Kulturphilter

Nicht nur für Eingeweihte

Theaterliebhaber und angehende Live-Art-Fans können seit Anfang der Spielzeit in München ein neues Theater besuchen: das HochX präsentiert sich als Vorkämpfer der freien Szene und möchte ein breites Publikum ansprechen – zeitgenössische Kunst für jedermann?

Von Christina Kockerd

„Wir wollten einen Ort schaffen, wie wir ihn uns als TheatermacherInnen und -gängerInnen immer gewünscht und in München nie vorgefunden haben“, manifestiert Ute Gröbel, die der künstlerischen Leitung des frischgebackenen HochX angehört, einem Theater, dem die freie Szene, dieses schwer greifbare Gebilde aus progressiver Kunstszene, Live Art und Subkultur, und das geheimnisvolle Andere auf den Leib geschrieben sind.

1870 als Vereinslokal eröffnet, in Kriegszeiten als Lazarett genutzt und im Jahre 1993 von der Stadt zur sogenannten „ensemblefreien Infrastrukturmaßnahme der freien Tanz- und Theaterszene“ namens i-Camp erhoben, blickt das Gebäude in der Entenbachstraße 37 tatsächlich auf eine lange Geschichte zurück – eine Geschichte des Theatermachens, des Kunstauslebens, sei es im Kreis der Familie wie bei den Kolpings oder für die große Öffentlichkeit.

Das Team von HochX. © Jana Erb

Den städtischen Auftrag des i-Camps soll nun das HochX fortsetzen. Aber wie kommt so ein Wandel von einem Theater in ein Neues überhaupt zustande? Und wie gründet man ein neues Theater? Ute Gröbel beschreibt: „Ein Theater gründet man mit viel Herzblut und sehr, sehr viel Arbeit. Man muss ja alles, vom Bühnenboden bis zur Internetseite, neu machen! Es bedarf vieler Gespräche im Voraus, bei denen viele Fragen geklärt werden müssen. Was braucht die Stadt, was die Künstlerinnen und Künstler und letztendlich was braucht das Publikum?“ Hinzu kommen natürlich noch die Fragen nach der Finanzierung und, auf künstlerischer Seite, welche Gruppen und Kunstschaffende genau eingeladen werden sollen – schließlich werden sie das Profil des Hauses prägen.

Professionalität und Austausch

Laut der Leitung des HochX finden die Bedürfnisse von Stadt, Kunstschaffenden und Publikum in einer professionellen Produktionsstätte für die freie Szene ihren gemeinsamen Nenner: ein Ort, um Neues zu entdecken, ein Ort für das Subversive, das Widerständige, das Andere. Dabei stehen nicht nur Theaterabende auf dem Programm, sondern auch Arbeiten aus den anderen Bereichen der Live Art wie Tanz, Performance, Medienkunst, Musiktheater, Literatur und Kinder- und Jugendtheater. So fand beispielsweise das Münchner Tanz- und Theaterfestival RODEO im Oktober mit zahlreichen Münchner Gruppen und internationalen Gästen im HochX statt, Christiane Mudra inszeniert Off the record – Die Mauer des Schweigens, einen Politthriller um die Terrorzelle NSU, und auch die Studiobühne der Theaterwissenschaft München ist hier wiederholt zu Gast.

Ausdruck des Konzepts der Vielfalt sei auch der Name HochX, wie Gröbel aufklärt: „Das ‚Hoch‘ steht dafür, dass wir die freie Szene in München entfalten wollen und das ’X‘ für das Neue, Unbekannte.“ Das Ziel dabei: künstlerische Arbeit in München sichtbar machen, vor allem jenen Teil der Kulturszene, dem bisher ein Schauplatz fehlte, um wahrgenommen zu werden. Deswegen werden bei jeder Produktion die investierten Arbeitsstunden angegeben. Was heißt „Arbeit“ im künstlerischen Kontext? Kann man künstlerische Arbeit in Zahlen übersetzen? Die Fragen, die das HochX mit dieser Setzung aufwirft, erscheinen umso brisanter in einer Stadt, die ihre Kulturszene über alles schätzt und gleichzeitig über die Maßen teuer ist.

Gefragt nach ihrem Tipp für diese Spielzeit empfiehlt Ute Gröbel übrigens eine Premiere im März: Cornelia Mélian und die Micro Oper München erarbeiten Winter, eine musiktheatralische Installationsperformance nach Schuberts Winterreise. Das klingt alles sehr spannend. Bleibt nur die Frage, welchen Stellenwert ein sich der freien Szene verschreibendes und gleichzeitig städtisches Theater in München hat, wo Matthias Lilienthal die Kammerspiele ebenfalls mehr und mehr zu einer Plattform derselben macht.

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