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Vorstoß ins Unbekannte

Der Protest gegen die geplante bayerische Hochschulreform wird immer lauter. Eine der Initiator*innen der „Initiative für Geistes- und Sozialwissenschaften“ erklärt, was es jetzt braucht.

Kundgebung am 01. Dezember am Odeonsplatz in München. (©Karin Just)

Interview von Simon Kienzl

Der Freistaat Bayern arbeitet seit 2019 an einer umfassenden Hochschulreform. Lange blieb es aber still um dieses Vorhaben. Erst seit Veröffentlichung eines Eckpunktepapiers zum neuen Hochschulgesetz Anfang November drängt das Thema in die Öffentlichkeit. Auch die kritischen Stimmen werden lauter, darunter die „Initiative für Geistes- und Sozialwissenschaften“. Die Initiative, die von Student*innen und wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen vor kurzem gegründet wurde, positioniert sich lautstark gegen das Reformvorhaben. Sie organisiert Kundgebungen, Informationsveranstaltungen und startete kurzerhand eine Petition gegen die Reform.

Wir haben uns deshalb mit einer der Initiator*innen, Christiane Fuchs getroffen, um über die Eckpunkte zum neuen Hochschulgesetz und den sich formierenden Widerstand zu sprechen.

Das Eckpunktepapier spricht von einem „Vorstoß ins Unbekannte und der Entdeckung von nicht Vorstellbarem“ in der Forschung. Klingt eher nach dem Vorspann eines Science-Fiction Films als nach Hochschulgesetz?

Ja! Ich musste dabei an die Pressekonferenz vor ein paar Jahren denken, in der Markus Söder seine Pläne für ein bayerisches Raumfahrtprogramm vorgestellt hat. Man hat sich damals über ihn und „Bavaria One“ lustig gemacht. Das klang einfach alles so überzogen, regelrecht nach Hybris. Und auch die Hochschulreform geht in diese Richtung. Vieles im Eckpunktepapier erscheint so abgefahren, man kann es eigentlich fast nicht ernst nehmen. Aber aus diesen Eckpunkten soll eine konkrete Gesetzgebung werden. Wir müssen es deshalb ernst nehmen.

Ernst nehmen? Viele Studierende scheinen die geplante Reform überhaupt nicht wahrzunehmen. Auch eure Petition gegen die Reform hat erst 20 Prozent des Quorums erreicht.

Das verwundert nicht! Die Ausarbeitung der Eckpunkte verlief äußerst intransparent. Von einigen wenigen Hochschulpräsidenten abgesehen, waren weder Studierende noch Lehrende beteiligt. Unser Eindruck ist deshalb, dass viele von den Plänen zum Hochschulgesetz einfach überrannt wurden. Einige Punkte im Papier sind aber gerade für Student*innen problematisch. Zum Beispiel die „umfassende Gebührenerhebungsmöglichkeit“. Künftig könnte es dann etwa möglich sein, für Nicht-EU-Studierende, für Aufnahmetests oder auch für Sprachkurse Gebühren zu erheben. Das ist ein Problem für Studis! Dann das „Gesamtlehrdeputat“. Für mich ist völlig unklar, wie man künftig ein Betreuungsverhältnis quer durch alle Fächer gewährleisten will. All das sind Probleme, die Studierende direkt betreffen. Und die bayerischen Student*innen werden auch weiterhin keine verfasste Studierendenschaft erhalten, um ihre Interessen zu vertreten.

Das 20-seitige Schreiben formuliert auf der ersten Seite seinen programmatischen Grundsatz: “Ziel ist maximale Verschlankung und Deregulierung”. Was soll das konkret heißen?

Tatsächlich verrät schon diese Formulierung aus welcher Ecke das Papier kommt. Deregulierung, Verschlankung: altbekannte Schlagwörter des Neoliberalismus. Die Gesetzesreform ist somit nicht eine Kehrtwende, sondern nur eine krasse Weiterentwicklung der neoliberalen Stoßrichtung der letzten Jahre. Die Studiengebühren kamen aus dieser Ecke, auch das Hochschulgesetz 2006. Man treibt dies alles noch einmal auf die Spitze. 

Was heißt das genau?

Konkret meint dies eine Deregulierung der Struktur der Hochschulen, wie wir sie kennen. Jene gesetzlichen Regelungen, die bisher festlegen, dass es zum Beispiel Fakultäten, einen akademischen Senat oder eine gewählte Studierendenvertretung geben muss, würden wegfallen. Die einzelnen Hochschulen könnten oder müssten künftig selbst über ihren inneren Aufbau entscheiden. Ebenso über ihren Haushalt und über die Organisation der Lehre.

Mehr Freiheiten für die Hochschulen, klingt doch eigentlich vielversprechend?

Stimmt, das klingt natürlich erstmal gut. Aber wenn man genauer hinschaut, ist es das nicht. Im Gegenteil. Bei aller Freiheit braucht es einen gesetzlichen Rahmen, der zum Beispiel die Absicherung der Beschäftigten regelt. Das große Problem ist aber, dass es eine Freiheit mit einer sehr einseitigen Machtverteilung wäre. Die Reform würde eine Schwächung der akademischen Selbstverwaltungsstruktur bedeuten und eine Stärkung der Universitätspräsidien. Mehr Macht für Hochschulpräsidien und weniger Mitsprache für Studierende und Lehrende. Aber vor allem für die Wissenschaftsfreiheit wäre eine solche Reform kontraproduktiv. Der Hochschulraum wird im Eckpunktepapier schließlich mit Begriffen der ökonomischen Verwertbarkeit aufgeladen. Es geht also vor allem um mehr unternehmerische Freiheit. Diese hat aber im Bereich der Hochschule nichts zu suchen.

Kundgebung am 01. Dezember am Odeonsplatz in München. (©Karin Just)

Was hätte Ihres Erachtens eher etwas im neuen Hochschulgesetz zu suchen?

Was wir kritisieren: Wir haben über neunzig Prozent befristet Beschäftigte im Mittelbau. Was uns deshalb im Eckpunktepapier fehlt, sind erstens konkrete Perspektiven und auch Zielvorgaben, wie man diesem Problem begegnen will. Und zweitens: dauerhafte Finanzierung. Hier kann man das Problem der neuen Freiheit nachzeichnen. Wenn man von staatlicher Seite sagt, wir geben das in die Verantwortung der Hochschulen, dann wird nichts passieren. 

Die Initiative richtet sich also allgemein gegen das Reformvorhaben. Warum also der Fokus der Initiative auf die „Geistes- und Sozialwissenschaften“?

Wir befürchten, dass es zu einem massiven Verteilungskampf an den Hochschulen kommt. Schon jetzt haben wir eine mangelhafte Grundfinanzierung der Hochschulen durch den Staat. Der Anteil der Drittmittel am Haushalt wird seit Jahrzehnten immer größer. Diese Tendenz wird die Reform noch einmal verstärken. Und hier liegt eine große Gefahr für GuS-Fächer. Sie sind bekanntlich nicht so drittmittelaffin wie zum Beispiel die MINT-Fächer. Ich sage bewusst drittmittelaffin und nicht drittmittelstark. Denn die geistes- und sozialwissenschaftliche Forschung funktioniert einfach anders als die naturwissenschaftliche. Das Eckpunktepapier wird dem aber nicht gerecht. Sondern eindeutig von der Vorstellung beherrscht, dass man Wissenschaft in quantitativen Maßstäben messen und verwerten kann. 

Tatsächlich soll in Bayern künftig „das wissenschaftliche[…] Wissen verwertbar“ sein. Können Geisteswissenschaften „verwertet“ werden? 

Erstaunlich ist zuallererst, dass die Geistes-und Sozialwissenschaften im Eckpunktepapier gar nicht adressiert werden. Ich finde diese Debatte von einem gesellschaftlichen Nutzen aber allgemein schwierig. Aus meinem Wissenschaftsverständnis heraus würde ich sagen, dass Geistes- und Sozialwissenschaften sehr wohl wichtig sind für unsere Gesellschaft. Es ist ja nicht so, dass wir irgendwie im Elfenbeinturm sitzen und Glasperlenspiele betreiben. Aber ich würde es als gesellschaftliche Verantwortung benennen. Es geht eben gerade nicht um eine ökonomische Verwertbarkeit. 

Wie wollt Ihr euch als Initiative also dagegen positionieren?

Wir sind da, glaube ich, erstmal ein bisschen reingestolpert. Man muss dazu sagen, die Idee der Initiative war älter als das Eckpunktepapier. Schon länger beobachten wir, dass der Fokus in Bayern immer stärker auf die Förderung von MINT-Fächern gelegt wird. Wir organisieren Infoveranstaltungen. Uns geht es vor allem darum, die Infos vor Ort an die Hochschulen zu bringen. Wichtiger Baustein ist auch die Petition für den Erhalt und die Stärkung der unabhängigen Geistes-und Sozialwissenschaften, die wir gestartet haben. Und unsere Kundgebungen Anfang Dezember. Das sind die ersten Schritte.

Kundgebung am 01. Dezember am Odeonsplatz in München. (©Karin Just)

Petition, informieren, demonstrieren. Glauben Sie, dass es noch andere Formen des Widerstandes braucht, auch unter Studierenden?

Auf jeden Fall. Ja. Wirklich. Mir ist es gerade auch zu ruhig, ehrlich gesagt. Natürlich haben wir derzeit ein großes Problem. Es gelten schließlich Kontaktbeschränkungen. Vor Ort an den Unis finden fast keine Lehrveranstaltungen statt. Und auch das Leben an der Uni ist enorm eingeschränkt. Das macht es schwierig, für uns als Initiative sichtbar zu sein. Und für Studierende, um vor Ort Protest zu üben.

Was ist ihrer Ansicht nach jetzt nötig?

Was es braucht, sind öffentliche und deutliche Stellungnahmen. Viele Fachschaften an den Hochschulen sind hier schon aktiv geworden. Und es ist wichtig, dass die Hochschulreform auch in den Hochschulgremien selbst thematisiert und problematisiert wird. Vielerorts geschieht das ja jetzt langsam auch. Ansonsten, unter normalen Bedingungen, hätte ich gesagt: Es braucht Kundgebungen, man muss die Proteste auch auf die Straßen tragen. Das ist aber alles irgendwie schwierig gerade.

Vor sieben Jahren hat ein Volksbegehren zur Abschaffung der Studiengebühren geführt. Glauben Sie, dass dieses Hochschulgesetz auch an der massiven Mobilisierung der Hochschul-Studierenden und Beschäftigten scheitern kann?

Ich würde es mir wünschen. Ich glaube, dafür ist es jetzt aber noch zu ruhig und die Zeit ist zu kurz. Das damalige Volksbegehren war eine lang angelegte Kampagne. Und man muss auch bedenken, dass nicht die Einführung der Studiengebühren verhindert wurde, sondern man erst später ihre Abschaffung erkämpfen konnte. Ich habe mich in meinem ersten Semester auch beim Volksbegehren gegen Studiengebühren engagiert und als es darum ging, Leute zu mobilisieren, standen wir zwei oder sogar vier Wochen auf der Straße. Wir haben einfach Passant*innen angesprochen. Das sind die Dinge, die kann man gerade nicht machen.

Was kann man, was soll man Ihres Erachtens jetzt als Student*in machen?

Das Wichtigste ist für mich der Appell an die Studierenden: Beschäftigt euch mit Hochschulpolitik! Hochschulpolitik ist manchmal trocken, aber es ist wichtig, sich damit auseinanderzusetzen und zu schauen, was sie für den eigenen Wissenschafts- und Studienalltag bedeutet. Als Student*in Einblick zu haben ist aber oft schwierig. Man weiß vielleicht gar nicht, wie Finanzierung an Hochschulen funktioniert. Deshalb ist es auch umso wichtiger, dass Dozent*innen und Professor*innen solche Fragen in die Hochschulen hineintragen und Studierende auf die Problematiken der Reform hinweisen.

Drängt die Zeit?

Es deutet sich an, dass die Reform möglichst rasch durchgepeitscht und den Unis übergestülpt werden soll. Unseren Informationen nach soll die Reform bis Frühjahr 2021 beschlossene Sache sein.

 

Das Interview wurde am 19. November gehalten.

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