„Sieg über die Sprache“ im Provisorium
Für solch verwirrende Sinneseindrücke sorgten die Künstlerinnen und Künstler auf der ersten experimentellen Literatur-, Musik- und Clubnacht unter dem Titel „Sieg über die Sprache“ vergangenen Samstag im Provisorium – einer Location, die nicht nur optisch, sondern auch ihrem Konzept nach nicht besser hätte gewählt werden können.
Der Abend gründet sich auf eine gelungene Kooperation des FANG Magazins zusammen mit der Experimentalmusik-Veranstaltungsreihe Spektrum. Die jungen Veranstalter durften sich nicht nur über volles Haus freuen, sondern auch darüber, mit ihrer ganz eigenen Mischung aus Musik, Performance, Stimmen, Klängen, Audio und Video einen Nerv beim Münchner Publikum getroffen zu haben.
Eingeleitet wurde der Abend durch eine kurze Lesung zweier Autorinnen des Magazins zum Thema der Aktualität von Sprache und ihrer Rechtfertigung in unserer Gegenwartskultur. Nicht nur die an diesem Abend präsentierten Arbeiten, sondern der grundsätzliche Antrieb für das Projekt FANG beruhen auf der Grundlage des Konflikts von Versprachlichung, deren konservatien Altlast, der „Papierhaftigkeit der Sprache“, wie es Lorena Meier, eine der Autorinnen, ausdrückt.
Der Name des Unterfangens wurde auf Grund seiner Vielfältigkeit eingeführt. Einer der Gründerväter erzählt von teils abwegigen Vorschlägen, wie der Name eines keltischen Schwerts, „tyrfang“. Letztlich ist es bei FANG geblieben.
Das im Jahre 2010 von den beiden Freunden und Germanisten André Patten und Alexander Bartsch in Köln/Bonn gegründete Projekt betreibt eine eigene Homepage mit Blog-Einträgen ausgewählter Autoren. Verfolgt wird eine Auseinandersetzung mit Sprache frei von allen Zwängen und Klischees. Es darf experimentiert werden. Es soll dekonstruiert werden, es soll dem Leser eine neue literarische Welt eröffnet, ein neues Medium zum Beleben der Sprache geboten werden. Die Themen sind im Internet, sowie an diesem Abend, frei. Die Gedanken auch. Man hört Textcollagen und den Einfluss unseres multimedialen Alltags. Mit ihrem Projekt möchten Alexander und André vor allem eins: Fragen aufwerfen. Die von den Autoren geschaffenen neuen Assoziationsräume sollen ihre Rezipienten zum Nachdenken anregen und sie dazu auffordern, diese neuen Räume selbst auszufüllen.
Den realen Assoziationsraum an diesem Abend stellte das Provisorium zur Verfügung. Da der Name hier wörtlich genommen werden kann, beschränken sich Inventar, Ausstattung und Dekoration nur auf das Nötigste und somit lenkt die Location ihre Gäste nie vom Wesentlichen ab. Der unfertige Charakter des Provisoriums lädt geradezu dazu ein, an diesen Ort etwas neues zu bringen und leistete mit seiner Tradition als Hausherrin alternativer Veranstaltungen sicherlich einen nicht unwesentlichen Beitrag zu den Besucherzahlen.
Die Grenzen verschwimmen
Die von Clemens Kerzl ins Leben gerufene Eventreihe hat es sich zum Ziel gesetzt, die verstaubte Münchner Musikszene einmal im Monat so richtig schön aufzuschrecken. Dementsprechend klingt Verena zusammen mit ihrem Jazzgitarristen, ihrem Saxofonisten und ihrem Schlagzeuger mal wie Donner in Erwartung eines Frühlingsgewitter, dann wieder leise romantisch. Jedoch nur, um ihre experimentelle Klangwolke gleich darauf wieder laut und einfach nur aufs groß-artigste anschwellen zu lassen.
An diesem sehr gewagten, aber äußerst gelungenen Abend verschwimmen die Grenzen zwischen Wort und Klang, zwischen Sprachlaut und Musik, zwischen Inhalt und Form und zwischen Zeichen und Bedeutung. Mal entführt uns der Nürnberger Joshua Groß in eine Science-Fiction-Welt mit „Blauwalmeeresschnee“, dann überrascht Burkhard Kosche, professioneller Opernsänger, mit Kurt Schwitters Ursonate, die klingt wie das euphorische Hervorwürgen von Buchstabensuppe. Es sind keine Grenzen gesetzt.
Susann Hochgräf erzählt von Kindheitssommern am Meer und irgendwann verliert sich ihre Stimme in Rückkopplungen und sich überlagerndenTextaufnahmen, in nutzlosen Informationen zur Umlaufbahn irgendeines Planeten. Feliciasonnier089 chattet mit jonnyhero0712, während sie ihren Freunden Emails mit zweifelhaften Castingaufrufen weiterleitet, die versprechen die klamme Studentenkasse wieder etwas aufzubessern. Anna Korsum taucht tief unter mit ihrer stimmhaften Interpretation ihres „song of a fish“ und Rudolph mit der roten Nase fliegt solang im Kreis herum, bis er zum FANG-Magazin wird und damit letztendlich zum Sieger über die Sprache. Am Ende versinkt alles in einem Geräuschcocktail, der die Trommelfelle flimmern lässt und so laut scheint, dass wir ihn für Stille halten könnten. Die Sprache ist besiegt und in Erinnerung bleiben die Worte von Joshua Groß: „Der Widerstand beginnt mit der Fähigkeit zur Stille. Eine Stille, die wie ein Erwachen ist.“