Rezension

Aimée, ich will für immer dein Jaguar sein!

Mit “Aimée & Jaguar” ist nun am Zentraltheater die intensive Inszenierung einer lesbischen Liebesgeschichte zu sehen. 

Foto: Zentraltheater

Von Balthasar Zehetmair

“Lilly, ich bin Jüdin.” 

Das Wort verhallt. 15 Sekunden pure Stille im kleinen Saal des Zentraltheaters München. 15 lange Sekunden voller Beklemmung, Berührung und Bedeutungsschwere. Eine einfache Aussage, ein langer Moment, ein emotionaler Wendepunkt an diesem Premierenabend zum Stück “Aimée & Jaguar. Von diesem Zeitpunkt an wird die verbotene Liebe zwischen Felice und Lilly noch tiefer, noch intensiver. Die zwei Frauen wachsen im Berlin von 1942 zwischen den Grauen des Kriegs und nationalsozialistischer Vernichtungspolitik noch mehr zusammen. 

Tragische Liebesgeschichte 

Auf der Vorlage des gleichnamigen Romans von Erica Fischer inszeniert Regisseurin Lea Ralfs – schon für das Pathos Theater und das Residenztheater aktiv – hier mit kleinem Ensemble ein Stück mit hoher Intensität, vielen Emotionen, aber ebenso viel charmanten Witz. Die Story ist vergleichsweise einfach und schnell erzählt. Da ist die 29-Jährige Lilly Wust, verheiratet mit vier Kindern und mit dem Leben von Millionen deutscher Hausfrauen. Zwischen Wäscheleinen, Klammern und Laken erblickt sie mit der blutjungen 21-jährigen Felice Schragenheim ihre wahre Liebe auf den ersten Blick. Sie schreiben sich Liebesbriefe, Gedichte, heiraten und geben sich die kunstvoll verspielten Kosenamen Aimée & Jaguar. Lilly und Felice leben sich hier frei aus und können so sein und lieben, wie sie wollen. Doch das Glück währt nicht lange, die beiden Frauen werden von der Gestapo bespitzelt und bald darauf wird Felice verhaftet und deportiert. Im August 1944 wurde Felice Schragenheim im Konzentrationslager Theresienstadt ermordet. Der Roman basiert auf einer wahren Geschichte.  

Harmonie in Bühnenbild und Ensemble

Getreu dem Motto “weniger ist mehr” mag das Bühnenbild mit Wäscheleinen, vereinzelten Klammern und Kleidern rudimentär wirken, doch befindet sich dieses im ständigen Wandel während der Vorführung. So werden mit einfachen Mitteln wie aufgehängten Bettlaken, Blumen oder durch den akzentuierten Einsatz von Licht die imaginären Vorstellungsräume der Zuschauenden belebt. Dadurch sind die Szenen sehr lebendig und die Inszenierung wirkt intensiv. In manchen Momenten fühlt sich das fast mehr nach Film als Theater an. Einen nicht unwesentlichen Teil dazu tragen die drei Schauspielerinnen bei, die in ihrem Zusammenspiel eine schöne Harmonie ausstrahlen und gut aufeinander abgestimmt sind. 

Die kongeniale Ursula Berlinghof, die selbst manch ernste, vielleicht auch bedrückende Szene mit drolligen Betonungen und Mimik humoresk aufdröselt. Gleichzeitig aber an anderen Stellen, wie der Verhaftung Felices, mit der notwendigen Seriosität herangeht. Mit einer impulsiven Körperlichkeit und klarer Artikulierung spielt Kim Bormann. Dagegen weiß Lea Schönhuber ihre Darstellung mit zarter Gestik und Eleganz sowie ruhigen

Ursula Berlinghof. Foto: Daniela Pfeil

Bewegungen anzugehen. Die drei Schauspielerinnen wechseln ständig die Rollen und ziehen sich direkt auf der Bühne um. So sind diese abwechselnd Felice, Lilly und hin und wieder schlüpfen sie in die Rollen des Gestapo-Offiziers oder des Ehemanns von Lilly. Dieser Wechsel wirkt nur an vereinzelten Stellen verwirrend, wenn zu schnell zu viel hintereinander folgt. Allerdings wird dies durch eine einheitliche Kleiderordnung auf der Bühne schnell ersichtlich. Dadurch, dass die drei Schauspielerinnen jeweils für sich sehr individuell spielen, können die Figuren Felice und Lilly in verschiedenen Lebens- und Emotionslagen passend dargestellt werden. 

Kim Bormann. Foto: Jeanne Degraa

Intensive Szenerien mit einfachen Mitteln

So werden zwischen den Szenen immer wieder Erzähl-Parts oder Plots mit historischen Fakten zur Judenverfolgung und der nationalsozialistischen Propaganda eingeworfen. Daten, Ereignisse und Jahreszahlen werden genannt und die Protagonistinnen sozial und persönlich näher eingeordnet. Dies gibt Orientierung und lässt die Szenen besser einordnen. Während der Parts läuft oft poppige Musik, zu der sich die Schauspielerinnen wild bewegen. Dieses Element soll die ganzen Fakten leichter verdaubar machen, wirkt aber mitunter misslungen. 

Doch besticht die neue Arbeit von Lea Ralfs vor allem dadurch, wie es die drei Schauspielerinnen auf der kleinen Bühne schaffen, die Handlung intensiv, greifbar und szenisch gelungen

Lea Schönhuber. Foto: Zaucke

darzustellen. Der gefühlvolle Sex, der letzte Ausflug der beiden Frauen an den See oder auch die Verhaftung Felices und das Verhör von Lilly bei der Gestapo. Es sind Szenen zwischen Liebe und voller Emotion sowie grausame Vorgängen der Gewalt, die mit viel Leidenschaft, gutem Einsatz der Bühnenelemente und Geräuschwelten haptisch wiedergegeben werden.

“Du bist Aimée und ich bin Jaguar. Aber wo bist du hin, meine liebe Aimée?” Die Frage verhallt traurig im Raum, als Ursula Berlinghof das Todesdatum von Felice Schragenheim vorliest. Licht aus. 

Für dich vielleicht ebenfalls interessant...