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Malerei mit Hip-Hop und viel Herzchen

Mehmet & Kazim widmen sich den Themen Liebe und Identität. Ölmalerei trifft auf Hip-Hop, Graffiti in Signalfarbe. Die Künstler-Cousins haben heuer die Akademie der Bildenden Künste München (prämiert) abgeschlossen. Cover und Zwischencover der 28. Philtrat-Ausgabe stammen von ihnen.

© Foto: Mehmet & Kazim

Von Tabitha Nagy

Weiß und Rot – Für fast jede Ausstellung schafft das Künstlerduo ein neues Werk in diesen Farben. Sie sind ihr „Markenzeichen“. Für ihre Ausstellungen kreieren sie mit Wandfarbe, Teppich und Projektionen ganze Installationen um, mit und für ihre Malerei „Es ist Weiß und Rot, die Reihenfolge ist wichtig“, so Mehmet, „das kommt von unserem Nachnamen Akal, im türkischen bedeutet der Name ‚weiß-rot'“.

© Foto: Mehmet & Kazim

In ihrer Arbeit fassen sie vor allem den Begriff „Rot“ sehr weit: Solange er auf der Packung steht, wird damit gemalt. Auch wenn die Farbe eigentlich schon Orange oder Schwarz aussieht. „Weiß und Rot, das sind unsere ‚crew colors‘, das ist das, was wir repräsentieren“, sagt Kazim. Was auch hinzukommt, ist die Leinwand und deren Farblichkeit. Vor kurzem hatten Mehmet & Kazim mit Talbot Runhof einem High-End Modelabel eine Kooperation. In dieser haben sie die Stoffe des Labels als Material und Träger ihrer Malerei verwendet.

Ihre Werke sind vielfältig, zeigen nackte Hintern als selbstportrait, Meerjungfrauen, aber auch kunsthistorische Bezüge, wie in ihrer Jeansjacken-Serie. Alles mit vielen Herzchen „um das Ganze nochmal zu brechen“, sagt Kazim. Und immer wieder sieht man die „Kissing Cousins“ – die Alter Egos von Mehmet und Kazim in ihrer Malerei.

„Kissing Cousins“ – Superhelden Alter Ego

„Manchmal verkleiden wir uns auch so“, sagt Mehmet. Den Namen haben sie von ihrem Professor, Markus Oehlen, bei dem sie bis zu diesem Frühjahr Malerei an der Akademie der Bildenden Künste München studiert haben. „Er wollte uns eigentlich damit ärgern, aber im Hip-Hop gibt dir auch dein Mentor deinen Namen“, sagt Kazim. Hip-Hop und Graffiti: das ist der Hintergrund der beiden. „Hier haben wir unabhängig voneinander versucht, unsere Identität zu finden.“ Sie sind zwar beide in München geboren und aufgewachsen, hatten allerdings lange Zeit wenig miteinander zu tun.

Erst als Kazim bei Tante und Onkel zu Besuch war und eine Malerei von Mehmet auf dem Balkon sah, kamen sie mehr ins Gespräch. Sie merkten, dass sie beide dieselben Bilder im Kopf hatten, dieselbe Geschichte von der Flucht der als linke Aktivist*innen politisch verfolgten Eltern nach Deutschland, vom Großvater, einem Maler und Kommunisten, vom Urgroßvater, dem ersten sozialistischen Dichter in der Türkei. Beide suchten sie unabhängig voneinander die eigene Identität in der Hip- Hop-, Breakdance- und Graffiti-Subkultur. „Da haben wir beschlossen, alles gemeinsam zu machen. Für immer“, scherzen sie.

Der Unterschied zwischen Graffiti und Kunst

Zunächst haben sie gemeinsam mit Graffiti weitergemacht. Aber dann kam der Punkt, an dem sie mehr wollten. Warum also an die Kunstakademie? „Wir wollten herausfinden, wo denn da der Unterschied ist zwischen Kunst und Graffiti“, erklärt Mehmet. An der Akademie sei ihnen gesagt worden, Graffiti sei keine Kunst. Das erste Jahr verbrachten sie dann fast nur in der Bibliothek. „Wir wollten wissen: was ist das, Kunst? Was gibt es da und wo ist da unser Platz?“, erzählt Mehmet.

© Foto: Mehmet & Kazim

Philip Guston und Bjarne Melgaard seien ihre größten Einflüsse. Peter Saul, Cy Twombly und viele andere zählen sie auch zu ihren künstlerischen Vorbildern. In ihrer Jugend kamen sie kaum in Berührung mit dem Kunstbereich. „Der Zugang zu Museen, zu Galerien, das ist natürlich schon eine Schwelle“, sagt Mehmet. Über die Subkulturen würden Jugendliche viel einfacher ein Interesse für Kunst im weiteren Sinne bekommen. An der Akademie versuchten sie zuerst, sich weit von ihren Anfängen zu entfernen. Dass sie von Graffiti und Hip- Hop wegmüssten, sei ihnen oft gesagt worden. „Bis dann unser Professor gesagt hat ‚Stopp, ihr müsst wieder zurück'“, erzählt Kazim. Sie dachten viel darüber nach, wo ihre Gemeinsamkeiten liegen, kamen so auf den Nachnamen und die Farben Weiß und Rot. „Da ist dann der Knoten geplatzt“, so Kazim, „in der Reduktion lag die größte Freiheit.“

Die bessere Hälfte? – Arbeit als Künstlerduo

Familie sein und zusammenarbeiten, wie kann das funktionieren? „Ich kann mir das gar nicht anders vorstellen. So allein im Atelier, ich könnte das gar nicht“, meint Kazim. „Viele können das Zusammenarbeiten nicht. Man muss auf vieles verzichten, das eigene Ego zurückschrauben, das ist auch für uns manchmal schwer“, erläutert Mehmet, „wenn wir zusammenarbeiten, dann geht es nicht um mich, es geht nicht um ihn, es geht um etwas, das über uns steht.“

Sie sind ständig am Zeichnen und Ideensammeln. Haben sie sich auf ein Motiv, ein Thema geeinigt, geht es los: „Wir kreuzen die Pinsel“, scherzt Kazim. Bevor sie anfangen zu malen, haben sie viel gezeichnet, sich einen Plan gemacht. „Wir wissen im Groben immer schon ganz
genau, was wir machen wollen“, so Mehmet. Am Anfang sind sie beide gleichzeitig an der Leinwand, für die Details geht einer zurück und gibt dem anderen beim Malen Anweisungen. Dann wechseln sie, so behält man immer den Überblick.

München – und dann die Welt?

Die beiden sind viel unterwegs: Gerade noch in Marburg, davor Berlin, jetzt Zürich. Wollt ihr in München bleiben? „Wir fühlen uns eigentlich dort zuhause, wo unser Atelier ist“, so Kazim. In München könne man gut arbeiten, meint Mehmet. Man werde
nicht so abgelenkt wie in Berlin. Kazim fügt hinzu: „Und eigentlich kämpfen wir dafür, dass München auch cool ist.“

Mehmet & Kazims Arbeiten finden sich auf Instagram und auf ihrer Website und einige in der 28. Ausgabe von Philtrat; der Artikel ist ein Auszug aus dieser Ausgabe, die zwischen dem 15. und 19. Juli 2019 verkauft wird, jeweils von 10 bis 18 Uhr in der Schellingstraße 3 in München.

© Foto: Mehmet & Kazim

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