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„Utopia“: 34 Szenarien aus der Krise

Von März bis Juni hat das Metropoltheater München regelmäßig Videos ins Netz gestellt mit Gedanken und Assoziationen zu einer Welt nach Corona. Warum das Projekt zeigt, welche Rolle die Kunst im Leben einnimmt.

„Utopia Auferstanden aus der Krise“, #24 Katja Wachter (Screenshot Youtube) © Metropoltheater München

Von Mehrnoosh Esmaeilimatin

Ein ideales, gemeinsames, menschliches Leben, das, wie es scheint, nie erreicht wird. Mit seinem Onlineprojekt „Utopia – Auferstanden aus der Krise“ hat das Metropoltheater München den ersten Versuch in diese Richtung unternommen. Leider ist nicht mehr die Bühne Treffpunkt von Schauspieler*innen, Mitarbeitenden und Freund*innen des Theaters, sondern ihre Häuser sind es. Müssen es sein, denn die Corona-Krise hat alle Aspekte des Alltags, auch und gerade des kulturellen Lebens, quasi über Nacht überrannt. Größere Zusammenkünfte sind verboten. In der Folge wird die Theatergemeinschaft stark unter Druck gesetzt. Wie kann Theater in diesen Zeiten überhaupt noch funktionieren?

Die Künstler*innen sind gezwungen, die Bühne zu verlassen und ihr kreatives Schaffen über andere Medien, etwa Youtube und Instagram, mit dem Publikum zu teilen. Vor diesem Hintergrund haben sich die Künstler*innen des Metropoltheaters Gedanken zu einer Welt nach der Krise gemacht. Wie könnte sie aussehen? Wie sollte sie idealerweise aussehen? Verschiedene Schauspieler*innen, aber auch Personen des öffentlichen Lebens wie Alt-Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) und Liedermacher Konstantin Wecker haben ihre Meinungen und Vorstellungen von dieser möglichen zukünftigen Welt jeweils in einigen Minuten aufgenommen.

Christian Ude und Konstantin Wecker kommen zu Wort

Das Ergebnis ist eine ausgezeichnete Sammlung von Überlegungen, die jede*r so oder so ähnlich in den vergangenen Wochen wahrscheinlich hatte. „Utopia“ vermittelt ein Verständnis, dass die Menschen letztlich eine Gemeinschaft, ein Kollektiv sind und diese Utopie sich mit einem kollektiven Aufwand verwirklichen lässt.

In 34 Aufnahmen werden Ideen und Gedanken vorgestellt, etwa die Wichtigkeit, Solidarität in einer neuen Welt zu leben und gemeinsame Visionen nach der Krise zu finden, Kraft zu finden, die Krise zu überleben und freundlich miteinander umzugehen, Unzufriedenheiten zum Ausdruck zu bringen, humorvoll zu sein, das Publikum zum Lachen zu bringen, ernst zu sein, positive Gefühle zu streuen, sich in Literatur zu vertiefen, um Parallelen in den Werken mit dem realen Leben zu sehen. Es werden viele weitere Konsequenzen, die die Gesellschaft sowohl während der Krise als auch danach zu spüren bekommen wird, in Betracht gezogen, um letztlich die Frage zu beantworten: Was können wir erwarten und was müssen wir dafür tun?

Eine behandelte Fragestellung soll an dieser Stelle hervorgehoben werden: Wie kann Theater im Zentrum unserer Aufmerksamkeit stehen? Wie hat Theater diese Macht über uns? Eine Antwort gibt Katja Wachter, Choreographin und Regisseurin, im Video #24 auf tänzerische Art. Darin sind aber nicht Tänzer*innen zu sehen, wie man sie erwarten würde, sondern Wachters Hände. Für ihre Hände hat Wachter einen Tanz choreographiert. Sie vermitteln eine Botschaft, die in verbaler Sprache länger dauern würde. Diese Botschaft lässt sich in einem Wort zusammenfassen: Hoffnung. Die Hoffnung, dass „We’ll meet again“. Oder: Die Macht des Theaters wird zurückkehren, und wir dürfen auf diese Zeit hoffnungsvoll warten.

Dieses Projekt ist ein nennenswertes Beispiel für die wichtige Rolle, welche die Kunst im Leben einnimmt. Doch die Corona-Krise hat viele Menschen in Panik versetzt. Kunstliebhaber*innen fragen sich, ob die Theatererfahrung nach der Krise noch dieselbe sein wird wie davor. Auch die Künstler*innen bangen, ob die Institution Theater sich von diesem Einschnitt erholen wird.

Auf die Rückkehr des Theaters, so die Botschaft, darf man hoffen

Man könnte aber auch sagen, dass Projekte wie „Utopia“ eine Einladung sind, sich neuen Entwicklungen zu öffnen, die neue Gedanken ansprechen. Klar ist, dass der Verlust der Live-Theatererfahrung nicht eins zu eins durch Internet-Videos ersetzt werden kann. Jedoch lässt sich entlang dieses Projekts auch argumentieren, dass ungeachtet der Herausforderung, die in dieser schwierigen Zeit die Menschen durchleben müssen, sich dennoch an das bestmögliche Szenario denken lässt: die Utopie.

Und das zeigt wiederum, dass es sehr wohl möglich ist, sich an die Umstände anzupassen und sich Alternativen vorzustellen. Dahingehend, wie das Medium Theater andere Formen und Wege finden kann, ein größeres Publikum zu erreichen. Und wie Theater für grundlegende politische, soziale und gesellschaftliche Probleme, die bis jetzt eher außer Acht gelassen wurden, Lösungen präsentieren kann.

 

© Foto: Jakob Piloty

Die „Utopia“-Videos sind auf dem Youtube-Kanal des Metropoltheaters sowie auf Instagram hochgeladen. Der Freundeskreis des Metropoltheaters hat im April derweil eine Spendenaktion zur Unterstützung des Theaters initiiert. Das Metropoltheater besteht seit 1998 als freies Theater in Freimann. Gründer und Intendant ist Jochen Schölch.

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