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Wahrhaft geschieden, wahrhaft eins

Ein Vortrags- und Diskussionsabend zum Thema „Was ist Bildung? – Philosophische Perspektiven“

Langsam finden sich die Studenten jetzt auch mit der Bologna-Reform ab. Wenn das Humboldtsche Ideal schon an Prestige einbüßen muss, kann man es ja immer noch privat hochhalten. Doch wie kann man erreichen, dass die jungen Erwachsenen von morgen reflektiert mit dem zusehends verschulten Studium umgehen? Dieser und anderen Fragen versucht das Referat für Lehramt in seiner Veranstaltungsreihe nachzugehen. Zur Eröffnung im Ethikforum der LMU spricht Julian Nida-Rümelin.

Manche Alltagsphänomene treten erst in unser Bewusstsein, wenn sie bereits im Niedergang begriffen sind. So wurde in den wohl düstersten Jahren der Fußballgeschichte in Deutschland der Ruf nach Straßenfußballern laut und der Begriff geradezu inflationär gebraucht. Entstehen konnte er nur, weil das, was er bezeichnet, selten geworden war. Davor stellte es eine absolute Selbstverständlichkeit dar, das Fußballspielen auf engstem Raum in engen Gassen zu erlernen. Erst mit dem Aufkommen von hochprofessionellen Fußballinternaten und im Zuge von Baumaßnahmen zur Stadtteilverschönerung starb der Straßenfußballer quasi aus, die Verklärung setzte ein.

Humboldt-Universität
Die Humboldt-Universität in Berlin um 1850 – doch wie sieht es mit dem humanistischen Bildungsideal ihres Mitbegründers Wilhelm von Humboldt heute aus?

Prädestiniert für eben dieses Schicksal scheint auch der Begriff der Bildung zu sein, der im Zusammenhang mit der Bologna-Reform von deren Gegnern immer wieder als Totschlagargument ins Feld geführt wurde und wird. Aus diesem Grund erscheint die Frage durchaus berechtigt, die gleichzeitig als Thema des ersten Vortragsabends der Veranstaltungsreihe des Referats für Lehramt der LMU im Sommersemester 2013 fungiert: „Was ist Bildung?“ Wofür kämpfen die Studierenden eigentlich in ideeller Hinsicht, wenn sie speziell gegen Bologna wettern oder ganz allgemein die Studienbedingungen verbessern wollen? Was können wir für unsere zukünftigen Schüler tun, die nur erschwert an der gesellschaftlichen Debatte teilnehmen können, weil sie zu jung sind oder über keine Lobby verfügen? Und vor allem: Ist es nicht doch schon längst zu spät und alles ein leerer Abgesang auf ein veraltetes Konzept? Vorträge des Philosophieprofessors Julian Nida-Rümelin und der Koordinatorin der Lehramtsstudiengänge Ethik und Philosophie, Dr. Irina Spiegel, sollen Antworten auf diese Fragen geben.

Das Pendel schwingt wieder auf die Seite der Zweckdenker

Nida-Rümelin verweist gleich zu Beginn darauf, dass er weder Bildungsforscher noch Pädagoge sei, ihn dies aber nicht von vornherein disqualifiziere, sich zum Thema zu äußern. Bestes Beispiel sei hierfür Wilhelm von Humboldt, der weder als Lehrer noch als Universitätsverwalter in Erscheinung getreten sei. Dessen Vision von humanistischer Bildung habe Deutschland innerhalb von nur wenigen Jahrzehnten zu einer auf den Gebieten der Technik, Forschung und Wirtschaft innovativsten und führenden Nationen gemacht. Etwaige Hoffnungen der Anwesenden auf eine zweite Bildungsrevolution muss der Staatsminister a. D. jedoch enttäuschen: Er verzichtet bewusst darauf, in Humboldts Fußstapfen zu treten.

Obendrein sei das Humboldtsche Ideal nur eine, wenn auch sehr explizite und berühmte Formulierung einer Position im Streit zwischen Autonomie und Zweckdienlichkeit. Diese zieht sich durch die gesamte europäische Bildungsgeschichte und nahm seinen Ausgang bereits im antiken Griechenland. Schon Platon setzte die Grundidee der Bildung. Die Menschen haben eigene Gründe, zu glauben, zu handeln und zu fühlen. Diese Gründe müssen in kritischen Diskussionen verhandelt werden und vernünftig begründbar sein.

Auf lebhaftes Interesse trifft Julian Nida-Rümelin am Montagabend bei seinem Vortrag im gut besetzten Hörsaal.

Ziel des Diskurses ist es dagegen nicht, Recht zu behalten, mehr zu wissen als das Gegenüber oder Bildung als Instrument zum Machterwerb einzusetzen, wie dies die Sophisten teilweise vertraten. Grob gesagt bedeute die Bologna-Reform die Rückabwicklungen der Reformen zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Das Pendel schwingt also gerade wieder auf die Seite der Zweckdenker.

Drei Einheiten stellt Nida-Rümelin zu Ende seiner Ausführungen als Prinzipien zur Diskussion, die von den Entwicklungen der letzten Jahre verletzt wurden. Erstens ist dies die Einheit der Person: Der Mensch besteht aus Empfindungen, Überzeugungen, Wünschen etc. Einzelaspekte können nicht herausgelöst werden. In vielen Studiengängen geschieht jedoch genau das durch Hervorhebung der kognitiven Komponente (etwa durch übermäßiges Auswendiglernen). Zweitens die Einheit des Wissens: Durch Parzellierung gehen die Zusammenhänge verloren. Drittens folgt noch die Einheit der Gesellschaft: Bildung sei inklusiv und gehe alle Menschen an, da jeder vernunftfähig sei. Leider seien in den letzten Jahren vielfach gegenläufige Desintegrationstendenzen zu beobachten.

Die Philosophie kann verloren gegangene Zusammenhänge wiederherstellen

Auch seine eigene Disziplin nimmt Nida-Rümelin dabei in die Pflicht. Gerade die Philosophie verfüge über zahlreiche Anknüpfungspunkte in verschiedenste Disziplinen, um etwa verloren gegangene Zusammenhänge wiederherzustellen, allerdings spiele sie in der deutschen Forschungslandschaft kaum eine Rolle. Wie um dieses Manko zu verdeutlichen, führt er im Anschluss aus, dass die Philosophie das Problem erkennt, jedoch kein Philosoph konkrete Handlungsanweisungen geben könne, wie damit im Unterricht oder in Vorlesungen umgegangen werden solle.

Eine letztgültige Lösung des Streits zwischen Bildungsautonomie und employability hat an diesem Abend aber wohl ohnehin niemand ernsthaft erwartet. Eine lebhafte Diskussion entspinnt sich trotzdem unter den Anwesenden. Zwischen allen Lehrämtlern und interessierten Seniorstudenten hat sich sogar ein echter Schüler in die Veranstaltung eingeschmuggelt. Nida-Rümelin spricht er ein großes Lob aus: Dieser habe ihm die bislang beste Antwort auf das Dilemma geliefert, allerdings sei sie immer noch „ungenügend“. Der Professor macht dem Schüler Mut: Er habe auf Vorträgen sehr oft mit Vertretern der Wirtschaft zu tun. Diese seien sich sehr wohl darüber im Klaren, dass ein 20- oder 21-jähriger, perfekt auf den Markt abgerichteter Absolvent keine „fertige“ Arbeitskraft sei oder sein könne. Ein schneller, wettbewerbsfähiger Abschluss sei also nach wie vor nicht alles. Der Streit kenne eben keine endgültigen Gewinner oder Verlierer. Noch bleibt, so scheint es, der Bildung das Schicksal des Straßenfußballers erspart.

 

Weitere Informationen: 

Das Referat für Lehramt fungiert als lehramts- und fächerübergreifende Quasi-Fachschaft und neutrale Schnittstelle beim Klären von Problemen. Es engagiert sich für die Verbesserung der Studienbedingungen der ca. 9.000 Lehramtsstudierenden (ca. 20%) an der LMU. In der Veranstaltungsreihe folgen noch vier weitere Vorträge über die Zukunft der Schüler- und Lehrerbildung in Bayern.

Email-Kontakt: lehramt@stuve.uni-muenchen.de

Julian Nida-Rümelin (Jahrgang 1954) war Kulturreferent der Stadt München und Staatsminister für Kultur im ersten Kabinett Schröder. Er lehrt Philosophie und politische Theorie an der LMU. In seinen Forschungen beschäftigt er sich vor allem mit Fragen der praktischen Vernunft, der Ethik und der politischen Philosophie. Im März 2013 erschien Philosophie einer humanen Bildung.


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