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Verleger aus Leidenschaft

Die Lyrik hat Prestige und Geschichte, aber für einen Verlag lässt sich mit dieser Sorte Text kein Geld verdienen. Große Häuser verzichten heute auf Gedichtbände – in Kleinverlagen wird dagegen neu gedruckt. Dafür tragen die Verleger*innen ein hohes Risiko. Was treibt sie an?

Symbolbild

Von Zeno Bampi

Es ist warmer Abend Ende Mai, das Sommerwetter lockt die Münchner*innen auf die Straße. Schlecht für den Einzelhandel, könnte man meinen, kaum jemand stöbert heute durch die Geschäfte in der Innenstadt. Aber in der Literaturbuchhandlung Moths herrscht Hochbetrieb. 50, 60 Leute sind zur angekündigten Lesung gekommen. „Sperrsitz“: Zwei Dichter stellen ihre neuen Bücher vor. Einer von ihnen ist Markus Hallinger. Leise, aber eindringlich, spricht er ins Mikrofon, bei manchen seiner Verse geht ein Raunen durch die Menge. Als schließlich der Moderator vor das Publikum tritt, wirkt er zerknirscht: Es habe bei der Bestellung von Hallingers Band ein Missverständnis gegeben, nur drei Exemplare habe man jetzt im Laden. Man solle nicht enttäuscht sein. Bei Bedarf könne er nachbestellen.

Wenig später hat sich der Laden geleert, vor der Tür schüttelt Hallinger Hände. Kolleg*innen kommen auf ihn zu, die Lesung war ein Erfolg. Derweil geht das Team der Buchhandlung die Verkäufe des heutigen Abends durch. Markus Hallinger, „Würfelbruch“: zwei mal. Ein dritter Band liegt noch immer, unangetastet, im Regal.

Verschmähte Lyrik

Szenen wie diese sind keine Seltenheit, und das Kaufverhalten der Leser*innen schlägt sich in den Zahlen nieder: Nur 1,3 Prozent des deutschen Buchmarkts für Belletristik entfallen auf poetische Werke. Gedichte mögen im System der Literatur ihren festen Platz haben, aber Gedichtbände verkaufen sich nicht. Die wenigen Programmplätze, die etablierte Verlage ihnen zuweisen, sind daher fest an Klassiker und Longseller vergeben, und außer vereinzelten Nobelpreis-Prätendenten taucht zwischen all den altbekannten Namen selten ein neuer auf.

Dass es in Deutschland trotzdem eine Lyrikszene gibt, die mit künstlerischen Innovationen und immer neuen Protagonist*innen die Welt der Poesie vor der Musealisierung bewahrt, hängt eng mit dem Engagement unabhängiger lyrischer Kleinverlage zusammen. Sie sind Plattform, Sprachrohr und Archiv für die Arbeit am literarischen Profil der Gegenwart und Ausgangspunkt für zahllose individuelle Künstlerkarrieren. Ihr wirtschaftlicher Stand ist dabei kein leichter: Die Mittel sind knapp und die Zukunftsaussichten chronisch düster. Nur der Leidenschaft und dem Einfallsreichtum der Verleger*innen ist es zu verdanken, wenn sie sich auf diesem schwierigen Terrain dennoch dauerhaft behaupten konnten.

Selbsthilfe im Kleinverlag

Im Ringen um die Zukunft seines Verlagsprojekts hat Adrian Kasnitz viel Erfahrung. Seit 18 Jahren leitet er die „Parasitenpresse“, einen unabhängigen Kleinverlag in Köln, der mit seinen Taschenbüchern und Lyrikheften längst zu einer fixen Größe in der deutschen Dichterszene geworden ist. Dennoch ist die Edition bis heute ein Ein-Mann-Betrieb geblieben. Beim Telefonat tönt Kindergeschrei aus dem Hintergrund: Verlagsarbeit ist für Kasnitz nach wie vor Heimarbeit.

Adrian Kasnitz leitet den unabhängigen Kölner Kleinverlag „Parasitenpresse“ © Parasitenpresse

Auf die Anfänge der Parasitenpresse angesprochen, skizziert Kasnitz die Situation, in der sich der Buchmarkt um die Jahrtausendwende herum befunden hatte. Damals kürzten die großen Verlage ihre Lyrikprogramme, um Gewinneinbußen aufzufangen, und auf eine Veröffentlichung konnten junge Lyriker*innen kaum mehr hoffen. Da lag der Plan nahe, einen eigenen Verlag zu gründen – für Kasnitz und seine Mitstreiter*innen der einzige Weg, um Abhilfe zu schaffen.

„Wir haben von Anfang an darauf gesetzt, so wenig Kosten wie möglich zuzulassen“, sagt Kasnitz im Interview. „Als Deckblätter haben wir die Briefumschläge anderer Verlage genommen, gedruckt und gefaltet haben wir selber.“ Dieses Prinzip der Sparsamkeit war ein wichtiger Faktor auf dem Weg vom Privatdruck-Projekt bis zum kleinen, aber etablierten Verlag. Ein anderes bedeutendes Moment liegt in der Flexibilität: „Große Verlage müssen von vornherein höhere Auflagen planen, um die Kosten pro gedrucktem Buch gering zu halten“, so Kasnitz. „Wir drucken bis heute peu à peu.“ Ist ein Titel aus, kann er schnell und problemlos nachgeliefert werden. Verkauft sich ein Titel schlecht, bleibt niemand auf Herstellungskosten und Restexemplaren sitzen.

Alle Macht den Dichter*innen

Inzwischen herrscht auf dem Markt für lyrikaffine Kleinverlage kein Mangel mehr: 2001 wurde in Wiesbaden der luxbooks Verlag gegründet, 2003 folgte kookbooks in Berlin, 2005 das Verlagshaus J. Frank, 2008 schließlich der hochroth Verlag; parallel entstanden zahlreiche webgestützten Publikationsmöglichkeiten. Bei einem derart breiten Angebot liegt das Kernanliegen der Kleinverlage heute nicht mehr in der Sicherung der editorischen Grundversorgung. Dafür ist es ein anderes Ziel, das jetzt im Mittelpunkt steht.

„In unseren Verlagen versuchen wir, die Autoren in den Vordergrund zu stellen“, beschreibt Kasnitz die Zielsetzung, die ihn mit vielen Kolleg*innen verbindet. „Unsere Bücher sind vor allem so kalkuliert, dass für sie eine Gewinnbeteiligung abfällt – auch wenn das oft nur ein symbolischer Betrag ist.“ Damit will Kasnitz den Entwicklungen eines Literaturbetriebs entgegensteuern, dessen Institutionen den Dichter*innen selber oft nicht viel zu bieten haben. „Ein Literaturhaus zum Beispiel ist ein großer, ziemlich aufgeblähter Betrieb. Das Geld wird da vor allem verwendet, um Moderatoren und Literaturvermittler zu bezahlen – bei den Schriftstellern selber kommt am wenigsten an.“

Überhaupt findet Kasnitz, was die unabhängigen Kleinverlage auszeichnen müsse, sei ein klares Selbstverständnis und ein reflektierter Umgang mit ihrer Mission. Vor Kurzem haben über 60 Verleger*innen aus dem gesamten deutschen Sprachraum in Düsseldorf getagt, um die wirtschaftliche Situation der Branche zu analysieren und nötige Schritte zu debattieren – denn längst nicht alle Kleinverlage sind konsolidiert. Auch das Thema Verlagsförderung kam dabei auf. Aber Kasnitz bleibt misstrauisch: „Ein unabhängiger Verlag zu sein, und dabei abhängig von staatlicher Förderung – da steckt für mich ein Widerspruch.“

Derart streng sehen das nicht alle in der Szene, aber dennoch sind die wichtigen Grundsätze für alle dieselben: Bücher aus Passion, Idealismus statt Rendite, Autonomie als hohes Gut. Kein Zweifel – die unabhängigen Verleger*innen betreiben ihr Geschäft nicht weniger leidenschaftlich als die Dichter, die sie verlegen, das ihre.

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