaviere automatisiert wurden. Das sind bereits Instrumente im klassischen Sinne. Dieses Mal haben wir eine Installation mit 20 baugleichen Kisten, die mit einem Instrument an sich erstmal gar nichts zu tun haben und in ihren Klangeigenschaften sehr limitiert sind. Ihr Zauber wird erst im Ensemble sichtbar, dadurch dass wir hier nicht nur eine, sondern 20 Kisten haben. Daher muss man musikalisch auch anders denken und das ist das Besondere an dieser Installation: Wir haben diese eigentlich werkzeugsorientierten Kisten einer völlig anderen Idee zugeführt. Alles, wo die Mechanik im Spiel ist und alles was in der analogen Klangerzeugung passiert, ist immer anfällig für Probleme. Dadurch, dass es 20 Kisten sind, ist es aber nicht so wahnsinnig wichtig, ob das eine Ding genauso funktioniert, wie es soll. 

Tschunko: Kurz vor der Generalprobe hatten wir die Überraschung eines Kurzschlusses, weil wir gleichzeitig Tee und Kaffee gekocht haben. Zum Glück nur im Nebenraum, aber das hat uns schon ein bisschen Angst eingejagt. Das war aber der größte Bug bisher. 

Warum ist das Theater ein passender Ort, um technische Fragen wie die nach der KI zu verarbeiten? 

Christian Heiß

Heiß: Das Theater ist grundsätzlich ein Spiegel der Gesellschaft. Alles, was wir hier tun, dient dazu gesellschaftliche Tendenzen aus möglichst verschiedenen Richtungen zu beleuchten und hauptsächlich Fragen aufzuwerfen. Denn die Antworten auf diese kennt im Moment niemand. Wir alle erahnen die Möglichkeiten sowie die Risiken der KI, auch wenn dieser Begriff für die meisten noch nicht klar definiert ist. Die einen behaupten, sie sei grundsätzlich gefährlich, die anderen nehmen sie als Werkzeug her. Der nächste sagt, es gibt überhaupt noch keine künstliche Intelligenz, bislang sind das einfach nur Algorithmen, die klug aneinandergereiht sind. Es wird sich in den nächsten zehn Jahren viel ergeben und es wird sich zeigen, ob unsere Gesellschaft in der Lage ist, die Geschwindigkeit dieses technologischen Fortschritts so zu kanalisieren, dass wir ihn auch beherrschen können. Wir müssen uns überlegen, wie wir damit umgehen, wenn eine KI entscheidet, ob eine Operation in einem Krankenhaus gemacht wird. Mittlerweile trifft deine Mercedes E-Klasse bereits Entscheidungen über Leben und Tod, ob du das willst oder nicht. Im Moment können wir das Fahrassistenzsystem noch ausschalten, aber irgendwann wird es implementiert sein und dann müssen wir uns fragen, wer den Algorithmus hinter diesen Entscheidungen programmiert hat und ob wir das Menschen wie Elon Musk überlassen wollen.

Herr Heiß, Sie sprachen bereits von Algorithmen, man denkt hier vielleicht auch an Large Language Models wie ChatGPT. Gab es für Sie beide bereits Berührpunkte mit diesen technischen Werkzeugen auf der Bühne oder dahinter? 

Tschunko: Für mich war es das erste Mal so etwas zumindest grafisch anzuwenden, aber ich hatte sehr viel Spaß dabei und fand es künstlerisch produktiv. Sonst sehe ich es auch in anderen Theatern, gerade Ausstatter*innen und Videokünstler*innen nutzen bereits Algorithmen, um bestimmte Effekte erzeugen zu lassen.

Heiß: Ich habe tatsächlich am Anfang versucht mit ChatGPT Textfragmente oder -passagen zu generieren, bin dabei aber sehr schnell an die Grenze gestoßen, da die Ergebnisse einfach nicht tief genug, nicht menschlich genug und zu plakativ waren. Es wird im Moment ein sehr großer Datensatz geschickt zu Rate gezogen, aber in den Antworten selbst sind keine oder nur sehr wenige humanistische Grundgedanken enthalten. Genau die sucht man aber im Theater. Zusammenhänge herstellen, Assoziationen bilden, das sind alles Dinge, die ChatGPT bislang nicht in seine Texte einpflegt. Meinen Ansprüchen hat es nicht gelangt, auch nur einzelne Sätze herauszunehmen. Das war für mich anstrengender als es einfach von selbst zu schreiben. 

Als Ideengeber kann es aber glaube ich schon von Interesse sein. Es ist immer die Aufgabe eines Regisseurs die Werkzeuge zu nutzen, die ihm zur Verfügung stehen. Auch wenn KIs in kritischen Fragen noch das Halluzinieren beginnen, kann das ein anregender Aspekt sein, die künstliche Intelligenz mit der realen Intelligenz zu verbinden und etwas Sinnvolles daraus zu stricken. Bislang kann die KI selbst aber nur ausgetrampelten Straßen folgen. Was sie tut, ist eher ein Nachahmen als ein Selbstausdenken. In manchen Kunstbereichen fällt das weniger auf und in anderen ist das noch mehr mit Vorsicht zu genießen. 

Ist ChatGPT also keine Gefahr für die Kreativität?

Heiß: Ich glaube davon sind wir noch ordentlich weit davon entfernt. Ich halte es eher für ein Werkzeug, um Gedanken und Arbeitsprozesse schneller und leichter zu organisieren und den Fokus auf das zu verschieben, was wir Menschen wirklich gut können: Assoziationsketten bilden, Nachdenken über die ethischen Fragen. Alles, was ChatGPT eben (noch) nicht kann. Und wenn wir das Eintragen von Zahlen in Excel-Tabellen einer KI überlassen können, dann sollten wir das dringend tun, denn das ist die dümmste Beschäftigung für Menschen. 

Auf der anderen Seite sehe ich die gesellschaftliche Aufgabe darin, zu schauen, was wir mit den Menschen machen, die nicht programmieren können oder die darauf angewiesen sind schlecht bezahlter Arbeit nachzugehen, welche irgendwann von Robotern ersetzt wird. Es steigt auch der Informationsstand des Einzelnen und der gesellschaftliche Druck, dieser Gesellschaft entsprechen zu müssen. Der Leistungshorizont ist nach oben gewandert und es reicht nicht mehr jeden Tag acht Stunden arbeiten zu können, sondern du sollst dich auch noch in allen technologischen Neuerungen auskennen. Das erzeugt einen Druck, den wir spüren, wenn wir uns einmal die Burnout-Zahlen der letzten Jahre anschauen. Es ist eine gesellschaftliche Aufgabe, zu sehen, wo wir unsere Ressourcen als Mensch am Optimalsten nutzen, ohne uns dabei von der Technologie, die am Horizont auftaucht, überfahren zu lassen. 

Foto: Severin Vogl

Wie sieht die Zukunftsplanung für SPAGAT und Portmanteau bezüglich der KI am Theater aus? 

Tschunko: Wir haben nicht vor KI-Spezialisten zu werden. Das würde uns in einer Form begrenzen und gleichzeitig können wir das gar nicht bieten. Wie der Zufall es so will, koproduzieren wir aber im Januar ein Stück von Jochen Strodthoff, dass sich mit dem Thema KI beschäftigt. So oder so ist es interessant das weiterzuverfolgen. 

Heiß: Wir stammen aus einer Generation, die keine Digital Natives sind. In meiner Kindheit war der Atari das Maß aller Dinge. Ich habe also von Coding überhaupt keine Ahnung. Interessant wird es, wenn die Digital Natives anfangen, diese Mittel vollkommen selbstverständlich zu benutzen. Jemand, der mit ChatGPT oder gewissen KI-Systemen aufgewachsen ist, wird sie anders verwenden als ich. Da sehe ich eine große Chance, auf der anderen Seite verspüre ich auch die Verantwortung den Digital Natives noch eine Anbindung in die reale Welt zu ermöglichen. Das ist eigentlich das, was wir versuchen: in unseren Installationen die analoge und die digitale Welt so zu verbinden, dass haptisch erfahrbar bleibt, was sonst nur noch in the box abläuft.

Was sollen die Zuschauer*innen aus „ALAN – MENSCH MASCHINE“ mitnehmen? 

Heiß: Die Hauptfrage des Stücks lautet: Können wir es uns erlauben Menschen auszugrenzen, die aufgrund irgendwelcher Gründe – ihrer sexuellen Orientierung, ihres Intellekts – außerhalb der Gesellschaft stehen? Alan Turing wurde chemisch kastriert, weil er homosexuell war. Wir beschneiden uns der Möglichkeiten und der Vielfalt, wenn wir solche Menschen nicht in die Mitte der Gesellschaft holen. Wir verlieren die Ideen der Einzelgänger, wir verlieren den Zugang Andersdenkender. Es ist nicht umsonst so, dass Google mittlerweile Stellen speziell für Inselbegabte, Asperger und Savants schafft. Diese Firmen tuen das nicht zum guten Zweck, sondern weil es ihnen hilft den Blick zu erweitern. 

Das Theater bietet eine Möglichkeit diese diversen Perspektiven zu zeigen. Viele Menschen erfahren eine ähnliche gesellschaftliche Ausgrenzung wie Alan Turing – oder unangemessene Reaktionen eines Staatsystems wie man es in Großbritannien und auch in Deutschland hatte. Solche Grenzen zu verschieben und einzureißen, das ist das Wichtige und Spannende. Insofern ist es ein sehr politisches und gesellschaftliches Stück, das es hoffentlich Randgruppen ermöglicht, sich dort wiederzufinden. Aber auch dem Durchschnittsbürger, der mit alldem nichts am Hut hat, am Ende des Tages nach Hause geht und einer Grafik-KI sagt: „Mal mir eine Giraffe mit Bart“.

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